Georg Etscheit / 13.02.2022 / 13:00 / Foto: Pixabay / 36 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Pizza, Pappe, Permafrost

Ungelogen, ich habe seit Bestehen der Ampelregierung noch kein einziges Mal irgendeinen der neuen Damen und Herren Minister sprechen gehört – mit Ausnahme eines lustigen Videos, in dem Annalena Baerbock eine Kostprobe ihrer Englischkenntnisse gab. Das liegt daran, dass ich seit langer Zeit den Fernseher nur noch einschalte, um mir DVDs aus früheren Zeiten anzuschauen, gerne alte Krimiserien wie Derrick, Der Kommissar, Der Alte oder Tatort-Klassiker mit Klaus Schwarzkopf oder Hansjörg Felmy. Letzterer spielte sogar in einem Hitchcock-Thriller mit Der zerrissene Vorhang, was man sich von mimischen Giganten wie Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl alias Batic und Leitmayr kaum vorstellen kann.

Aber eigentlich gehört das nicht hierher, es soll auch nur Vorspann sein für eine andere Form der Enthaltsamkeit, der ich mich seit Beginn der Corona-Pandemie verschrieben habe. Ich habe nämlich, ebenfalls ungelogen, in dieser ganzen Zeit keine einzige Pizza verspeist, weder „to go“ vom „Italiener um die Ecke“ noch von irgendeinem Pizzaservice und schon gar nicht aus der Tiefkühltruhe des Supermarktes. Und das, obwohl nahezu die gesamte Bewohnerschaft meines Münchner Altbaudomizils den Anschein erweckt, als ernähre sie sich seit zwei Jahren ausschließlich von mit Tomatentunke und Raspelkäse belegten Teigfladen. Darauf jedenfalls deuten die unablässigen Besuche von Radkurieren hin, die Pizzakartons die Treppe hinauf balancieren, dabei eine typische Geruchsspur von verbranntem Teig, Analogkäse und „Salami“ hinter sich herziehend. 

Wenig später füllen solche Kartons dann die Papiertonne, die seit Beginn des Corona-Irrsinns schon lange vor dem Zeitpunkt der nächsten Leerung regelmäßig überquillt. Grob geschätzt etwa ein Viertel der Ladung besteht aus stinkenden Pizzakartons und Behältnissen für Asia-Food, der Rest aus allerlei Gebinden von Online-Versandhäusern, denen diverse Lockdowns zum endgültigen Durchbruch verholfen haben mit der Folge, dass der stationäre Einzelhandel bald Geschichte sein wird. In die verwaisten Räumlichkeiten ziehen zuverlässig irgendwelche Fressbuden, in denen „Spezialitätenköche“ aus aller Welt ihrem unterbezahlten Handwerk nachgehen, meist auf eine Weise, die Gourmets das Grauen lehrt. Deren Kreationen werden dann von ebenso unterbezahlen Fahrrad- und Elektroroller-Kurieren dem gierig wartenden Junkfood-Konsumenten bis an die Haustür gebracht. 

in den Kältesärgen der Lebensmittelmärkte

Der Siegeszug der Pizza zum unangefochtenen Fundament der Volksernährung ist leicht zu erklären. Einerseits ist Pizza leicht transportierbar, lässt sich ohne besondere Instrumente (Messer, Gabel) konsumieren und sättigt zuverlässig. Doch viel wichtiger ist der Suchtcharakter ihrer Zutaten. Tomaten enthalten von Natur aus eine beträchtliche Menge an Glutamat (140 Milligramm pro 100 Gramm), verantwortlich für den vollmundigen „Umami“-Geschmack, der zu übermäßigem Verzehr animiert. Käse wiederum enthält Casein, das während der Verdauung zu Casomorphin umgebaut wird, einem Stoff, der das Belohnungszentrum unseres Gehirns stimuliert. In geschmolzener Form wirkt Käse noch unwiderstehlicher. Zu all diesen Faktoren gesellt sich schließlich der „Crunch“ der Teigunterlage. Die sonstigen Ingredienzien sind, was die ungeheure Attraktivität der Pizza anbelangt, entbehrlich. Insbesondere abzuraten ist von Derivaten etwa mit kaltem Schinken und Rucola, da sollte man lieber gleich einen Salatteller nehmen und etwas Pizzabrot dazu.

