Georg Etscheit / 05.01.2025 / 13:00 / Foto: Emmanuel Revah / 11 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Rosenkohl

Dass im Winter im Freien nichts wächst, ist heutzutage weitgehend in Vergessenheit geraten. Das gilt auch für das häufig angepriesene „Wintergemüse“ wie Weißkohl, Wirsing, Lauch oder Karotten.

Nach der Völlerei zu den Feiertagen über Kulinarik zu schreiben, ist eine Herausforderung. Eigentlich steht einem jetzt der Sinn nach einer gründlichen Entschlackungskur. Glücklicherweise fiel dem Kolumnisten ein schönes Buch in die Hände, Oskar Maria Grafs „Das Leben meiner Mutter“, ein Buch, das in Grafs eigenen Worten „von der stillen, unentwegten Arbeit, von der standhaften Geduld und der friedfertigen, gelassenen Liebe“ erzählt. In seiner einfachen, vom bayerischen Dialekt geprägten Sprache berichtet der als überzeugter Sozialist in den dreißiger Jahren in die USA emigrierte Oberbayer, wie schwer es noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für große Teile der ländlichen Bevölkerung war, den Lebensunterhalt zu sichern und die Mäuler einer oft überreichen Kinderschar zu stopfen. Erträglich war dieses Leben nur, weil die Menschen ihr Schicksal als Gottgegeben ansahen.

Ob man dereinst glücklicher oder unglücklicher war als heute, ist eine müßige Frage. Jedenfalls möchte man dieses Buch all jenen zur Lektüre empfehlen, die sich so sehr nach der alten Zeit zurücksehnen, als der Mensch angeblich noch im Einklang mit der Natur lebte und sich nicht mit Klimakatastrophe, Feinstaub und Artensterben herumschlagen musste. Im „Einklang“ mit der Natur leben, das bedeutete auch, und hier beginnt der kulinarische Teil meiner Betrachtungen, im Winter vor allem mit Kraut, Rüben und Kartoffeln Vorlieb zu nehmen. Und je länger der Winter dauerte, umso karger wurde der Speiseplan. Früher hätte die Landbevölkerung viel um ein bisschen Klimaerwärmung gegeben.

Dass im Winter im Freien nichts wächst, ist heutzutage weitgehend in Vergessenheit geraten, gerade bei jenen umweltbewegten Großstädtern, die sich der Natur so nah wähnen, aber ihr in Wirklichkeit so verständnislos gegenüberstehen wie keine Generation vor ihnen. Auch das derzeit als Inbegriff von „Saisonalität“ angepriesene „Wintergemüse“ wie Weißkohl, Wirsing, Lauch oder Karotten, wächst nicht bei Eis und Schnee, sondern überdauert nur auf den winterlichen Feldern oder wird eingelagert, früher notdürftig in Sandmieten und Sandkisten, heute in Kühlhäusern. Manche Sorten wie der Rosenkohl, profitieren sogar von einer gewissen Portion Frost. Wie beim Grünkohl wandelt sich bei Minustemperaturen ein Teil der im Kohl enthaltenen Stärke in Zucker um und macht das Gemüse milder und vollmundiger.

Die schmackhaften Röschen des Rosenkohls bilden sich erst im Herbst und werden ab November geerntet. Je kleiner sie sind, umso zarter schmecken sie, große Exemplare sind oft holzig und mehlig. Auf manchen Wochenmärkten oder in Hofläden auf dem Land wird noch Rosenkohl am ganzen Strunk verkauft. Den kann man wie einen Besen auf den Balkon stellen und dann die jeweils benötigte Menge abbrechen, was den Vorteil hat, dass die Röschen frisch bleiben.

Rosenkohl, Lauch und Wirsing

Rosenkohl wird meist nur als Beilage empfohlen, zu „Wintergerichten“ wie einem Hasen, einem Wildgulasch oder einem Rehrücken. Doch auch solo macht sich diese delikate Spielart des Kohls gut, etwa als Gratin zusammen mit Walnüssen und Schinkenwürfeln und mit Parmesan überbacken. Wolfram Siebeck befand dereinst in einem seiner Kochseminare, dass der italienische Hartkäse hervorragend zu Rosenkohl passe. Da kann ich ihm nur beipflichten. Für ein Rosenkohlgratin werden die Röschen zunächst geputzt, also von den äußeren Blättern und dem Rest des Strunkes befreit. Dann wird der Kohl kurz in kochendem Wasser blanchiert, das Wasser abgegossen, und das Gemüse in nunmehr gesalzenem Wasser gargekocht. Der Wasserwechsel soll den muffigen Kohlgeschmack reduzieren, der allerdings bei Rosenkohl ohnehin nicht sehr dominant ist.

