In gastronomischer Hinsicht gibt es bedeutendere Landstriche als das Sauerland. Auch Friedrich Merz scheint in seiner Heimat nicht sein Lieblingsgericht gefunden zu haben.
Das Sauerland ist eine hügelige und waldreiche Region im Nordosten von Nordrhein-Westfalen, bekannt vor allem durch ihre zahlreichen Stauseen, mit denen das angrenzende Ruhrgebiet mit Wasser versorgt wird. Wassersportler aus den Ballungszentren an Rhein und Ruhr tummeln sich hier an jedem einigermaßen schönen Wochenende zusammen mit zahlreichen Niederländern, für die die bis zu 843 Meter aufragenden Berge des Sauerlandes das Nonplusultra morphologischer Extravaganz darstellen. „Richtige“ Berge und wirklich erwähnenswerte Wasserflächen, die stolzen Sauerländer mögen mir verzeihen, sind allerdings ziemlich weit weg. Und auch in gastronomischer Hinsicht, ich bitte nochmals um Nachsicht, gibt es bedeutendere Landstriche.
Die Kulinarik des Sauerlandes dreht sich in erster Linie um Kartoffeln, Kohl und Fleisch und gilt, wie überhaupt die westfälische Küche, als einfach und deftig. Edel-Sauerländer wie der CDU-Vorsitzende und Möchtegern-Bundeskanzler Friedrich Merz frönen denn auch anderen Genüssen als Potthucke, Pickert, Schlodderkappes oder Sauerkraut mit Schüsskes und Öhrkes. Wie einmal Merzens Gattin Charlotte enthüllte, gönne sich ihr Mann am liebsten Spaghetti „Frutti di Mare“. „Das ist sein Lieblingsgericht und schmeckt auch mir gut“.
Nun ist gegen Spaghetti „Frutti di Mare“ als Alternative zu Sauerkraut mit gepökelten Schweineschnäuzchen und -öhrchen nichts einzuwenden, vor allem dann nicht, wenn man gerade auf Urlaub in Italien weilt oder zu Hause frisches Meeresgetier zur Hand hat: Garnelen, Miesmuscheln, Vongole, kleine Tintenfische, nebst aromatischen Tomaten und gutem Olivenöl versteht sich. In Berlin dürfte es damit keine Beschaffungsprobleme geben, während man in den Mittelstädten des Sauerlandes wie Lüdenscheid, Meschede, Iserlohn oder Brilon, Merzens Heimatkommune, eher auf Tiefkühlware zurückgreifen muss.
Falls es Merz ins Bundeskanzleramt schafft, könnte er sich die benötigten Meeresfrüchte knackfrisch von der Flugbereitschaft der Bundeswehr einfliegen lassen. Irgendwann wird sich das geplante Billionen-Sondervermögen doch wohl positiv auf deren Flugtüchtigkeit auszuwirken beginnen. Nur die Medien sollten nichts davon erfahren.
Bitte nicht anbrennen!
Fürs einfache Volk, zunehmend geknechtet von Arbeitslosigkeit und Inflation, muss es Potthucke tun. Ein Freund, seines Zeichens Sauerländer, beschrieb mit dieses Sauerländer Traditionsgericht einmal als „angebrannter Kartoffelbrei“, was nicht besonders verlockend klingt. In der Tat basiert eine Potthucke auf Kartoffelstampf und Mehl, der allerdings mit Eiern, süßer oder saurer Sahne, Zwiebeln und gewürfelter Mettwurst oder Speck verfeinert und mit Salz, Pfeffer sowie Muskatnuss gewürzt wird.
Diese Zubereitung wird in einer ofenfesten Form etwa 45 Minuten gebacken und sollte tunlichst nicht anbrennen. Eine westfälische Potthucke besteht meist aus rohen und gekochten Kartoffeln, wobei deren Verhältnis vier zu eins betragen sollte.
Nach dem Backen kann man das Gericht in Scheiben schneiden und in der Pfanne noch einmal knusprig anbraten. Dazu kann man Salat oder Schwarzbrot (Pumpernickel) reichen und, wer die süße Komponente schätzt, Rübenkraut, ein fast schwarzer, süßer Brotaufstrich aus Zuckerrüben. Das Wort Potthucke bedeutet so viel wie “in einem Gefäß hocken-, respektive hängenbleiben“. Andernorts spricht man von Topfkuchen oder Dibbekooche, während ein Dibbelabbes, die saarländische Antwort aufs Schweizer Rösti, in der Pfanne zubereitet wird.
Ein Schnitzel mit einem Spiegelei belegen
Ebenfalls ein Pfannengericht ist Westfälischer Pickert, der sich von einer Potthucke noch dadurch unterscheidet, dass der Teig Hefe als Triebmittel enthält. Lippischer Pickert wird mit Rosinen etwas in die süße Richtung gedrängt, während Westfälischer Pickert Scheiben von geräuchertem, fettem Speck enthalten kann. Bei Schlodderkappes (siehe oben) handelt es sich um einen Weißkohleintopf.
Mein Sauerländer Freund schwärmte noch von „Krüstchen“, womit in großen Teilen Nordrhein-Westfalens ein mit einem Spiegelei belegtes paniertes Schnitzel bezeichnet wird, eine Art „Strammer Max“. Das Ganze kommt auf einer Scheibe Toastbrot zu liegen und kann von sautierten Champignons begleitet werden, die hoffentlich nicht aus der Dose stammen. Kulinarisch macht es wenig Sinn, ein Schnitzel mit einem Spiegelei zu belegen, es steigert nur die Nahrhaftigkeit, was Kopfarbeiter wie Friedrich Merz eigentlich nicht nötig haben.
Wobei man sich manchmal fragen muss, ob angesichts seiner politischen und strategischen Fehlentscheidungen schon vor dem erhofften Amtsantritt als deutscher Regierungschef eine zusätzliche Dosis der Nervennahrung Lecithin nicht doch von Nutzen sein könnte. Vielleicht steigen die Merzens zumindest von Spaghetti „Frutti die Mare“ auf Spaghetti „Carbonara“ um.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.