Georg Etscheit / 21.04.2024 / 12:00 / Foto: Pixabay / 23 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Kräuterküche

Naturverbundene Großstädter meinen, ein Leben im Einklang mit der Schöpfung zu führen, wenn sie sich allerlei wildes Grünzeug aneignen, das früher unter Unkraut lief, um damit zu Hause Hildegard von Bingen nachzueifern.

Als ich vor ein paar Tagen eine Frau mittleren Alters dabei beobachtete, wie sie am Fuße eines Straßenbaumes Löwenzahnblätter sammelte, wurde mir ganz blümerant zumute. An dieser Stelle pflegt nämlich mein Poldi immer sein kleines Geschäft zu machen. Auch andere Hunde benutzen die Stelle als Möglichkeit, sich geruchsmäßig bemerkbar zu machen, ihr „Revier“ zu markieren. Ich weiß auch, dass Hundepipi eine ziemlich zähe Flüssigkeit ist, die man nur mit Mühe abwaschen kann. Ist wohl von der Natur so gewollt. Ob das der Dame auch bewusst war, wenn sie aus den selbst gesammelten Kräutern einen Salat herstellt und womöglich Freunde und Bekannte mit dieser Speise beglückt?

Das Kräutersammeln auf innerstädtischen Grünflächen und in Parks hat Konjunktur, seit die Grünflächenämter aus ökologischen Rücksichten immer seltener mähen und natürlich keine Unkrautvertilger mehr ausbringen dürfen. Naturverbundene Großstädter meinen, ein Leben im Einklang mit der Schöpfung zu führen, wenn sie sich allerlei wildes Grünzeug aneignen, das früher unter Unkraut lief, um damit zu Hause Hildegard von Bingen nachzueifern, die als Urmutter der Kräuterei gilt und neuerdings auch als „wertvolle Orientierung zum Umgang mit dem Klimawandel“ herhalten muss.

Natürlich schwärmen sie auch aus in die freie Natur, wo die Gefahr, verpinkelten oder von Taubenkot verunreinigten Löwenzahn, Sauerampfer oder Brennnesseln zu erwischen, zwar deutlich geringer ist. Das ändert aber nichts daran, dass die meisten dieser Kräuter, sei es nun Giersch, Spitzwegerich, Huflattich, Brennnessel, Löwenzahn, Knoblauchsrauke oder Rainfarn wenig kulinarische Qualitäten haben und nicht in den Kochtopf oder die Salatschüssel, sondern auf den Komposthaufen gehören. Sie sind oft einfach nur bitter. 

Der Kräutergarten, ein Biotop für Esoteriker

Bei Recherchen im Internet stößt man gleich im Dutzend auf selbsternannte Experten, meist sind es Frauen fortgeschrittenen Alters, die nach erfolgreicher Trennung vom lästigen Ehegatten ihre Berufung zur Kräuterhexe entdeckt haben. Sie schreiben Bücher („Die Magie der Kräuter“), bieten meist gegen Entgelt Kräuterwanderungen und Kräuterkochkurse an und bieten Selbstgesammeltes und daraus hergestellte Produkte feil, etwa auf Festivals wie den „Kräutertagen“ im hessischen Kurort Schlangenbad.

Darüber berichtete dann der Hessische Rundfunk und zitierte die dort porträtierte Kräuterexpertin mit leicht wirrem Zeug. Sie meinte etwa, dass im eigenen Garten oft genau jene Pflanzen gediehen, die der Körper gerade nötig habe, „die einem gut tun, die einem helfen, einen unterstützen wollen“. Als wenn die Pflanzen spürten, was „ihrem“ Menschen fehle. Natürlich gab es vonseiten der grünen Reporterin keinen Widerspruch zu diesem Exkurs in Sachen Esoterik.  

Auch auf den Seiten von München Tourismus wird dem Übersinnlichen gehuldigt. In einer dort veröffentlichten Reportage über eine geführte Kräuterwanderung in München-Giesing „erzählt Caroline nicht nur viel Spannendes rund um essbare Pflanzen, sondern auch jede Menge Geschichten aus der Mythologie und Märchenwelt.“  Natürlich schwinge beim Thema Wildkräuter immer noch eine gewisse Portion Spiritualität mit, heißt es dort verständnisheischend. „So erzählt Caroline uns, dass in den Blüten Elfen und Feen wohnen und dass es besonders gut ist, frisch geerntete Pflanzen zu essen, weil diese noch viel Sonnenenergie enthalten. Nun kann man darüber streiten, was eigentlich realitätsferner ist: Dass ich keine einzige Pflanze in meiner Umgebung benennen kann oder dass jemand an Feen glaubt.“ Realitätsfern ist nur letzteres. 

Fast alles kann, nichts muss

An der schlimmsten Ausgeburt der Grünzeugküche, dem Bärlauch, habe ich mich schon abgearbeitet. Der stinkende Knoblauchersatz bahnte vor gut zwanzig Jahren der Kräuterküche den Weg, die längst die Gourmetliga erfasst hat. Als Pionier gilt der aus Frankreich stammende Koch Jean-Marie Dumaine, der als einer der Ersten in Deutschland in seinem Gourmetrestaurant „Vieux Sinzig“ in Sinzig bei Koblenz eine Kräuterküche zelebrierte und mehrere Bücher zum Thema schrieb. Dumaine bewegte sich dabei immer auf dem soliden Boden der französischen Kochkunst, doch waren auch seine Kreationen – er hat sich 2018 in den Ruhestand verabschiedet – nicht immer die reine Offenbarung.