Nach der Prozedur sollte der Kohl noch sehr knackig sein, weil er ja beim Überbacken weiter gart. Jetzt kommen die Röschen zusammen mit gerösteten Speckwürfeln und den Walnüssen – bitte nicht die geschmacklosen, kalifornischen Jumbonüsse aus dem Supermarkt – in eine Gratinform. Dann das Ganze mit einer Bechamelsauce oder einer mit Pfeffer, Salz und Muskatnuss gewürzten Eier-Sahne-Mischung übergießen, großzügig mit frischem, geriebenem Parmesankäse überstreuen und gratinieren. Auch fertig gekochte Maroni aus dem Glas (!), die vielleicht noch von der Weihnachtsgans übriggeblieben sind, machen sich als weitere Ergänzung sehr gut. Dazu gibt’s Weißbrot und ein Bier.

Ähnliches lässt sich mit Lauch fabrizieren – überbackener Lauch gehörte zu den Lieblingsgerichten meiner Kindheit und schmeckt mir bis heute. Allerdings muss man höllisch aufpassen, um sich an den wasserhaltigen Stangen nicht gehörig den Mund zu verbrühen. Ungeachtet jedes ideologischen Überbaus halten Wintergemüse viele schmackhafte Überraschungen bereit. Mein heimlicher Favorit neben Rosenkohl ist der Wirsing, als sahnige Gemüsebeilage, als Krautwickel mit Fleischfüllung oder als unschlagbar leckerer Auflauf mit Lammfleisch.

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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Leserpost

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Holger Kammel / 05.01.2025

Mittlerweile sind die Rosenkohlsorten geändert. In meiner Kindheit war Rosenkohl erst genießbar, wenn er mindestens den ersten Frost erlebt hat. Damals standen immer ein paar Stauden vor meinem Fenster. Sonst war er bitter. Ein eingelegter Rehrücken, ein Wildschweinbraten geht gar nicht ohne Rosenkohl. Und ein Serviettenknödel.

Lilja Wiese / 05.01.2025

In meiner Kindheit - vor 60 Jahren - hatten wir 4 Gärten , da drin wurden alle möglichen Gemüse angebaut, die für den großen Haushalt benötigt wurden : Zwiebeln , Lauch,  Kraut , Gelberüben, Erbsen,  Bohnen , Rettich, Kohlraben, Blumenkohl, Salat , Gurken, Tomaten, Rosenkohl etc.  Im Winter waren Sauerkraut, Linsen, weiße Bohnen , besonders auch Rosenkohl, sowie auch Gerichte, zu denen Ackersalat passte , angesagt (der kann auch unter Schnee geerntet werden).        Rosenkohl : etwas Siedfleisch in einem Topf sieden , parallel dazu paar Stangen Lauch, in Ringen geschnitten, in einem Topf mit Margarine andünsten, salzen, pfeffern, Mehl drübersteuben (je nach dem, wie sämig die Brühe werden soll) , mit der Fleischbrühe ablöschen, mit dem Fleisch und den Rosenkohlröschen weiterkochen, bis alles weich bzw. bissfest ist. Dazu gibt es Pellkartoffeln und (bei uns in Süddeutschland) sog. Wellenspätzle.  :-)  (Wie meine Mutter dies neben dem großen Haushalt und dem Bäckerladen bewältigt hat, wird für mich ewig ein Rätsel bleiben.)  p.s. : was sind Berberitzen ?  Irgendwas aus einem Rilkegedicht ??

Gregor Horn / 05.01.2025

Danke, verzichte ! Meine Mutter und mein älterer Bruder lieben seit klein auf Rosenkohl. Ich damals eher weniger. In den langen Jahren der heimischen Küche und des „Es wird gegessen, was auf dem Tisch kommt !“ gab’s deswegen gefühlt jeden 2ten Tag diesen Dreck. Und in dieser Zeit ist meine frühere Aversion zu diesem … Gemüse in eine unversöhnliche Abneigung mutiert. Ich müsste schon sehr, sehr verzweifelt sein, um jemals wieder einen Bissen von diesen nur widerlichen … Gemüse runterzubekommen.

j. heini / 05.01.2025

Schmunzeln musste ich, als eine überzeugte sich regional und saisonal Ernährende ihr Mittagessen auspackte: Ein Gericht mit Paprika und Reis. Gewächshäuser oder auch Ungarn gehören inzwischen also zu regional. Aber Reis?

