Wieder kein Titel für die große Fußballnation, das ist bitter. Seit 1960 kein einziger EM-Titel. Zum Trost deshalb hier ein Roastbeef mit Yorkshire Pudding.
Eigentlich sollte es an dieser Stelle um Paella gehen, um Cazpacho und Crema Catalana, spanische Küche eben, wobei die Katalanen wahrscheinlich Wert darauf legen würden, dass die der französischen Crème brulée ähnelnde Crema Catalana von ihrem Ursprung keinesfalls spanisch sei. Aber in anderen Ländern sieht man das nicht so eng und die gebrannte Vanillecreme ist ja auch längst zum internationalen Dessert-Star aufgerückt und hat Mousse au chocolat und Tiramisu auf die Plätze verwiesen.
Apropos Plätze: Mein Herz schlägt in der Regel nicht für die strahlenden Gewinner, sondern die bedröppelten Verlierer oder, wie im Fall der gerade zu Ende gegangenen EM, die zweitplatzierten Engländer. Wieder kein Titel für die große Fußballnation, das ist bitter. Seit 1960 kein einziger EM-Titel.
Damals gab es den Pokal, kein Witz, für die Sowjetunion – das wäre fast eine 100.000-Euro-Frage bei Günther Jauch. Und auch Weltmeister waren die Engländer noch nie, man glaubt es kaum. Am Sonntag konnte nach dem vergeigten Endspiel in Berlin selbst Prince William keinen royalen Trost spenden. Angesichts des Jubels der rot trikotierten Sieger schien es, als hätten sich die Spanier etwas verspätet für den Untergang ihrer Armada gerächt.
Eine ausgesprochen feine Angelegenheit
Widmen wir diese Folge unserer Kolumne also einer Speise, wie sie britischer nicht sein könnte: Roastbeef mit Yorkshire Pudding. Hier trifft das nicht ganz falsche Vorurteil, dass die Briten von guter Küche nichts verstehen, einmal nicht zu. Denn ein perfekt am Stück gebratenes und erst kurz vor dem Servieren tranchiertes Roastbeef ist eine ausgesprochen feine Angelegenheit und sollte im Veggie-Zeitalter tunlichst vor dem Aussterben bewahrt werden. Mit den oft zaddrigen und trockenen Roastbeef-Scheiben, die man bei uns zusammen mit Sauce Remoulade aus dem Glas auf Kalten Buffets offeriert, hat solch ein Stück Fleisch nichts zu tun.
Wolfram Siebeck weilte einmal in London und schrieb hernach in der ZEIT eine hinreißende Abhandlung über englische bzw. britische Küche. Gnade fanden bei ihm, dem strengen „Fresspapst“, eigentlich nur Lammkoteletts mit Mintsauce und Roastbeef: „English Roastbeef ist für den Fremden die risikoloseste Möglichkeit, Fleisch und gleichzeitig gut zu essen. Es wird im großen Stück gebraten und auf einem Servierwagen durchs Restaurant gerollt. Je nach Wunsch des Gastes schneidet der Fleischkellner von der schmalen Seite, wo das Fleisch mehr durchgebraten ist, oder von der sehr rosa und sehr saftigen Breitseite einige Scheiben herunter“.
Dazu sei angemerkt, dass Siebecks Artikel aus dem Jahre 1979 stammt, also nicht viel später als zu Lebzeiten der Neandertaler. Da ich auf der britischen Insel zwar schon Lamb (Lamm) mit Mintsauce gegessen habe, eine in der Tat sehr interessante Kombination, aber noch kein Roastbeef und ich auch schon länger nicht mehr dort weilte, kann ich nicht sagen, ob die von Siebeck beschriebene Art, ein Roastbeef zu servieren, angesichts des beständigen Schrumpfens des autochthonen Bevölkerungsanteils noch gepflegt wird.
