Immer mehr alt eingesessene Pferdemetzger müssen schließen, weil die meisten Menschen bei Pferdefleisch die Nase rümpfen. Früher war das anders, da gehörte das Fleisch zur Alltagskost
Jüngst kommentierte ein Achgut-Leser den Beitrag eines Kollegen und kam auf das geliebte Pferd des römischen Kaisers Caligula (37-41 n. Chr.) zu sprechen. Der verehrte den Gaul namens Incitatus so heiß, dass er ihn nicht nur mit goldfarbener Gerste und Wein versorgen ließ, sondern sogar in den Stand eines Konsuls mit ständigem Sitz im Senat erheben wollte. Ob es sich dabei nur um eine der zahlreichen Extravaganzen des zuweilen als geisteskrank beschriebenen Imperators handelte, oder um eine gezielte Demütigung des Senats und somit schnöde Machtpolitik, ist umstritten. Jedenfalls gilt Incitatus heute als Sinnbild für den rücksichtslosen Umgang eines Despoten mit dem politischen Gegner und parlamentarischen Institutionen. Aktuelle Parallelen möge jeder selbst ziehen.
Der geschichtskundige Leser regte in seinem Kommentar an, dass ich mich in meiner Gastrokolumne doch einmal mit dem Thema Pferdefleisch beschäftigen könne. Und weil mir der Wunsch der Leser Befehl ist, möchte ich demselben gerne nachkommen. Wie Incitatus zu Tode kam, nachdem sein stolzer Besitzer mitsamt Gattin und Tochter gemeuchelt worden war, konnte ich nicht herausfinden. Jedenfalls dürfte sicher sein, dass er nicht im Kochtopf landete. Vielleicht wurde er als „Oktoberpferd“ dem Gott Mars geopfert, ein rituelles Opfer, dass immer an den Iden des März zelebriert wurde.
Einen Equidenpass gab es damals noch nicht. Darin wird vermerkt, ob ein (Reit)-Pferd mit Medikamenten behandelt wurde. Solche Tiere dürfen heute nicht mehr geschlachtet werden. Ohnehin ist der Konsum von Pferdefleisch zumindest in Deutschland sehr überschaubar geworden. Vergangenes Jahr belief sich das gesamte Schlachtgewicht von Pferden inländischer Herkunft auf 932 Tonnen, laut Statista etwas mehr als im Jahr davor, jedoch ein Klacks im Vergleich zu den sage und schreibe 4,1 Millionen Tonnen Schweinefleisch.
Immer mehr alt eingesessene Pferdemetzger müssen schließen, weil die meisten Menschen bei Pferdefleisch die Nase rümpfen. Früher war das anders, da gehörte das Fleisch der über Jahrtausende unentbehrlichen Nutztiere zur Alltagskost, wovon der berühmte Rheinische Sauerbraten zeugt, der traditionell, ja, aus Pferdefleisch zubereitet wurde, wobei es sich wohl meist um Fleisch älterer, „ausgedienter“ Tiere handelte, welches durch die Beize mürbe gemacht wurde.
Ein Babygläschen mit Pferdefleisch?
Auch heute noch wird insbesondere in Süditalien relativ viel Pferdefleisch verspeist. Es findet sich sogar in italienischer Babynahrung, weil es als fettarm und mineralstoffreich und damit besonders gesund gilt. Wenn Hipp ein Babygläschen mit Pferdefleisch auf den Markt bringen würde, würde der Proteststurm empörter Eltern das Unternehmen womöglich die wirtschaftliche Existenz kosten. Nach dem Pferdefleischskandal von 2013, als in Tiefkühlkost und Soßen nicht deklariertes Pferdefleisch gefunden wurde, hatten Hipp und Alete hochheilig versichert, dass in ihren Gläschen nur das enthalten sei, was außen auf dem Etikett deklariert sei. Pferdefleisch gehört natürlich nicht dazu.
Ich habe selbst erst ein einziges Mal Pferdefleisch gegessen, obwohl es auf dem Münchner Viktualienmarkt, und damit gewissermaßen bei mir um Ecke, noch einen der letzten bayerischen bzw. deutschen Pferdemetzger gibt. In den fünfziger Jahren habe man, so heißt es auf dessen Webseite noch 20 Pferdemetzgereien in München finden können. „Doch die Zeiten haben sich geändert und das Geschäft mit den Pferden ist stark rückläufig. Heute gibt es nur noch eine einzige Pferdemetzgerei in München, die Metzgerei von Kaspar Wörle auf der Heiliggeist-Seite vom Viktualienmarkt, ohne die es wahrscheinlich gar keine mehr geben würde.“ Klingt ein bisschen nach Karl Valentin...
Mein Erlebnis mit Pferdefleisch spielte sich auf einem samstäglichen Wochenmarkt im Bayerischen Wald ab, wo an einem Stand warme Bockwurst vom Pferd verkauft wurde. Mit einer gewissen Entdeckerlust erstand ich ein stark rötlich gefärbtes Paar, das mich an die kunterbunt gefärbten Lebensmittel in Dänemark erinnerte, biss hinein – und ekelte mich. Warum eigentlich? War es der aufdringlich süßliche Geschmack oder das metallische Aroma – Pferdefleisch enthält viel Eisen. Oder doch die Vorstellung, dass man die heute meist als lebende Sportgeräte dienenden Hausgenossen nicht isst, wie man bei uns auch Hunde und Katzen verschmäht?
Wenn die Wirtschaft weiter abschmiert
Ich aß die Bockwurst nicht auf und warf sie in den Mülleimer, obwohl ich sonst keine Lebensmittel wegzuwerfen pflege. Seither habe ich kein Pferdefleisch mehr probiert, obwohl ich Leute kenne, die von einer Pferdeleberkäse-Semmel schwärmen, wie sie auch auf dem Viktualienmarkt verkauft wird.
Am ehesten könnte ich mir übrigens einen Pferde-Sauerbraten vorstellen, weil die Soße ohnehin süß ist und ihre Intensität auch den Eisengeschmack überdeckt. Rezepte finden sich im Internet, etwa hier Ein Kilo bereits eingelegter Pferdesauerbraten kostet in einem Onlineversand rund 18 Euro und ist damit ausgesprochen preiswert.
Wer weiß, wenn die Wirtschaft weiter abschmiert und Deutschland in großenteils selbst verschuldeter Armut versinkt, brechen vielleicht wieder goldene Zeiten für Pferdemetzger an. Ein knurrender Magen dürfte sogar die vielen vegan lebenden Emilias, Lauras und Hannahs mit Pferdepostern im Kinderzimmer überzeugen.
Hinweis für nächste Woche:
Diese Kolumne erscheint an Ostersonntag nicht. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein frohes und gesegnetes Osterfest.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.