Für „vergessene“ Kräuter gilt dasselbe wie für vergessene Opern, vergessene Romane oder vergessene Musikstücke – sie sind meist zu Recht der Vergessenheit anheimgefallen. Im Umkehrschluss gilt, dass die gängigen Küchenkräuter berechtigterweise ihren Platz in der Küche haben, auch wenn man sie nicht zwanghaft über alles und jedes streuen sollte. Eine Schüssel Salat kommt sehr gut ohne gehackten Schnittlauch aus, vor allem wenn es sich um Feldsalat handelt. Ehe man mit einer Dröhnung Kräutern etwas Geschmacklosem aufzuhelfen versucht, sollte man sich lieber fragen, ob es nicht besser wäre, ein geschmackvolles Ausgangsprodukt zu verwenden. Dann erweisen sich die meisten Dreingaben als unnötig.  

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Pixabay

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Josef Fischer / 21.04.2024

Das mit der Hundepipi-Marinade betrifft nicht nur wilde Kräuter, sondern auch klassisches Gemüse, vor allem vom Biohof. Hier in der Umgebung von Freiburg sieht man jedenfalls regelmäßig Heerscharen von Hunden, die sich auf den Feldern erleichtern, häufig besitzen die Biohöfe selbst ein kleines Rudel. Dazu kommt die seit langem grassierende Rattenplage, die auch nur halbherzig, wenn überhaupt, bekämpft wird. Ich jedenfalls kaufe mein Gemüse nur noch aus Anbau im Gewächshaus, bevorzugt aus dem industriellen Regalanbau.

L. Luhmann / 21.04.2024

“Als ich vor ein paar Tagen eine Frau mittleren Alters dabei beobachtete, wie sie am Fuße eines Straßenbaumes Löwenzahnblätter sammelte, wurde mir ganz blümerant zumute. An dieser Stelle pflegt nämlich mein Poldi immer sein kleines Geschäft zu machen.” - Ich vertraue da ganz auf den lieben Gott. Er wird schon seine Gründe gehabt haben, sie an diese Stelle zu führen, damit sie sich so ernährt, wie es ihr Schöpfer vorgesehen hat. —- “Sie meinte etwa, dass im eigenen Garten oft genau jene Pflanzen gediehen, die der Körper gerade nötig habe, „die einem gut tun, die einem helfen, einen unterstützen wollen“. - Über die willenskräftigen Kräuter hinüber zum Animismus, um wegen des chronischen Unwohlseins man*in doch zum Stadtarzt geht, der leider, leider den Fuchsbandwurm nicht diagnostiziert.—-> Eine Grün-Merke: Die Natur ist grundsätzlich gut, immer schlecht ist aber der Mensch an sich!

Lilja Wiese / 21.04.2024

Rainfarn (3.Absatz oben) war mir bisher als extrem giftige Pflanze bekannt. Meint irgendjemand, dass diese essbar wäre ?

Robert Weihmann / 21.04.2024

“dass in den Blüten Elfen und Feen wohnen und dass es besonders gut ist, frisch geerntete Pflanzen zu essen” Fragen Sie die Elfenbeauftragten von Island, was für schreckliche Dinge passieren, wenn man Elfen und Feen das Zuhause nimmt ...

Dieter Helbig / 21.04.2024

Sehr geehrter Herr Etscheit, Sie schreiben da ja manchmal durchaus Interessantes zum Thema Kulinarik und Ernährung. Was zunehmend nervt, ist Ihre wachsende Überheblichkeit. Erklären Sie doch bitte nicht den Rest der Menschheit, der Ihrem Geschmack nicht folgen mag, für ahnungslos, ignorant und dumm. Sie grenzen andere Geschmäcker und Meinungen zu Ihrem Thema in einer Weise aus, wie dies vergleichbar der Mainstream z.B. mit der AfD tut. Wenn ich Ihre pauschale Abwertung solcher Wildkräuter wie Giersch usw. lese, frage ich mich, ob Sie an einem degenerierten Geschmacksvermögen leiden und überhaupt zum Gourmetkritiker geeignet sind. Werfen Sie deshalb andere Menschen in einen Topf mit Esoterikern und HildegardvB-Fans, weil Sie sonst gar keine fundierten sachlichen Argumente haben und das alte Mittel der Verunglimpfung wählen müssen? Bleiben Sie bitte sachlich!  Dieter Helbig

finn waidjuk / 21.04.2024

Sehr geehrter Herr Etscheid, wahrscheinlich haben Sie noch nie einen “Bätzseicher Salat” (saarländisch für Löwenzahnsalat) gegessen. Mit einer Sauce aus Essig und Öl, plus einer pürierten Kartoffel darin und mit gerösteten Speckwürfeln und/oder einem gehackten harten Ei bestreut; einen besseren Salat gibt es einfach nicht. Leider kann man hier, wo ich wohne keinen Löwenzahn kaufen (ob der grüne oder gelbe besser schmeckt, muss jeder selbst entscheiden) und aus den von Ihnen genannten Gründen würde ich ihn auch nie in der freien Natur “stechen”. Aber allein bei dem Gedanken an den Lieblingssalat meiner Kindheit läuft mir jetzt das Wasser im Munde zusammen.

Gerd Maar / 21.04.2024

Kommt daher vielleicht der französische Name des Löwenzahns - “Pissenlit”? Pflanzen produzieren Bitterstoffe (Alkaloide) um nicht gefressen zu werden. Medizinisch mag der Konsum berechtigt sein, kulinarisch meistens nicht. Btw, es gab bei den alten Römern ein sehr beliebtes, aber jetzt vollkommen vergessenes, weil ausgestorbenes Kraut: Silphium. Es soll angeblich dem Asant (auch Stinkasant oder Teufelsdreck genannt) ähnlich gewesen sein, welcher nach schlechter Verdauung riecht, aber in der indischen Küche unersetzlich ist.

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