Wilfried Cremer / 05.01.2025

hi, bei uns hieß das Gemüse Sprütchen, Spruten äußerst selten, wohingegen mir Kanine oder Eichhörner noch nie begegnet sind und letztere zumindest auf dem Teller schon mal gar nicht.

Emil.Meins / 05.01.2025

Also, auch wenn die ganzen Puristen und vermeintlichen Feinschmecker jetzt aufjaulen und “Buähh” schreien: ich hole mir meinen Rosenkohl immer aus der TK-Abteilung im Kaufland (soll keine Werbung sein), weil ich da nicht eine halbe Ewigkeit die kleinen Röschen putzen muss, und die Ware ist frischer als irgendwo sonst erstandene, die schon angewelkt sein kann. Und ich esse ihn entweder “nackt” (...nicht ich, der Rosenkohl!), oder mit einer Beilage aus Grünkernschrot, weil er allein schon genug Geschmack hat. Eine Zwiebel, feingewürfelt, in Butter angeschmelzt, dann den Rosenkohl rein und dämpfen lassen, fast ohne Wasser. Dazu kommen eine Prise schwarzer Pfeffer , eine Prise Muskat und eine Dosis Umami nach Geschmack, da kann jeder nehmen, was seiner Gesinnung zuträglich ist. Von Sojasoße über Hühnerbrühe bis Vegeta oder Universal seasoning/Gemüsebrühe vegetarisch aus dem Ökoladen. Davon kann ich eine ganze Packung auf einmal weghauen, wenn es sein muss. Ist ja auch kalorienarm…Übrigens, wegen der erwähnten Bechamelsosse: man kann auch wunderbar Magerquark verwenden, um eine weiße Sosse dazu herzustellen, dazu werden 1-2 TL Mehl mit ein paar Tropfen kaltem Wasser “angeteigt” und dann weiter Wasser zugefügt, bis es flüssig ist, so entstehen keine Klümpchen, und dann wird Quark nach Gusto untergerührt, und das Ganze kommt dann unter Zugabe von etwas Flüssigkeit zum Rosenkohl, mit vielleicht etwas Knoblauchpürree verfeinert. Stelle ich immer aus 5-6 Knollen Knoblauch auf Vorrat her. Diese werden enthäutet, dann püriert, unter Zugabe von Öl und einer Dosis Salz, sowie einem halben Teelöffel Vitamin C (Ascorbinsäure, aus dem Drogeriemarkt), verhindert die Oxidation. In einem kleinen Schraubglas aufbewahrt, hält das im Kühlschrank wochenlang, und man kann es vielseitig verwenden. Wem es nicht zu “fett” ist, der kann auch eine Schicht Öl obendrauf gießen, in dem Schraubglas, wg. Luftabschluß. Schmeckt wunderbar auf frischem Baguette. Diese Haushaltstips waren kostenlos..

L. Luhmann / 05.01.2025

“Jedenfalls möchte man dieses Buch all jenen zur Lektüre empfehlen, die sich so sehr nach der alten Zeit zurücksehnen, als der Mensch angeblich noch im Einklang mit der Natur lebte und sich nicht mit Klimakatastrophe, Feinstaub und Artensterben herumschlagen musste.” - Ich betrachte es mal so: Wer oder was nicht im Einklang mit der Natur lebt, wird aus dem Genpool verschwinden. Anders ausgedrückt: Alle Lebewesen leben im Einklang mit der Natur. Und an dieser Stelle gibt es immer grünes Geschwafel vom gestörten “Gleichgewicht”. Die Natur ist niemals im Gleichgewicht, denn das wäre so etwas wie fortschreitende Stagnation, ein Art von Anhalten der Natur. Man muss sich also keine Sorgen darüber machen, ob man “im Einklang mit der Natur” lebt - solange man lebt. Die Natur ist hyperkomplex, riesig und extrem freigiebig. Es sind meistens die gefährlichen Lügner vom Club of Rome, Greenpeace, WWF etc., die uns seit Generationen ein schlechtes Gewissen einreden und auch Angst einflößen wollen. - Apropos “Grünkohl” ich wusste früher nicht, dass man Grünkohl am besten über 2 Stunden kochen muss, wenn man nicht will, dass der Darm tagelang Pause macht. Jedenfalls habe ich das so erlebt und erst nach dem zweiten Mal kapiert, dass der Grünkohl große Probleme bereiten kann.

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