Ungelogen, ich habe seit Bestehen der Ampelregierung noch kein einziges Mal irgendeinen der neuen Damen und Herren Minister sprechen gehört – mit Ausnahme eines lustigen Videos, in dem Annalena Baerbock eine Kostprobe ihrer Englischkenntnisse gab. Das liegt daran, dass ich seit langer Zeit den Fernseher nur noch einschalte, um mir DVDs aus früheren Zeiten anzuschauen, gerne alte Krimiserien wie Derrick, Der Kommissar, Der Alte oder Tatort-Klassiker mit Klaus Schwarzkopf oder Hansjörg Felmy. Letzterer spielte sogar in einem Hitchcock-Thriller mit Der zerrissene Vorhang, was man sich von mimischen Giganten wie Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl alias Batic und Leitmayr kaum vorstellen kann.
Aber eigentlich gehört das nicht hierher, es soll auch nur Vorspann sein für eine andere Form der Enthaltsamkeit, der ich mich seit Beginn der Corona-Pandemie verschrieben habe. Ich habe nämlich, ebenfalls ungelogen, in dieser ganzen Zeit keine einzige Pizza verspeist, weder „to go“ vom „Italiener um die Ecke“ noch von irgendeinem Pizzaservice und schon gar nicht aus der Tiefkühltruhe des Supermarktes. Und das, obwohl nahezu die gesamte Bewohnerschaft meines Münchner Altbaudomizils den Anschein erweckt, als ernähre sie sich seit zwei Jahren ausschließlich von mit Tomatentunke und Raspelkäse belegten Teigfladen. Darauf jedenfalls deuten die unablässigen Besuche von Radkurieren hin, die Pizzakartons die Treppe hinauf balancieren, dabei eine typische Geruchsspur von verbranntem Teig, Analogkäse und „Salami“ hinter sich herziehend.
Wenig später füllen solche Kartons dann die Papiertonne, die seit Beginn des Corona-Irrsinns schon lange vor dem Zeitpunkt der nächsten Leerung regelmäßig überquillt. Grob geschätzt etwa ein Viertel der Ladung besteht aus stinkenden Pizzakartons und Behältnissen für Asia-Food, der Rest aus allerlei Gebinden von Online-Versandhäusern, denen diverse Lockdowns zum endgültigen Durchbruch verholfen haben mit der Folge, dass der stationäre Einzelhandel bald Geschichte sein wird. In die verwaisten Räumlichkeiten ziehen zuverlässig irgendwelche Fressbuden, in denen „Spezialitätenköche“ aus aller Welt ihrem unterbezahlten Handwerk nachgehen, meist auf eine Weise, die Gourmets das Grauen lehrt. Deren Kreationen werden dann von ebenso unterbezahlen Fahrrad- und Elektroroller-Kurieren dem gierig wartenden Junkfood-Konsumenten bis an die Haustür gebracht.
in den Kältesärgen der Lebensmittelmärkte
Der Siegeszug der Pizza zum unangefochtenen Fundament der Volksernährung ist leicht zu erklären. Einerseits ist Pizza leicht transportierbar, lässt sich ohne besondere Instrumente (Messer, Gabel) konsumieren und sättigt zuverlässig. Doch viel wichtiger ist der Suchtcharakter ihrer Zutaten. Tomaten enthalten von Natur aus eine beträchtliche Menge an Glutamat (140 Milligramm pro 100 Gramm), verantwortlich für den vollmundigen „Umami“-Geschmack, der zu übermäßigem Verzehr animiert. Käse wiederum enthält Casein, das während der Verdauung zu Casomorphin umgebaut wird, einem Stoff, der das Belohnungszentrum unseres Gehirns stimuliert. In geschmolzener Form wirkt Käse noch unwiderstehlicher. Zu all diesen Faktoren gesellt sich schließlich der „Crunch“ der Teigunterlage. Die sonstigen Ingredienzien sind, was die ungeheure Attraktivität der Pizza anbelangt, entbehrlich. Insbesondere abzuraten ist von Derivaten etwa mit kaltem Schinken und Rucola, da sollte man lieber gleich einen Salatteller nehmen und etwas Pizzabrot dazu.
Aus dem vorher Gesagten zu schließen, ich sei ein notorischer Pizza-Verächter, ist falsch. Im Gegenteil, ich liebe Pizza, nur findet man so gut wie nie ein Exemplar, das seiner weltumspannenden Prominenz gerecht wird. Am allerweitesten entfernt von einer Pizza, die ihren Namen verdient, sind jene runden Scheiben, die sich in den Kältesärgen der Lebensmittelmärke stapeln. Selbst wenn man vorschriftsgemäß die Plastikhaut entfernt, ist der Inhalt ungenießbar und der Gestank, der beim Aufbacken entsteht, verpestet über Stunden die ganze Wohnung. Gleich danach auf der Skala der Schrecknisse folgen Produkte von Pizza-Ketten („Pizza Hut“) und Pizza-Schnelldiensten, während man in einer echten italienischen Pizzeria gelegentlich und mit etwas Glück auf Teigfladen stößt, die eine Ahnung davon vermitteln, dass es sich bei einer Pizza eigentlich um ein genial einfaches, ebenso nahr- wie schmackhaftes Backwerk handelt.
Dafür allerdings sollte der Boden möglichst dünn und zäh bis kross, aber niemals durchgeweicht oder verbrannt sein, sollte der Tomatensugo, immer aus vollreifen (Dosen)tomaten, idealerweise San Marzano-Tomaten aus Süditalien bestehen, nicht nur aus rotgefärbtem, chinesischem Wasser, und es sollte einem als Käse kein Kunstprodukt oder geschmacksneutraler, blutjunger Allgäuer Emmentaler untergejubelt werden.
Ich gedulde mich bis zum nächsten Italienurlaub
Was die zahllosen Pizza-Varianten anbelangt, reicht mir persönlich immer eine Pizza Margherita, benannt nach der Gemahlin Umbertos I., italienischer König von 1878 bis 1900, deren Auflage nur aus Tomatensugo, Mozzarellakäse (idealerweise Büffel-Mozzarella), Olivenöl und Basilikum besteht. Wer es pikanter möchte, dem empfiehlt sich eine „napoletana“ mit Sardellen, Kapern und Oliven.
Von der Zubereitung einer Pizza zu Hause sollte man absehen, weil es ein handelsüblicher Backofen niemals auf jene Hitze von 350 bis 400 Grad bringt, die für das Gelingen der Speise zwingend nötig ist. Das können nur spezielle Pizza-Öfen, die jedoch voluminös und teuer sind und schon bei nur einmaligem Gebrauch pro Woche eine Fehlinvestition darstellen. Außerdem ist die Herstellung eines Hefeteiges recht aufwendig und zeitintensiv. Ohne ein solches Gerät lässt sich nur eine Art (meist matschiger) Pizza-Kuchen zubereiten, der sicher Kindern schmeckt, aber anspruchsvollere Esser nicht zufriedenstellen kann.
Wenn ich selbst Lust auf Pizza habe, gedulde ich mich bis zum nächsten Italienurlaub. Und dort gehe ich nicht in eine Pizzeria, sondern zum Bäcker um die Ecke, wo es Pizza vom Blech in stets zuverlässiger bis überragender Qualität zu räsonablen Preisen gibt. Genießen kann man sie auf der örtlichen Piazza oder dem Hotelbalkon, dazu ein Glas einfachen Rotweins. Dann kann einem beim Anblick der im Meer untergehenden Sonne Dr. Oetker den Buckel herunterrutschen.