Georg Etscheit / 13.04.2025 / 12:00 / Foto: Tim Maxeiner / 20 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Pferde-Sauerbraten

Immer mehr alt eingesessene Pferdemetzger müssen schließen, weil die meisten Menschen bei Pferdefleisch die Nase rümpfen. Früher war das anders, da gehörte das Fleisch zur Alltagskost

Jüngst kommentierte ein Achgut-Leser den Beitrag eines Kollegen und kam auf das geliebte Pferd des römischen Kaisers Caligula (37-41 n. Chr.) zu sprechen. Der verehrte den Gaul namens Incitatus so heiß, dass er ihn nicht nur mit goldfarbener Gerste und Wein versorgen ließ, sondern sogar in den Stand eines Konsuls mit ständigem Sitz im Senat erheben wollte. Ob es sich dabei nur um eine der zahlreichen Extravaganzen des zuweilen als geisteskrank beschriebenen Imperators handelte, oder um eine gezielte Demütigung des Senats und somit schnöde Machtpolitik, ist umstritten. Jedenfalls gilt Incitatus heute als Sinnbild für den rücksichtslosen Umgang eines Despoten mit dem politischen Gegner und parlamentarischen Institutionen. Aktuelle Parallelen möge jeder selbst ziehen.

Der geschichtskundige Leser regte in seinem Kommentar an, dass ich mich in meiner Gastrokolumne doch einmal mit dem Thema Pferdefleisch beschäftigen könne. Und weil mir der Wunsch der Leser Befehl ist, möchte ich demselben gerne nachkommen. Wie Incitatus zu Tode kam, nachdem sein stolzer Besitzer mitsamt Gattin und Tochter gemeuchelt worden war, konnte ich nicht herausfinden. Jedenfalls dürfte sicher sein, dass er nicht im Kochtopf landete. Vielleicht wurde er als „Oktoberpferd“ dem Gott Mars geopfert, ein rituelles Opfer, dass immer an den Iden des März zelebriert wurde. 

Einen Equidenpass gab es damals noch nicht. Darin wird vermerkt, ob ein (Reit)-Pferd mit Medikamenten behandelt wurde. Solche Tiere dürfen heute nicht mehr geschlachtet werden. Ohnehin ist der Konsum von Pferdefleisch zumindest in Deutschland sehr überschaubar geworden. Vergangenes Jahr belief sich das gesamte Schlachtgewicht von Pferden inländischer Herkunft auf 932 Tonnen, laut Statista etwas mehr als im Jahr davor, jedoch ein Klacks im Vergleich zu den sage und schreibe 4,1 Millionen Tonnen Schweinefleisch. 

Immer mehr alt eingesessene Pferdemetzger müssen schließen, weil die meisten Menschen bei Pferdefleisch die Nase rümpfen. Früher war das anders, da gehörte das Fleisch der über Jahrtausende unentbehrlichen Nutztiere zur Alltagskost, wovon der berühmte Rheinische Sauerbraten zeugt, der traditionell, ja, aus Pferdefleisch zubereitet wurde, wobei es sich wohl meist um Fleisch älterer, „ausgedienter“ Tiere handelte, welches durch die Beize mürbe gemacht wurde.

Ein Babygläschen mit Pferdefleisch?

Auch heute noch wird insbesondere in Süditalien relativ viel Pferdefleisch verspeist. Es findet sich sogar in italienischer Babynahrung, weil es als fettarm und mineralstoffreich und damit besonders gesund gilt. Wenn Hipp ein Babygläschen mit Pferdefleisch auf den Markt bringen würde, würde der Proteststurm empörter Eltern das Unternehmen womöglich die wirtschaftliche Existenz kosten. Nach dem Pferdefleischskandal von 2013, als in Tiefkühlkost und Soßen nicht deklariertes Pferdefleisch gefunden wurde, hatten Hipp und Alete hochheilig versichert, dass in ihren Gläschen nur das enthalten sei, was außen auf dem Etikett deklariert sei.  Pferdefleisch gehört natürlich nicht dazu.

Ich habe selbst erst ein einziges Mal Pferdefleisch gegessen, obwohl es auf dem Münchner Viktualienmarkt, und damit gewissermaßen bei mir um Ecke, noch einen der letzten bayerischen bzw. deutschen Pferdemetzger gibt. In den fünfziger Jahren habe man, so heißt es auf dessen Webseite noch 20 Pferdemetzgereien in München finden können. „Doch die Zeiten haben sich geändert und das Geschäft mit den Pferden ist stark rückläufig. Heute gibt es nur noch eine einzige Pferdemetzgerei in München, die Metzgerei von Kaspar Wörle auf der Heiliggeist-Seite vom Viktualienmarkt, ohne die es wahrscheinlich gar keine mehr geben würde.“ Klingt ein bisschen nach Karl Valentin...

Mein Erlebnis mit Pferdefleisch spielte sich auf einem samstäglichen Wochenmarkt im Bayerischen Wald ab, wo an einem Stand warme Bockwurst vom Pferd verkauft wurde. Mit einer gewissen Entdeckerlust erstand ich ein stark rötlich gefärbtes Paar, das mich an die kunterbunt gefärbten Lebensmittel in Dänemark erinnerte, biss hinein – und ekelte mich. Warum eigentlich? War es der aufdringlich süßliche Geschmack oder das metallische Aroma – Pferdefleisch enthält viel Eisen. Oder doch die Vorstellung, dass man die heute meist als lebende Sportgeräte dienenden Hausgenossen nicht isst, wie man bei uns auch Hunde und Katzen verschmäht?

