Themen-Bäckereien schießen wie Pilze aus dem Boden. Nach Cronut und Macarons kommt nun der neueste Hype aus Down Under: die Pawlowa.
Bei mir um die Ecke gibt es einen Bäcker, der so aussieht, wie früher deutsche Bäcker ausgesehen haben. Ich meine nicht den Inhaber, den kenne ich nicht, weil er im Keller unter seinem Ladengeschäft gewissermaßen im Verborgenen werkelt. Ich meine den Laden über Tage, der ein bisschen altmodisch daherkommt, nicht vom Innenarchitekten gestylt wie bei den trendigen Biosauerteig-Bäckern. Hier dröhnt keine Popmusik, und man wird nicht kumpelhaft geduzt. Alles normal, unspektakulär, aber sympathisch.
Normal auch das Angebot, das man guten Gewissens „breit“ nennen kann: Verschiedene Sorten Brot, Brötchen, Brezeln, eine Auswahl der gängigen Torten – Schwarzwälder Kirsch, Frankfurter Kranz, auch Windbeutel, die selten geworden sind. Als Zugeständnis an den schon nicht mehr ganz aktuellen Zeitgeist: Tiramisu-Schnitten. Das schmeckt alles nicht schlecht, aber auch nicht umwerfend. Zu großer Form läuft mein Bäcker auf mit dem, was man gemeinhin als Bäckerkuchen bezeichnet. Nicht die feine Patisserie, sondern Hefegebäck, Plunderteilchen und was darüber hinaus den Kanon eines ordentlichen deutschen Bäckers ausmacht oder, vielleicht sollte man sagen, ausgemacht hat: Schweinsohren, Schokostangen, Teeblätter, Ochsenaugen, Nussecken, Amerikaner...
Sehr ordentlich sind seine Mohnschleifen, die Nusshörnchen und Apfeltaschen, ebenso Rohrnudeln, Nusszopf und glasierte Strauben. Immer frisch in der Saison: Krapfen mit unterschiedlichen Füllungen. Beste deutsche Backtradition. Auch die Croissants können sich sehen lassen, obwohl sie ein französischer Import sind. Die (süd)deutsche Entsprechung nennt sich Bamberger Hörnchen, ein mürbes, buttriges Plundergebäck, nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Kartoffeln und nur noch selten im Angebot. Ideal für ein schnelles Frühstück.
Trend geht zur Themenbäckerei
Immer wenn ich bei meinem Normalo-Bäcker vorbeischaue, ist mir ein wenig bang ums Herz. Immer erwarte ich, dass mich ein schnell hingetippter Zettel an der Tür darauf hinweist, dass man nach soundsoviel Jahren leider gezwungen sei, den Betrieb aufzugeben, weil man vergeblich nach einem Nachfolger gesucht habe. „Wir danken unserer langjährigen, treuen Kundschaft“ – so etwas Ähnliches. Jüngst hing wirklich ein Zettel an der Tür. Glücklicherweise informierte er nur darüber, dass wegen Personalmangels an Sonn- und Feiertagen bis auf Weiteres nicht mehr aufgesperrt werde.
Den inhabergeführten Universalbäckern geht es wie den Kaufhäusern. Sie sterben aus. An ihre Stelle treten gesichtslose Filialbäcker oder neuerdings Themenbäcker, die nur ein einziges Produkt im Angebot haben, etwas, was gerade in Mode ist und vor allem, was auf Instagram eine gute Figur macht. Ich wunderte mich einmal darüber, dass sich vor einem mir bisher unbekannten Laden eine lange Schlange gackernder Jugendlicher gebildet hatte, alle mit Handy im Anschlag. Es herrschte eine Atmosphäre gespannter Erwartung. Wer es nach langem Warten nach drinnen geschafft hatte, trug stolz einen quietschbunten Kuchen heraus, der zunächst fotografiert und vielleicht auch verspeist wurde. Später lernte ich, dass es sich um einen Cupcake handelte, ein aus den USA stammendes, mit diversen „Toppings“ und „Frostings“ aufwändig dekoriertes Trendgebäck.
In der schnelllebigen Welt des Internets sind Cupcakes schon wieder out, und der Laden, der mir einst Rätsel aufgab, ist längst geschlossen. Jetzt findet sich in den Räumlichkeiten – noch schrecklicher – ein Automaten-Kiosk. Nach den Cupcakes kamen die Cronuts, eine Kreuzung von Croissant und Donut, erfunden vor gut zehn Jahren von einem New Yorker Patissier mit französischen Wurzeln. Via Internet wurde das „Frankenstein-Gebäck“ („Neue Züricher Zeitung“) quasi über Nacht weltweit bekannt. Die Amis wissen eben, wie man einen Markting-Hype kreiert.
Süß und Instagram-tauglich
Zehn Jahre sind heutzutage eine Ewigkeit, auch wenn man uns weismachen will, vorhersagen zu können, wie das Klima in hundert Jahren aussehen wird. Jedenfalls ist der Cronut-Hype auch schon wieder Geschichte. Jetzt befinden wir uns im Zimtschnecken-Zeitalter. Entsprechende Themen-Bäckereien schießen gerade wie Pilze aus dem Boden und werden von jugendlichen Smartphonisten gestürmt.
Und schon steht der nächste Hype vor der Tür: die Pawlowa. Das nach der russischen Ballerina Anna Pawlowa (1881–1931) benannte Schaumgebäck stammt aus Australien bzw. Neuseeland und ist gerade dabei, Europa zu erobern. Es handelt sich um ein Baisertörtchen, das im Original aus Down Under mit ungesüßter Schlagsahne gefüllt und allerlei Früchten dekoriert wird: Johannisbeeren, Blaubeeren, Erdbeeren, Kiwis oder Passionsfrucht. Hauptsache bunt.
Das Prinzip ist immer das gleiche: ein eher schlichtes, leicht zu vervielfältigendes und zu variierendes, vor allem süß schmeckendes Produkt mit einprägsamem Namen und Instagram-tauglichem Erscheinungsbild. Am Kurfürstendamm in Berlin soll demnächst das erste reine Pawlowa-Café Deutschlands eröffnet werden, als Niederlassung einer estnischen Franchise-Kette. Vielleicht gelingt der Pawlowa ja eine Karriere wie jener der aus Frankreich stammenden Macarons, die längst zum Sortiment der meisten deutschen Konditoren gehören, obwohl sie nicht viel mehr zu bieten haben als ein nettes Äußeres und einen süß-knetschigen Kindergeschmack. Mein Normalo-Bäcker hat sich dem Trend noch nicht hingegeben. Dafür sollte ich ihm einmal persönlich danken.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.