Aus dem vorher Gesagten zu schließen, ich sei ein notorischer Pizza-Verächter, ist falsch. Im Gegenteil, ich liebe Pizza, nur findet man so gut wie nie ein Exemplar, das seiner weltumspannenden Prominenz gerecht wird. Am allerweitesten entfernt von einer Pizza, die ihren Namen verdient, sind jene runden Scheiben, die sich in den Kältesärgen der Lebensmittelmärke stapeln. Selbst wenn man vorschriftsgemäß die Plastikhaut entfernt, ist der Inhalt ungenießbar und der Gestank, der beim Aufbacken entsteht, verpestet über Stunden die ganze Wohnung. Gleich danach auf der Skala der Schrecknisse folgen Produkte von Pizza-Ketten („Pizza Hut“) und Pizza-Schnelldiensten, während man in einer echten italienischen Pizzeria gelegentlich und mit etwas Glück auf Teigfladen stößt, die eine Ahnung davon vermitteln, dass es sich bei einer Pizza eigentlich um ein genial einfaches, ebenso nahr- wie schmackhaftes Backwerk handelt.

Dafür allerdings sollte der Boden möglichst dünn und zäh bis kross, aber niemals durchgeweicht oder verbrannt sein, sollte der Tomatensugo, immer aus vollreifen (Dosen)tomaten, idealerweise San Marzano-Tomaten aus Süditalien bestehen, nicht nur aus rotgefärbtem, chinesischem Wasser, und es sollte einem als Käse kein Kunstprodukt oder geschmacksneutraler, blutjunger Allgäuer Emmentaler untergejubelt werden. 

Ich gedulde mich bis zum nächsten Italienurlaub

Was die zahllosen Pizza-Varianten anbelangt, reicht mir persönlich immer eine Pizza Margherita, benannt nach der Gemahlin Umbertos I., italienischer König von 1878 bis 1900, deren Auflage nur aus Tomatensugo, Mozzarellakäse (idealerweise Büffel-Mozzarella), Olivenöl und Basilikum besteht. Wer es pikanter möchte, dem empfiehlt sich eine „napoletana“ mit Sardellen, Kapern und Oliven.

Von der Zubereitung einer Pizza zu Hause sollte man absehen, weil es ein handelsüblicher Backofen niemals auf jene Hitze von 350 bis 400 Grad bringt, die für das Gelingen der Speise zwingend nötig ist. Das können nur spezielle Pizza-Öfen, die jedoch voluminös und teuer sind und schon bei nur einmaligem Gebrauch pro Woche eine Fehlinvestition darstellen. Außerdem ist die Herstellung eines Hefeteiges recht aufwendig und zeitintensiv. Ohne ein solches Gerät lässt sich nur eine Art (meist matschiger) Pizza-Kuchen zubereiten, der sicher Kindern schmeckt, aber anspruchsvollere Esser nicht zufriedenstellen kann.   

Wenn ich selbst Lust auf Pizza habe, gedulde ich mich bis zum nächsten Italienurlaub. Und dort gehe ich nicht in eine Pizzeria, sondern zum Bäcker um die Ecke, wo es Pizza vom Blech in stets zuverlässiger bis überragender Qualität zu räsonablen Preisen gibt. Genießen kann man sie auf der örtlichen Piazza oder dem Hotelbalkon, dazu ein Glas einfachen Rotweins. Dann kann einem beim Anblick der im Meer untergehenden Sonne Dr. Oetker den Buckel herunterrutschen. 

Foto: Pixabay

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Thorsten Gutmann / 13.02.2022

Die Pizza gilt nach wie vor und ganz offiziell als ein Lebensmittel. Darüber hinaus aber, und das eigentlich vielmehr, ißt sie ein Zustand, und zwar einer, den ich “die sich immer stärker ausgebreitet habende Pizzaisierung über das Gros gesellschaftlicher Felder” nennen möchte. Oder, um es kurz zu machen: Für mich ißt sie vor allem eins, nämlich eine Kultur zurück auf die Bäume. Aber wer se mag und auch gut verträgt…bon appétite.