Wenn die Wirtschaft weiter abschmiert

Ich aß die Bockwurst nicht auf und warf sie in den Mülleimer, obwohl ich sonst keine Lebensmittel wegzuwerfen pflege. Seither habe ich kein Pferdefleisch mehr probiert, obwohl ich Leute kenne, die von einer Pferdeleberkäse-Semmel schwärmen, wie sie auch auf dem Viktualienmarkt verkauft wird.

Am ehesten könnte ich mir übrigens einen Pferde-Sauerbraten vorstellen, weil die Soße ohnehin süß ist und ihre Intensität auch den Eisengeschmack überdeckt. Rezepte finden sich im Internet, etwa hier  Ein Kilo bereits eingelegter Pferdesauerbraten kostet in einem Onlineversand rund 18 Euro und ist damit ausgesprochen preiswert. 

Wer weiß, wenn die Wirtschaft weiter abschmiert und Deutschland in großenteils selbst verschuldeter Armut versinkt, brechen vielleicht wieder goldene Zeiten für Pferdemetzger an. Ein knurrender Magen dürfte sogar die vielen vegan lebenden Emilias, Lauras und Hannahs mit Pferdepostern im Kinderzimmer überzeugen. 

Hinweis für nächste Woche: 

Diese Kolumne erscheint an Ostersonntag nicht. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein frohes und gesegnetes Osterfest.

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

netiquette:

L. Luhmann / 13.04.2025

@mathias pauls / 13.04.2025 - “Alle Raubtiere und Allesfresser können beim Verzehr, auch gebraten, Trichinen übertragen. Daher, ohne einen Trichinen Test, Finger weg von Hund und Katz.” ” - Dass gebratene Trichinen die Trichinellose auslösen könnten, glaube ich nicht.

Steffen Huebner / 13.04.2025

Heute ist “Pferd” eine Delikatesse und schwer erhältlich. Aber mit dem Verbrenner-Verbot werden auch wieder für den Pferdemetzger und seinem Pferdegulasch die Goldenen Zeiten anbrechen.

mathias pauls / 13.04.2025

In Erinnerung habe ich ein Foto, ob nach WK I oder WK II ist nicht klar ersichtlich, wo ein Mann von einem aufgedunsenen Pferdekadaver ein Stück aus der Keule schneidet. Hunger macht erfinderisch. Gammelfleisch kann man mit Chemikalien aufhübschen. Man kann alles essen, manches aber nur einmal. Der viel gescholtene Fliegenpilz gehört nicht dazu. Der, richtig vorbereitet und in vernünftigen Dosen, kann als Rauschmittel dienen. Doch bei Fleisch ist Vorsicht angebracht. Die Juden, uns kulturell um Äonen voraus, unterschieden zwischen koscher und nicht koscher. Zu Letzterem gehört das Schwein. Was damals aus Erfahrung in die Speisevorschriften einging, ist heute wissenschaftlich erwiesen. Alle Raubtiere und Allesfresser können beim Verzehr, auch gebraten, Trichinen übertragen. Daher, ohne einen Trichinen Test, Finger weg von Hund und Katz.

G.Brugger / 13.04.2025

Pferdesauerbraten ist eine ganz besondere Delikatesse. Ich habe ihn schon oft zubereitet, mit Rosinen und Lebkuchen in der Sauce, und jeder, der davon etwas abbekam (ohne zu wissen, woher das Fleisch stammt, das behielt ich besser für mich) war vor Begeisterung kaum zu bremsen. Leider ist diese Quelle vor einigen Jahren versiegt. Ab und zu kaufe ich in einem Feinkostladen eine Art Salami aus Pferdefleisch, aber die unterscheidet sich im Geschmack nicht erkennbar von anderer Wurst. In westlichen Nachbarländern ist es leichter, Pferdefleisch zu kaufen, da liegt es im Supermarkt direkt neben Rind, Lamm und Schwein.

Wilfried Cremer / 13.04.2025

@ Herrn Szabó, Omas Wellensittich oder Omas gegen Rechts?

Reinhard Schropp / 13.04.2025

Ich habe vor Jahrzehnten in Marokko einen Hackbraten aus Pferdefleisch gegessen und kann die süßliche Geschmacksrichtung bestätigen. Und: Bei so magerem Fleisch in einem Hackbraten sollte man unbedingt auf Saftigkeit durch eingeweichte Brötchen oder Gemüse achten - der Bäcker muss gewinnen ;o) Von der “Achtsamkeit” her ist der Verzehr von Pferd (und Rind) moralisch extrem überlegen: Mit nur einem geschlachteten Tier erreicht man einen zig-tausend-fach höheren Ernährungswert als beim Schlachten von z.B. einer einzelnen Garnele oder eines Mehlwurms. Pferdefleisch ist also gut fürs eigene Gewissen und fürs Karma… Aber, wie schon in vielen Leserkommentaren angemerkt: Das Angebot bestimmt letztlich auch die Nachfrage. Arbeits-Pferde wurden vor gut 100 Jahren durch Automobile und Maschinen ersetzt - Sattelhersteller und Pferdemetzger wurden verdrängt. Trotzdem ist die moralische Frage hochinteressant: Warum eigentlich essen wir auch keine Hunde, Katzen oder Meerschweinchen, wie etliche anderen Kulturen? Meine Vermutung: Es handelt sich um ein Luxus-Problem.

Rudi Knoth / 13.04.2025

Wie ist dies denn bei Pferdefleisch mit dem Angebot allgemein? Vor mehr als 100 Jahren gab es ja Pferde auch hier in Mjtteleuropa als Nutztiere, Heute sind sie ja durch die Motorisierung überflüssig geworden. Oder sind das dann Pferde aus dem Ausland, wo sie noch als Nutztiere gebraucht werden. Auf jeden Fall meine ich damit Transport von Lasten oder zum Pflügen.

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