Georg Etscheit / 01.12.2024 / 12:00 / Foto: Numiscontrol / 15 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Pulsnitzer Pfefferkuchen

Pulsnitz liegt am Ufer des gleichnamigen Flüsschens, das einmal die Grenze zwischen dem Kurfürstentum Sachsen und dem Königreich Böhmen war – bekannt ist es insbesondere für seine Pfefferkuchen.

Etwa zwanzig Kilometer nordöstlich von Dresden am Rand der Oberlausitz liegt das kleine Städtchen Pulsnitz. Hier verstehen sich die Menschen auf ein Jahrhunderte altes Handwerk, die Herstellung von Pfefferkuchen, und wenn alle Welt immer nur von Nürnberger Lebkuchen spricht, wenn es um das würzige Weihnachtsgebäck geht, dann ärgert das die Pulsnitzer immer etwas, verständlicherweise.

Erstens sind Pulsnitzer Pfefferkuchen mit ihren Nürnberger Pendants, den Elisenlebkuchen zumindest, in Textur und Geschmack kaum zu vergleichen. Zweitens heißen sie Pfefferkuchen und nicht Lebkuchen und, drittens, gibt es sie in Pulsnitz das ganze Jahr über und nicht als typisches Saisongebäck wie in der Frankenmetropole. Das sollten der Unterschiede genug sein, um dem Stolz der Pulsnitzer auf ihr ureigenes Gebäck Respekt zu zollen.

Pulsnitz liegt am Ufer des gleichnamigen Flüsschens, das einmal die Grenze zwischen dem Kurfürstentum Sachsen und dem Königreich Böhmen war. Der Ort hat gut 7000 Einwohner, ein hübsches Kirchlein, einen adretten Marktplatz, außerdem zwei Reha-Kliniken, acht alt eingesessene „Pfefferküchlereien“ sowie eine Lebkuchenfabrik. Für die Bürger der verflossenen DDR war Pulsnitz die Urheimat des Lebkuchens und leider oft unerfüllte Verheißung, denn „Pulsnitzer“ waren Mangelware, wie vieles im „Arbeiter- und Bauernstaat“.

Im Jahre 1558 erstmals urkundlich erwähnt

Einer der bekanntesten Pfefferküchlereien ist die Firma E. C. Groschky. Im Verkaufsraum ist der Lebkuchengeruch betörend intensiv. Hier stapeln sich hausgemachte Süßigkeiten: Schlichte Papiertüten mit „Spitzkuchen“, gefüllt und ungefüllt und mit Schokolade überzogen, runde oder längliche Lebkuchen, mal mit Schokoladenüberzug, mal mit weißer Zuckerglasur, mal mit Nusstückchen bestreut, außerdem Erdbeerschnitten, Makronen, Lebkuchenherzen sowie hübsche Pappschachteln mit „Rietschelkuchen“, der Premiummarke des Hauses.

Ernst Rietschel, Bildhauer und Schöpfer des Goethe-Schiller-Denkmals in Weimar, ist der größte Sohn der kleinen Stadt. Nach ihm sind die besonders dünnen, mit feiner Bitterschokolade überzogenen Pfefferkuchenschnitten („nicht so süß!“) von Groschky benannt. Im Vergleich zu den meist sehr gehaltvollen und sehr süßen Nürnberger Elisenlebkuchen kann man dieses so unscheinbare wie delikate Gebäck fast puristisch nennen.

Im Jahre 1558 wurde die Pfefferkuchenbäckerei in einem Privileg der Grundherren zu Pulsnitz erstmals urkundlich erwähnt: „… und soll ein Jeder meister so Viel Rockens (Brot) packen, als die gemeine Notdurfft erfordert, Deßglichen Pfefferkuchen...“. Pfeffer war damals das Synonym für fremdländische Gewürze aller Art und die Pfefferkuchenherstellung noch in den Backstuben der Brotbäcker zu finden.

Keine schlechten Kopien

Im 19. Jahrhundert löste sich das Gewerbe von den Bäckern und gewann jene Eigenständigkeit, die die Pulsnitzer Pfefferküchler in Zeiten des SED-Regimes mühsam verteidigten. Andernorts war das Handwerk der Lebkuchenbäcker, auch Lebzelter genannt, eng mit dem der Kerzenmacher liiert, weil neben Gewürzen Jahrhunderte lang eine unabdingbare Zutat der Honig war - Rüben- oder Rohrzucker als Süßungsmittel kamen erst im Industriezeitalter auf. Das Wachs der Waben wurde dann gleich zu Kerzen gezogen und zusammen mit Lebkuchen und oft auch Met, Honigwein, verkauft.

