Georg Etscheit / 29.12.2024 / 12:00 / Foto: Tomaschoff / 5 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Mulligatawny-Suppe

Bei „Dinner for One“ wird nicht nur Alkohol aufgetischt, sondern unter anderem auch eine scharfe gewürzte indische Currysuppe auf Basis von Hühnerbrühe und Kokosmilch – die Mulligatawny-Suppe.

Der britische Komiker Freddie Frinton war kein Freund der Deutschen. Als Truppenbetreuer überstand er den Zweiten Weltkrieg, machte in den Fünfzigern bei der BBC eine beachtliche Karriere als Comedy-Star und avancierte in den Sechziger Jahren ausgerechnet im Land des früheren Erzfeindes zum Kultdarsteller. Als trotteliger Butler James in „Dinner for One“ ist der schon 1968 verstorbene Schauspieler bis heute eine verlässliche Lachnummer, auch wenn sein stets am Silvesterabend ausgestrahlter Sketch mit seinem neoviktorianischen Gepräge und seinem Altherrenwitz Patina angesetzt hat.

Bei „Dinner for One“ handelt es sich übrigens um eine deutsche Produktion, ungeachtet der Tatsache, dass Frinton und seine Partnerin May Warden in dem Stück nur englisch sprechen. Angeblich weigerte sich Frinton, in der Sprache des lange verhassten Volkes aufzutreten, was beim deutschen Publikum bis heute zu mancherlei Missverständnissen führt.

Wenn James etwa beim Genuss eines Glases Portwein im schon deutlich angeheiterten Zustand „Huuu, I’ll kill that cat“ ausruft, bezieht sich das nicht auf das Tigerfell, über das er immer stolpert, sondern bedeutet eine aus dem Militärjargon herrührende Wendung für „schmeckt wie Katzenpisse“.

„Piss-up for One“

Dabei sind wir recht umstandslos bei der kulinarischen Seite von „Dinner for One“ angelangt, wobei das Essen in dem Sketch nur eine Nebenrolle spielt. Eigentlich müsste es „Piss-up (Besäufnis) for One“ heißen. Das „Dinner for One“-Menü erschließt sich zunächst durch die zu den vier Gängen servierten Getränke. „Sherry with the soup“ mutet ungewöhnlich an, wird dieser (mit reinem Alkohol) aufgespritete Wein aus Südspanien hierzulande vor allem als Aperitiv vor einer Mahlzeit serviert. Als Begleitung zu einem Essen könnte er Sinn machen, wenn es sich um scharf gewürzte Speisen handelt, denen ein normaler Wein zu wenig Gewicht entgegensetzen würde.

„White wine with the fish“ entspricht dagegen den klassischen Regeln des Food-Pairing. Im imperialen Setting von „Dinner for One“ dürfte es sich um einen restsüßen Moselriesling gehandelt haben oder einen an der Tafel der Royals einst hoch angesehenen „Hoch“, einen Riesling aus Hochheim am Main. „Champagne with the bird“ ist dagegen wieder erklärungsbedürftig insofern, als Schaumweine hierzulande selten zum Essen getrunken werden, sondern den Charakter eines Eventgetränks angenommen haben, was wiederum schade ist, weil Sommeliers wissen, dass Champagner in seinen verschiedenen Stilen und Geschmackrichtungen (brut zero, extra brut, brut, demi-sec, doux) nachgerade „zu allem passt“. Vor allem natürlich zu Meeresfrüchten und Fisch. Aber warum nicht, wie bei Miss Sophie auch zu einem saftigen „chicken“, kredenzt mit einer Sahnesauce beispielsweise.

Bliebe der Nachtisch, der bei Miss Sophies 90. Geburtstag umstandslos aus „fruit“ besteht. Ob der von James dazu eingeschenkte Portwein weiß oder rot, süß oder trocken ist, geht aus dem Text zur Handlung von „Dinner for One“ nicht hervor. Auch hier wäre als Rausschmeißer ein Champagner nicht fehl am Platze oder ein Süßwein. Aber Port war einmal very, very british. Rotes Fleisch fehlt im „Dinner for One“-Menü. Deshalb darf James auch keinen „clairet“ aus dem Keller holen, wie in England unterschiedslos Weine aus Bordeaux tituliert werden.

„Pfeffer“ und „Wasser“

Im Laufe von deutlich mehr als einem halben Jahrhundert „Dinner for One“ gab es zahlreiche Versuche, das Geburtstagsessen für Miss Sophie im Detail nachzuempfinden. Die Quellen sind sich dahingehend einig, dass es sich bei der Suppe um eine scharfe gewürzte, indische Currysuppe auf Basis von Hühnerbrühe und Kokosmilch handeln muss, in Großbritannien bis heute als Mulligatawny-Suppe verbreitet und beliebt. Der skurril klingende Name ist ein anglisiertes Kompositum aus den tamilischen Begriffen für „Pfeffer“ und „Wasser“.

Auch hinsichtlich des Fischganges stimmen die Quellen darin überein, dass der Jubilarin ein Schellfisch (Haddock) kredenzt wurde, der auch Bestandteil des englischen Nationalgerichts Fish & Chips ist. Bei einer Dame von Welt wie Miss Sophie allerdings nicht mit schaurigem Malzessig überträufelt, sondern vielleicht von einer Senfsauce begleitet. Falls der von James servierte Fisch nicht gedünstet, sondern frittiert war, was angesichts alter Fräuleins mit Magenproblemen unwahrscheinlich erscheint, kann es sich auch um eine Sauce Tartar gehandelt haben.

