Rouladen zählen zu den „Lieblingsessen“ der Deutschen – man braucht jedoch für die Zubereitung Zeit und Geduld.
Eigentlich hatte ich beschlossen, die Fußball-EM so weit wie möglich zu ignorieren. Und vor dem Eröffnungsspiel in München drückte ich Schottland, nicht Deutschland, die Daumen. Ein Land mit einer Bevölkerung, die es immer noch weitgehend klaglos hinnimmt, dass eine abgehobene und ideologisierte Politikerkaste alles daransetzt, eben dieses Land zu ruinieren, kann mir den Buckel runter rutschen. Am besten, „wir“ scheiden wieder in der Gruppenphase aus, wie bei den beiden letzten Fußballweltmeisterschaften, dachte ich mir.
Doch dann erlebte ich durch Zufall auf dem Leipziger Augustusplatz zwischen Gewandhaus und Oper, wie begeistert sich die dort versammelten Menschen beim gemeinsamen, öffentlichen Fußballgucken („Public Viewing“) zeigten, wie bei jedem Tor solch frenetische Jubelstürme losbrachen, dass man das unisono aus tausenden Kehlen noch in der zweiten Etage der Tiefgarage hören konnte – und mein Ressentiment war verflogen. Eigentlich sollte man froh darüber sein, dass es gelegentlich noch Ereignisse gibt, die unser – ja – Volk, unsere Nation zusammenschweißt und den Menschen in ihrer zunehmenden Vereinzelung wieder ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln. Auch wenn Politiker fast aller Couleur und sogar manche Fußballfunktionäre nicht müde werden, zu spalten und die Menschen auch bei der „schönsten Nebensache der Welt“ gegeneinander aufzuhetzen.
Nun stellt sich die Frage, was die Deutschen in kulinarischer Hinsicht eint. Auch auf diesem Feld bröckelt der Identität stiftende Kanon einer nationalen Esskultur, wankt bedrohlich unter dem Anbranden der globalen Fast- und Streetfoodwelle. Gibt es überhaupt noch so etwas wie ein Nationalgericht? Wenn es nach dem Bundespräsidenten geht, ist es der jüngst zum Gastgeschenk an den türkischen Staatspräsidenten Erdogan geadelte Döner, angeblich in dieser Form eine deutsche Erfindung. Oder ist es die Pizza, jener italienisch-nordamerikanische Reimport, der sich ungeachtet einer fast immer beklagenswerten Qualität offenbar ungebrochener Beliebtheit erfreut, vor allem bei jungen Leuten.
Fahndet man im Internet nach dem „Lieblingsessen“ der Deutschen, fällt das Ergebnis reichlich diffus aus. Mal ist es das Schnitzel, mal die Pizza, mal Currywurst, Spaghetti Bolognese oder Bratkartoffeln, und auch Döner Kebab landet immer auf einem der vorderen Ränge. Für mich überraschend war, dass bei manchen Befragungen die Rindsroulade unter den Top 10 deutscher Lieblingsgerichte gelistet ist, zuweilen sogar auf dem ersten Rang.
Rouladen zuzubereiten, ist nicht kompliziert, braucht aber Muße
Nicht, dass ich etwas gegen Rouladen einzuwenden hätte, im Gegenteil, ich esse sie ausgesprochen gerne und würde sie selbst zu meinen Leibspeisen rechnen, auch wenn sie in Restaurants eher selten aufgetischt werden. Rindsrouladen teilen das Schicksal vieler Schmorgerichte, die auszusterben drohen, weil ihre Zubereitung Zeit erfordert. Die meisten Köche meiden die Arbeit, stundenlang auf ein auf dem Herd vor sich hin schmurgelndes Stück Fleisch aufpassen zu müssen und setzen lieber auf Kurzgebratenes. Und wenn wirklich mal so etwas wie Rindsrouladen auf der Karte stehen, muss man darauf gefasst sein, dass es sich um ein vorgefertigtes Convenience-Produkt handelt.
Auch zu Hause ist der Aufwand für dieses herrlich schmeckende Sonntagsessen nicht unerheblich. Rouladen zuzubereiten, ist zwar nicht kompliziert, braucht aber Muße. Zuerst kauft man sich beim Metzger vorgeschnittenes Rouladenfleisch, meist aus der Keule zu 150 bis 200 Gramm das Stück. Die Tranchen sollte man dann noch einmal plattieren, also flachklopfen, am besten zwischen zwei Klarsichtfolien, auch wenn Ökos, bereits beunruhigt wegen des Einsatzes von klimaschädlichem Rindfleisch, bedenklich den Kopf schütteln. Sollen sie.
Wir bestreichen die Fleischlappen mit scharfem Senf, vielleicht auch einer Sardellenpaste. Alsdann belegen wir sie mit Zwiebelscheiben, Räucherspeck und längs geschnittenen Gewürzgurken, um sie vorsichtig einzurollen und mit dafür geeigneten Instrumenten zu fixieren: Zahnstocher, Rouladenklammern, Bindfaden. Diese Utensilien sollten vor dem Servieren unbedingt wieder entfernt werden, soll der Gast nicht das gleiche Schicksal erleiden wie Loriot in einem seiner besten Sketche.
Hauptsache, es schmeckt wie bei Muttern
Die gefüllten Fleischrollen werden vorsichtig auf der Nahtseite angebraten und dann in einen aus angerösteten Wurzelgemüsen, Tomatenmark, Brühe und Rotwein bereiteten Saucenansatz gebettet, wo sie etwa zwei Stunden bei milder Hitze ihrer Vollendung entgegensimmern. Alfons Schuhbeck empfiehlt, den Rotwein zunächst auf ein Drittel einzukochen und erst später zu der Sauce zu geben. Er verliert auf diese Weise den scharfen Alkohol, behält aber seine Aromen.
Bei der Füllung von Rouladen kann man seiner Phantasie freien Lauf lassen – nur pikant sollte das Geschmacksbild sein, wofür bei der klassischen Zubereitungsart Senf und Gewürzgurken sorgen. Man kann auch mit der Umhüllung spielen und statt des Rindfleischs blanchierte Weißkohlblätter verwenden. Das nennt sich dann Kohlrouladen, im süddeutschen Raum Krautwickel, wobei die Füllung meist aus einer Fleischfarce besteht und die Sauce auf Tomatenbasis zubereitet wird.
So weit also und so gut. Doch was essen eigentlich gerade unsere Jungs? Bundes-Chefkoch Anton Schmaus verwöhnt die Kicker der deutschen Nationalelf vor den Spielen am liebsten mit „Soulfood“ – Essen für die Seele. Dazu zählt der Regensburger Sternekoch beispielsweise Maultaschen. „Das ist ein einfaches Essen. Für viele Spieler aber ist das grandioses Soulfood, weil sie so was bei der Mama gegessen haben, weil sie das aus der Heimat kennen. Dann fühlen sie sich superwohl. Damit kann man zehn, 15 Spieler glücklich machen“, vertraute er dem Berliner Tagesspiegel an. Warum nicht auch Rindsrouladen? Hauptsache, es schmeckt wie bei Muttern.
Georg Etscheit schreibt jetzt für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.