Die älteste noch bestehenden Pfefferküchlerei in Pulsnitz ist der 1813 gegründete Betrieb Hermann Löschner. Hier kann man sich ansehen, wie der zähe Lagerteig aus Weizen- und Roggenmehl, Zuckersirup und Bienenhonig mindestens drei Monate in großen Holzkisten und Bottichen lagert, bis er „gebrochen“ und zuweilen noch mit anderen Teigchargen verschnitten wird. Erst kurz vor dem Backen werden Gewürze wie Zimt, Kardamon, Macis, Muskat, Koriander, Fenchel und Anis untergeknetet.

Jeder Pfefferküchler hat sein eigenes, über Jahrhunderte tradiertes und gehütetes Rezept. Das Ergebnis ist immer ein eher zähes Gebäck mit „Biß“ und einem unmodern-markanten Geschmack. Nicht so stromlinienförmig, so softig-geschmacksgestylt wie manches Weihnachtsgebäck westdeutscher Provenienz. Leider sind Pulsnitzer Pfefferkuchen außerhalb von Sachsen so gut wie unbekannt, was andererseits ein Garant dafür ist, dass es keine schlechten Kopien gibt wie bei den allbekannten Elisenlebkuchen.

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Wilfried Cremer / 01.12.2024

Kardamom, nicht Kardamon, Herr Etscheit, wie Queen Mom. Das Zeug, als Kraut, hat mir mal eine schöne Filzerei beschert, im alten Münchner Flughafen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 18.05.2025 / 12:00 / 11

Cancel Cuisine: Söder und Tofu

Söders Polemik gegenüber Tofu ist unangebracht, weil es sich um ein gesundes, nahrhaftes und überaus vielseitiges Lebensmittel handelt, sofern man es nicht zu dämlichen, veganen…/ mehr

Georg Etscheit / 11.05.2025 / 12:00 / 16

Cancel Cuisine: So schmeckt der Blackout

Sollte es auch einen Blackout in Deutschland geben, so ist zu empfehlen, sich rechtzeitig mit Vorräten einzudecken. Wenn der Herd nicht funktioniert, müssen es eben…/ mehr

Georg Etscheit / 27.04.2025 / 12:00 / 20

Cancel Cuisine: Das Menue bei der Papstwahl

Weil die Kardinäle aus allen Teilen der Welt anreisen, ist der Speiseplan bei der Papstwahl international gestaltet, wobei Pizza und Pasta immer gehen. Bei den…/ mehr

Georg Etscheit / 26.04.2025 / 06:15 / 70

Keine heiligen Schauer 

Persönliche Erinnerungen und Gedanken zum Tod von Papst Franziskus, dessen sterbliche Hülle heute zu Grabe getragen wird. Dann beginnt die Zeit der Vatikan-Astrologen. Als mich…/ mehr

Georg Etscheit / 13.04.2025 / 12:00 / 20

Cancel Cuisine: Pferde-Sauerbraten

Immer mehr alt eingesessene Pferdemetzger müssen schließen, weil die meisten Menschen bei Pferdefleisch die Nase rümpfen. Früher war das anders, da gehörte das Fleisch zur Alltagskost…/ mehr

Georg Etscheit / 06.04.2025 / 12:00 / 9

Cancel Cuisine: Borkenschokolade

Borkenschokolade ist eine zartblättrige Verführung, die an die vielfach gefältelte und gewölbte Rinde eines Baumes erinnert – nicht zu verwechseln mit der großindustriell hergestellten „Luftschokolade“.…/ mehr

Georg Etscheit / 30.03.2025 / 12:00 / 20

Cancel Cuisine: Seelentröster

Der Champagner-Absatz bricht ein – doch was könnte man stattdessen konsumieren? Vielleicht Rottkäppchen-Sekt, Erdnussflips oder Kartoffelchips? Nicht ganz so dekadent, aber als Seelentröster reichen sie…/ mehr

Georg Etscheit / 23.03.2025 / 16:00 / 7

Hamburger Staatsoper als House of Wokeness

Der Intendant Tobias Kratzer steht für ein sinnlich-opulentes Musiktheater – allerdings eher irgendwo zwischen Wagner und Rapper, der kein diesbezügliches Klischee auslassen kann.  Der aus…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com