Bei „Dinner for One“ wird nicht nur Alkohol aufgetischt, sondern unter anderem auch eine scharfe gewürzte indische Currysuppe auf Basis von Hühnerbrühe und Kokosmilch – die Mulligatawny-Suppe.
Der britische Komiker Freddie Frinton war kein Freund der Deutschen. Als Truppenbetreuer überstand er den Zweiten Weltkrieg, machte in den Fünfzigern bei der BBC eine beachtliche Karriere als Comedy-Star und avancierte in den Sechziger Jahren ausgerechnet im Land des früheren Erzfeindes zum Kultdarsteller. Als trotteliger Butler James in „Dinner for One“ ist der schon 1968 verstorbene Schauspieler bis heute eine verlässliche Lachnummer, auch wenn sein stets am Silvesterabend ausgestrahlter Sketch mit seinem neoviktorianischen Gepräge und seinem Altherrenwitz Patina angesetzt hat.
Bei „Dinner for One“ handelt es sich übrigens um eine deutsche Produktion, ungeachtet der Tatsache, dass Frinton und seine Partnerin May Warden in dem Stück nur englisch sprechen. Angeblich weigerte sich Frinton, in der Sprache des lange verhassten Volkes aufzutreten, was beim deutschen Publikum bis heute zu mancherlei Missverständnissen führt.
Wenn James etwa beim Genuss eines Glases Portwein im schon deutlich angeheiterten Zustand „Huuu, I’ll kill that cat“ ausruft, bezieht sich das nicht auf das Tigerfell, über das er immer stolpert, sondern bedeutet eine aus dem Militärjargon herrührende Wendung für „schmeckt wie Katzenpisse“.
„Piss-up for One“
Dabei sind wir recht umstandslos bei der kulinarischen Seite von „Dinner for One“ angelangt, wobei das Essen in dem Sketch nur eine Nebenrolle spielt. Eigentlich müsste es „Piss-up (Besäufnis) for One“ heißen. Das „Dinner for One“-Menü erschließt sich zunächst durch die zu den vier Gängen servierten Getränke. „Sherry with the soup“ mutet ungewöhnlich an, wird dieser (mit reinem Alkohol) aufgespritete Wein aus Südspanien hierzulande vor allem als Aperitiv vor einer Mahlzeit serviert. Als Begleitung zu einem Essen könnte er Sinn machen, wenn es sich um scharf gewürzte Speisen handelt, denen ein normaler Wein zu wenig Gewicht entgegensetzen würde.
„White wine with the fish“ entspricht dagegen den klassischen Regeln des Food-Pairing. Im imperialen Setting von „Dinner for One“ dürfte es sich um einen restsüßen Moselriesling gehandelt haben oder einen an der Tafel der Royals einst hoch angesehenen „Hoch“, einen Riesling aus Hochheim am Main. „Champagne with the bird“ ist dagegen wieder erklärungsbedürftig insofern, als Schaumweine hierzulande selten zum Essen getrunken werden, sondern den Charakter eines Eventgetränks angenommen haben, was wiederum schade ist, weil Sommeliers wissen, dass Champagner in seinen verschiedenen Stilen und Geschmackrichtungen (brut zero, extra brut, brut, demi-sec, doux) nachgerade „zu allem passt“. Vor allem natürlich zu Meeresfrüchten und Fisch. Aber warum nicht, wie bei Miss Sophie auch zu einem saftigen „chicken“, kredenzt mit einer Sahnesauce beispielsweise.
Bliebe der Nachtisch, der bei Miss Sophies 90. Geburtstag umstandslos aus „fruit“ besteht. Ob der von James dazu eingeschenkte Portwein weiß oder rot, süß oder trocken ist, geht aus dem Text zur Handlung von „Dinner for One“ nicht hervor. Auch hier wäre als Rausschmeißer ein Champagner nicht fehl am Platze oder ein Süßwein. Aber Port war einmal very, very british. Rotes Fleisch fehlt im „Dinner for One“-Menü. Deshalb darf James auch keinen „clairet“ aus dem Keller holen, wie in England unterschiedslos Weine aus Bordeaux tituliert werden.
„Pfeffer“ und „Wasser“
Im Laufe von deutlich mehr als einem halben Jahrhundert „Dinner for One“ gab es zahlreiche Versuche, das Geburtstagsessen für Miss Sophie im Detail nachzuempfinden. Die Quellen sind sich dahingehend einig, dass es sich bei der Suppe um eine scharfe gewürzte, indische Currysuppe auf Basis von Hühnerbrühe und Kokosmilch handeln muss, in Großbritannien bis heute als Mulligatawny-Suppe verbreitet und beliebt. Der skurril klingende Name ist ein anglisiertes Kompositum aus den tamilischen Begriffen für „Pfeffer“ und „Wasser“.
Auch hinsichtlich des Fischganges stimmen die Quellen darin überein, dass der Jubilarin ein Schellfisch (Haddock) kredenzt wurde, der auch Bestandteil des englischen Nationalgerichts Fish & Chips ist. Bei einer Dame von Welt wie Miss Sophie allerdings nicht mit schaurigem Malzessig überträufelt, sondern vielleicht von einer Senfsauce begleitet. Falls der von James servierte Fisch nicht gedünstet, sondern frittiert war, was angesichts alter Fräuleins mit Magenproblemen unwahrscheinlich erscheint, kann es sich auch um eine Sauce Tartar gehandelt haben.
Ein einfaches Brathuhn als Fleischgang dürfte angesichts der noblen Getränkebegleitung (Champagner) auszuschließen sein. Vielleicht gab es zur sanft gegarten Hühnerbrust eine Champagnersauce, basierend auf einer hellen Mehlschwitze und einem Geflügelfonds. Wohlschmeckend und magenfreundlich. Schließlich wollte Miss Sophie ja nicht auf „same procedure as every year“ verzichten, wenn sie James nach dem Mahl die Treppe hinauf in ihr Schlafgemach nötigte. Ob und wie der sturzbetrunkene Dienstbote auch diese letzte Pflicht des alten Jahres zu erfüllen vermochte, wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.