Emil.Meins / 13.02.2022

Gestern abend sendete der BR zwei Tatorte aus den Siebzigern mit Gustl Bayrhammer, was war das damals für ein von “Haltung” und politischer Korrektheit unbeschwertes Leben! Vielleicht sollte man daran denken, falls es tatsächlich mal zu einem “Zeitenwandel” käme (die Hoffnung ist minimal), die gesamten Archive des ÖR zu durchforsten, um alle Machwerke der “neueren Zeit”, die von Belehrung und permanenter Indoktrination strotzen, unwiederbringlich zu löschen, und nur einzelne Ausschnitte zur Warnung späterer Generationen zu erhalten, mit Warntexten versehen, was einmal in Deutschland für eine Entwicklung möglich war. Und zur Pizza und dem Rest: Es ist dem Autor natürlich unbenommen, nur “original italienische” Pizza, am Ursprungsort zu verzehren, aber man sollte es nicht übertreiben mit dem Trend, alles müsse “echt” und “original” sein, um mit Genuß verzehrbar zu sein. Dahinter steht auch wieder nur ein Geschäftsmodell, das auch durch die vielen “Kochshows” im TV noch befeuert wird. Das fängt an bei den Kochgeräten, die von Firma X sein müssen, der Super-Duper Kaffeemaschine mit allen Finessen, und geht über das Steak “vom Metzger/Bauern meines Vertrauens”, bis zum speziellen, aus Italien importierten Speck bis zu den ganz besonderen Semmelbröseln (die natürlich nicht so heißen dürfen). Dann braucht man einen “Barista” als Coach, um einen Kaffee zusammenzubrauen, und eine eigene Sommeliere für das Mineralwasser. Die tolle Kaffeemaschine ist in ein paar Wochen ein Quell wunderbarer Schimmelkulturen und voll ranzigen Kaffeefetts, wenn man nicht regelmäßig aufwendige Reinigungsprozeduren vornimmt (die Geld in die Tasche der Hersteller spülen), egal wie teuer der eingefüllte Kaffee auch war. Aber Hauptsache, man fühlt sich gut dabei. Einen Hefeteig zu machen, ist überhaupt nicht kompliziert, und mein Küchenofen bringt nach Einlegen von ein, zwei gut trockenen Holzscheiten locker über 300°C. Der ganze Lieferdienst-Mist samt Fertigfraß ist natürlich eine Seuche…

Ludwig Luhmann / 13.02.2022

Schön, dass die gute alte Tradition der Italienbesuche seit den Zeiten des Duce nichts an Attraktivität eingebüßt hat. Wer fährt nicht gerne geimpft nach bella Italia, um sadistisch berichten zu können, wie schön es in einer Diktatur ist, von der man fast nichts mitkriegt, wenn man nur immer an den richtigen Stellen, die Augen und Ohren verschließt und den OR-Sklavenpass selbstverständlich lässig servil zum Vorzeigen bereit hält. Nichts soll schließlich die Illusion stören und zur Klasse der Etablierten zu gehören hat etwas mächtig Beruhigendes. Der Duce heißt jetzt Draghi von Schwabs Gnaden - und die echte Pizza lässt den Ignoranzbereiten das süße Leben genießen, bis zum nächsten “das konnte ja niemand ahnen!”. Friede den Hütten!

Rolf Menzen / 13.02.2022

Da wäre mir die Anfahrt etwas lang. Sowas können sich nur Snobs wie Don Alphonso oder der Autor leisten. Zwar habe ich das beste Essen meines bisherigen Lebens in einem kleinen Restaurant in der Altstadt von Pisa gegessen, aber ansonsten lautet meine Devise “De gustibus non est disputandum”.

R. Reger / 13.02.2022

Leserbrief von mir: Ich bereite meine Pizza gerne nach Art der sizilianischen Cosa Nostra. Deren Teig allein ist schon ein Gedicht. Er gelingt mir immer, nicht gerollt, sondern gepresst. Er musste auch gelingen, weil hinter dem Pizza Bäcker ein Lakai vom Capo stand, mit seiner Garotte. Das ist also mein Teig. Schön belegt, weniger ist mehr, und dann ab in den Weber Grill, auf den 300 Grad vorgeheizten Pizzastein. Gerne auch im Winter. An der Wand hinter dem Grill habe ich ein paar rote Zöpfe hängen. In diesem Sinne, allen Achgut Recken einen schönen Sonntag.

Marc Greiner / 13.02.2022

Also für mich ist Pizza Hut das Mass an dem sich andere messen müssen. Geschmackssache halt.

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