Emmanuel Macron lud Chinas Staatschef Xi Jinping zu einer Jause in einem französischen Berggasthof ein. Der ursprünglich vorgesehene Dessert-Kuchen „Le Russe" wurde aber nicht kredenzt, der Name schien wohl zu verfänglich.
Üblicherweise bewirtet der französische Staatspräsident Emmanuel Macron seine Staatsgäste im Élysée-Palast. Dort kann die erlesene Küchenbrigade unter Fabrice Desvignes, „Meilleure Ouvrier de France“, Zweisternekoch und Träger eines Bocuse d’Or, auch absonderliche Wünsche erfüllen, etwa salzlose Gerichte, wie sie der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach favorisiert.
Beim jüngsten Staatsbesuch des chinesischen Staatschefs Xi Jinping jedoch zog es Macron hoch hinaus in die Pyrenäen, wo er als Kind seine Ferien verbrachte. Genauer gesagt auf den Col du Tourmalet, 2.115 Meter über dem Meeresspiegel, und legendäre Etappe der Tour de France. Zu Mittag speisten die beiden Politiker zusammen mit ihren Ehefrauen in einem Bergrestaurant namens „L‘etape du berger“ (auf deutsch etwa „Rastplatz des Schäfers“) , das von Eric Abadie, einem Freund Macrons, geführt wird.
Ein Foto zeigt Macron, wie er dem chinesischen Autokraten ein Glas Rotwein aus einer Magnumflasche einschenkt, offenbar ein Bordeaux, während Brigitte telegen mit Sonnenbrille in die Kamera lächelt. Im Hintergrund sieht man verschneite Berge und eine Aufstiegshilfe des dortigen Skiresorts La Mongie.
Das Menü war betont bodenständig und bestand, Cem Özedmir hätte seine Freude gehabt, nur aus regionalen Gerichten, wobei die Fleischlastigkeit dem vegetarischen Landwirtschaftsminister sicher weniger behagt hätte: Schinken vom schwarzen Schwein, Lammschulter mit Bohnen und glasierten Gemüsen, gefolgt von Pyrenäenkäse und einem Blaubeerkuchen. Er habe das Menü ein paar Wochen zuvor dem Élysée vorgeschlagen, sagte Abadie der Zeitung „La Dépêche“.
Der mit Puderzucker bestreute Kuchen
Eine kleine Änderung gab es, denn ursprünglich hatte Abadie offenbar die Nachspeise „Le Russe“ vorgesehen, die jedoch „aufgrund des geopolitischen Kontextes“ – Macron hat Russland in letzter Zeit mehrfach mit dem Einmarsch französischer Truppen in die Ukraine gedroht – durch eben jene unauffällige „Tarte au myrtilles“ ersetzt wurde. Hatte sich Abadie mit seinem ersten Vorschlag als Putinversteher zu erkennen gegeben? Auf jeden Fall wollten die französischen Diplomaten wohl auf Nummer sicher gehen, nicht dass sich am rustikalen Jausentisch des Berggasthofs eine informelle, prorussische Allianz zwischen dem Patron und dem chinesischen Staatschef angebahnt hätte.
Bei der Nachspeise „Le Russe“ handelt es sich allerdings nur dem Namen nach um eine russische Süßigkeit. Kreiert wurde die flache, mit einer Pralinénmasse gefüllte Mandelbiskuittorte 1925 von einem Patissier namens Adrien Artigarrède aus Oloron-Sainte-Marie, angelehnt an ein Rezept aus dem 19. Jahrhundert und angeblich wiederentdeckt für eine vor den Bolschewisten geflohene Moskauer Prinzessin. Oloron-Saint-Marin liegt, wie auch das Skiressort La Mongie, nicht weit entfernt vom berühmten französischen Wallfahrtsort Lourdes. So handelt es sich bei „Le Russe“, wenn man so will, auch um eine regionale Spezialität.
Der mit Puderzucker bestreute Kuchen soll „russisch“ getauft worden sein, weil die Mandeln für den Teig im 19. Jahrhundert, so eine Quelle, von der Krim gekommen seien und die weiße Oberfläche an die verschneiten Ebenen Russlands habe erinnern sollen. Ob die romantische Geschichte stimmt, vermag ich nicht zu beurteilen. Zumindest ist die Herkunft der Mandelbäume sicher nicht auf der heute von Russland annektierten Krim zu suchen, sondern liegt irgendwo in Asien.
Vielleicht mochte Xi den Blaubeerkuchen nicht
Es wird des weiters berichtet, dass der ehemalige französische Staatspräsident François Mitterand den Kuchen für sich entdeckt und ihm einen festen Platz in der Küche des Elysee-Palastes eingeräumt habe, wo ihn auch seine Nachfolger Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy zahlreichen ausländischen Staatsgäste kredenzt hätten. Auch Emmanuel Macron und seiner Gattin wird nachgesagt, diesen Nachtisch zu goutieren.
Was die beiden Politiker bei Tisch in über 2.000 Metern Höhe besprachen, blieb im Detail unbekannt. In Sachen Ukraine jedenfalls ließ sich Xi nur zu allgemeinen Friedensbekundungen hinreißen und fuhr hernach weiter nach Ungarn und Serbien, wo Macrons kriegerische Rhetorik auf Widerspruch stößt.
Vielleicht mochte Xi ja den Blaubeerkuchen nicht. Blaubeeren machen eine blaue Zunge, was die immer um Gesichtswahrung bemühten Chinesen durchaus hätten als Affront deuten können. Ein bleu bec („blauer Schnabel“) jedenfalls ist in Frankreich ein unerfahrener Jüngling, ein „Grünschnabel“. Hoffentlich ist man da nicht ins Fettnäpfchen getreten.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.