Ein einfaches Brathuhn als Fleischgang dürfte angesichts der noblen Getränkebegleitung (Champagner) auszuschließen sein. Vielleicht gab es zur sanft gegarten Hühnerbrust eine Champagnersauce, basierend auf einer hellen Mehlschwitze und einem Geflügelfonds. Wohlschmeckend und magenfreundlich. Schließlich wollte Miss Sophie ja nicht auf „same procedure as every year“ verzichten, wenn sie James nach dem Mahl die Treppe hinauf in ihr Schlafgemach nötigte. Ob und wie der sturzbetrunkene Dienstbote auch diese letzte Pflicht des alten Jahres zu erfüllen vermochte, wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben.  

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Tomaschoff

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Peter Bauch / 29.12.2024

Als Butler der alten englischen Schule, hat James jedes Jahr die Gelegenheit, sich die 90 jährige Lady schönzusaufen. Ich bin somit der felsenfesten Überzeugung daß James die Lady auch in den oberen Gemächern zu ihrer vollsten Zufriedenheit bedient hat.

Heike Olmes / 29.12.2024

Danke für die unterhaltsame Hintergrundinformation.

Gerd Maar / 29.12.2024

Für einen Sketch, den in England keiner kennt wäre als erster Gang eine Mockturtlesuppe passender gewesen. Die scheinbar englische Suppe ist ebenfalls in Deutschland populärer als auf der Insel.

Barbo Elsach / 29.12.2024

Es ist überhaupt kein Rätsel, denn James sagte mit klarer und fester Stimme: “I’ll do my very best”

Bernhard Freiling / 29.12.2024

Jetzt beginne ich zu verstehen, wie aus den Begriffen “alles für Deutschland” und “Denkmal der Schande” seitenlange Beiträge abgeleitet werden konnten, die jeden nur denkbaren “Nazi"Hintergrund beleuchteten. Deren Protagonisten müssen über eine ähnlich breit gefächerte Phantasie verfügen wie Herr Etscheit. # Wie auch immer: zum echten Genuß gerät “Dinner for One” erst, würde der Film immer an den relevanten Stellen angehalten und die entsprechende Szene durch die Einfügung der kundigen Erklärung dieses Artikels begleitet werden. ;-) :-)

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 09.02.2025 / 13:00 / 6

Cancel Cuisine: Verlorene Eier

Pochierte Eier sind im Gegensatz zu Windeiern etwas ganz Feines. Eine der bekanntesten Varianten ist das Eggs Benedikt – eine gute Idee für einen gehaltvollen…/ mehr

Georg Etscheit / 02.02.2025 / 12:00 / 13

Cancel Cuisine: Kaffeehauskultur

Kaffeehäuser sind zugleich öffentliche und private Orte. Zunächst ist jeder willkommen. Doch wenn man einen freien Platz gefunden hat, wird dieser Platz zum privaten Refugium…/ mehr

Georg Etscheit / 29.01.2025 / 16:00 / 10

Humormetropole Aachen: Kein Kaiser, aber Kekse, und Orden

Der hochmögende Aachner Karlspreis und der ebenfalls in Aachen entsprungene karnevalistische "Orden wider die tierischen Ernst" streiten sich darum, welche Preisträger-Auswahl den schrägsten Humor verrät.…/ mehr

Georg Etscheit / 26.01.2025 / 12:00 / 17

Cancel Cuisine: Marzipan

Wer an Lübeck denkt, denkt an Marzipan – und nicht wie Annalena Baerbock an Schokolade. Ob sie überhaupt schon mal von der Süßigkeit gekostet hat?…/ mehr

Georg Etscheit / 19.01.2025 / 12:00 / 10

Cancel Cuisine: Fernsehköche, die Freibeuter in weiß

Kochshows sind das wohl letzte Refugium für Männer, die noch Männer sein dürfen. Allerdings scheint es, als würde die Mehrzahl dieser Spezies aufgrund krimineller Energie…/ mehr

Georg Etscheit / 12.01.2025 / 13:00 / 5

Cancel Cuisine: Acker statt Universum

Kimbal Musk, Elons Musks kleiner Bruder, will die Ernährungsweise der US-Bürger umkrempeln Der Multimilliardär und künftige oberste Bürokratiebekämpfer der Trump-Administration, Elon Musk, mischt die hinter…/ mehr

Georg Etscheit / 06.01.2025 / 06:15 / 54

Dackel sind jetzt auch rechts

Im Zuge des Kulturkampfes pinkelt jetzt auch der Dackel an die Brandmauer, unschuldig waren diese Gesellen ja nie, nun sind sie respektive ihre Besitzer rechter…/ mehr

Georg Etscheit / 05.01.2025 / 13:00 / 11

Cancel Cuisine: Rosenkohl

Dass im Winter im Freien nichts wächst, ist heutzutage weitgehend in Vergessenheit geraten. Das gilt auch für das häufig angepriesene „Wintergemüse“ wie Weißkohl, Wirsing, Lauch…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com