15.000 Pfund die Flasche
Vielleicht zumindest in einem der großen Hotels wie dem Ritz oder dem Claridges, wo ich angesichts der Preise wohl nie Gelegenheit haben werde abzusteigen. Auf der Sonntags-Lunchkarte des Claridges ist jedenfalls ein „Roasted Herefordshire Sirloin of Beef“ ausgewiesen, nebst Horseradish purée, Yorkshire pudding und gravy. An einem auf der splendiden Weinkarte gebotenen Dom Perignon Plenitude 3 des Jahres 1975 für 15.000 Pfund die Flasche hätte sicherlich James Bond mit einer seiner Flammen Freude gehabt.
Zu einem Roastbeef wird traditionellerweise ein Yorskshire Pudding serviert. Pudding spricht man übrigens aus wie im deutschen, niemals „Padding“. Mit Ausnahme der Aussprache hat ein englischer Pudding mit einem deutschen Pudding nichts zu tun. Erstere ist meist salzig, letztere süß und bekannterweise eine Nachspeise. Ein Yorkshire Pudding ist laut Siebeck ein Backwerk aus einem „ungesüßten Windbeutelteig“, der zu einem „hohen, puffigen Kissen“ gebacken wird. Wobei die ansonsten für einen Windbeutelteig (Brandteig) unabdingbare Butter fehlt - der Teig für einen Yorkshire Pudding besteht nur aus Milch, Mehl, Eiern und Salz.
Doch jetzt wird’s kompliziert. Denn traditionellerweise werden das Roastbeef und der Pudding im Ofen simultan gebacken. Oben das Fleisch, unten das Backwerk, wobei ein Teil des Fleischsaftes durch den Grill auf den Pudding tropft und diesen durchtränkt. Ob das gut schmeckt, kann ich leider nicht sagen, weil ich es noch nicht gegessen habe. Ich würde vielleicht Pommes dauphine oder Strohkartoffeln vorziehen und statt des reinen, ungewürzten Fleischsaftes („Gravy“) eine konzentriertere Sauce auf Basis eines Rinderfonds, vielleicht mit einem Schuss Portwein versetzt.
Unwiderstehliche Roastbeef-Sandwiches
Des Weiteren bieten sich gedünstete Tomaten, Erbsen und Karotten als Gemüsebeilage an, denen man allerdings, anders als in England, ein Stück Butter sowie Salz und Pfeffer gönnen sollte. Siebeck empfiehlt, auf Meerrettich als würzende Komponente eines Roastbeef-Gangs zu verzichten, weil er den feinen Fleischgeschmack erschlagen würde. Aber offenbar mochte Siebeck überhaupt keinen Meerrettich, deswegen sollte man diese Empfehlung nicht auf die Goldwaage legen.
Nochmal zurück zum Pudding. Ich sah kürzlich im Satellitenfernsehen eine ziemlich abgefahrene Gastroshow aus den Vereinigten Staaten, während der sich ein beleibter Moderator im Rahmen eines Wettessens gewaltige Fleischberge einzuverleiben hat. „Man versus food“ heißt das fast schon perverse Format, das aber auch irgendwie skurril daherkommt und sehr Trump-amerikanisch.
Darin wurde auch eine gehobene Imbissbude namens Brennan & Carr in Brooklyn vorgestellt, wo es offenbar unwiderstehliche Roastbeef-Sandwiches gibt. Dort werden die Brötchenhälften, wie beim Yorkshire Pudding, mit Fleischsaft durchtränkt. Das machte im Fernsehen zwar ein wenig den Eindruck von Vorverdautem, kann aber sicher sehr gut schmecken. Auch eine spanische Paella mit ihrer etwas angebrannten Kruste, dem soccarat, sieht ja nicht sonderlich appetitlich aus.
Nachtrag: Der Autor verbeugt sich mitsamt seiner Fussball-Unkenntnis tief vor der englischen Nation, die 1966 Fussball-Weltmeister wurde. Er wünscht hiermit doppelt guten Appetit
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.