Georg Etscheit / 02.02.2025 / 12:00 / Foto: Reinhold Völkel / 13 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Kaffeehauskultur

Kaffeehäuser sind zugleich öffentliche und private Orte. Zunächst ist jeder willkommen. Doch wenn man einen freien Platz gefunden hat, wird dieser Platz zum privaten Refugium auf unbestimmte Zeit – eine Art semi-privates Wohnzimmer.

Österreich ist zu beneiden. Nicht nur, dass die Kärntner Bevölkerung gerade in einer Volksbefragung mehrheitlich gegen den Bau neuer Windräder und die weitere Verschandelung der Landschaft gestimmt hat. Nicht nur, dass hier die Brandmauer „gegen rechts“ krachend in sich zusammengefallen ist und ein sichtlich indignierter grüner Bundespräsident den ihm innig verhassten FPÖ-Chef Herbert Kickl hinter die Tapetentür bitten musste, um ihm den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen. Es ist einfach so, dass die Uhren hier immer etwas anders ticken als in Piefke-Deutschland. Dazu gehört auch, dass die Österreicher voller Inbrunst ihre Traditionen pflegen. Man mag den k.u.k-Kult belächeln, aber er wärmt das Herz in einer Zeit, wo einem immer öfter eher zum frösteln ist.

Zu den unverrückbaren österreichischen Traditionen gehören natürlich die österreichischen Kaffeehäuser. In jeder etwas größeren Stadt, vor allem aber in Wien, gibt es diese formidablen Orte bürgerlicher Genusskultur, wo man sich zur Not einen ganzen Tag aufhalten kann bei der Zeitungslektüre, beim Handywischen, beim Beobachten der Ein- und Ausgehenden und dem gelegentlichem Konsum eines „Großen Braunen“ oder einer Melange, wozu stets ein Glas Wasser gereicht wird. Solange dieses Glas nicht geleert ist, wird kein „Herr Ober“ den Gast zu weiterem Konsum drängen oder gar zum Gehen auffordern wollen.

Kaffeehäuser sind immer zugleich öffentliche und private Orte. Zunächst ist jeder willkommen. Doch wenn man einen freien Platz gefunden hat, wird dieser Platz zum privaten Refugium auf unbestimmte Zeit. Die oft wenig bemittelten Wiener „Kaffeehausliteraten“ betrachteten das Kaffeehaus als ihr semi-privates Wohnzimmer, wo sie ihre Feuilletons und allerlei Gelegenheitswerke verfassten, mit Gleichgesinnten diskutierten oder einfach sinnierend die Blicke schweifen ließen. „Das Wiener Kaffeehaus stellt eine Institution besonderer Art dar“, erinnerte sich Stefan Zweig in seiner Autobiographie, „die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann“.

Nichts habe „so viel zur intellektuellen Beweglichkeit des Österreichers beigetragen, als dass er im Kaffeehaus sich über alle Vorgänge der Welt umfassend orientieren und sie zugleich im freundschaftlichen Kreise diskutieren konnte“, schreibt Zweig. Dies mag bis heute gelten, auch wenn man sich nun vorzugsweise auf dem Handy über die Vorgänge der Welt informiert und in Wiens Kaffeehäusern oft mehr Touristen als Einheimische sitzen. Doch man muss nicht ins „Central“, ins „Landtmann“, „Sperl“ oder „Hawelka“ gehen, Adressen, die in jedem Reiseführer verzeichnet sind. Wenn man sich ein wenig umsieht, findet man auch abseits der ausgetrampelten Pfade verlässlich ein Kaffeehaus, in dem es sich abzusteigen lohnt. 971 Kaffeehäuser gab es laut Statista 2023 in Wien, eine beachtliche Zahl, wenngleich diese in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken ist. Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass die Wiener Kaffeehauskultur 2011 zum Weltkulturerbe erhoben wurde.

Die Kultur des Bedienens

Schwer verständlich, warum die Institution des Wiener respektive österreichischen Kaffeehauses in Deutschland nie wirklich Fuß gefasst hat. Hier gibt es zwar die Institution der Traditionscafés, oft an zentraler Stelle in jedem größeren Ort gelegen. Sie sind jedoch mit dem Typus des „Wiener Kaffeehauses“ nicht wirklich vergleichbar ist, weil zu einem Kaffeehaus eine gewisse räumliche Größe zählt, die ständige Fluktuation ermöglicht, selbst wenn manche Menschen hier stundenlang verweilen. Viele deutsche Cafés sind schlicht zu klein, um als Kaffeehaus gelten zu können.

Leider ist es um die hiesigen Traditionscafés, oft abwertend als „Oma-Cafés“ bezeichnet, schlecht bestellt, weil sie mehr und mehr effizient organisierten, US-amerikanisch inspirierten Coffeeshops Platz machen oder woken Einraumcafes, wo grüne Mamis Milchkaffee schlürfen und nebenbei ihr Baby stillen, oft in Begleitung von Männer im besten Erwerbsalter, die gerade ihre Elternzeit abarbeiten. Eines der wenigen „echten“ Kaffeehäuser Deutschland, das „Einstein“ in der Berliner Kurfürstenstraße, hat 2023 leider dicht gemacht.

„Seine Bewohner sind größtenteils Leute, die allein sein wollen, aber dabei Gesellschaft brauchen“, sagte einst Alfred Polgar über die spezifische Klientel der Wiener Kaffeehäuser. Mit dem, was heute als „Solo-Dining“ zum Trend erklärt wird, hat der kontemplative Zustand assistierten Alleinseins und Zeit-Totschlagens nichts zu tun. Das sinnfreie Sinnieren über Gott und die Welt bei einer warmen Tasse, einer Mehlspeise oder einem kleinen Gericht ist ein seelischer Zustand, der den Deutschen vielleicht unheimlich ist. Was den Deutschen ebenfalls abgeht, ist eine Kultur des Bedienens. Dabei ist der „Ober“ eines Kaffeehauses alles andere als ein Lakai, er ist der heimliche Herrscher in seinem Reich, mit dem man tunlichst auf Augenhöhe kommunizieren sollte. Sonst wartet man schon mal etwas länger auf den Apfelstrudel.

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Reinhold Völkel - Stadtchronik Wien, Verlag Christian Brandstädter p. 360, Gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Gerhard Hotz / 02.02.2025

Traditionelle Kaffeehäuser sind natürlich etwas sehr Angenehmes und Nostalgisches, vor allem wenn sie noch im ursprünglichen Jugendstil-Dekor erhalten geblieben sind. Leider müssen auch diese irgendwann renoviert werden, wie es bei einem in meiner Nähe gelegenen einst im Wiener Kaffeehaus-Stil konzipierten Café geschehen ist. Die Patina ist jetzt natürlich weg. Und das Belle-Époque-Feeling irgendwie auch.

Marta Geist / 02.02.2025

@ Hans Walter Müller : um das Cafe’ Völter in Tübingen ist es auch sehr, sehr schade.

Rudi Knoth / 02.02.2025

Aber die Ursache für die Wiener Kaffeehäuser soll die Belagerung von Wien 1683 gewesen sein. Denn die Osmanen liessen Kaffeebohnen zurück Damit wurde das erste Kaffeehaus gegründet.

T. Schmidt-Eichhorn / 02.02.2025

@ Christian Weis: Damit, ungefragt geduzt zu werden, muss man doch inzwischen überall rechnen, selbst hier bei der Achse. Als ich soeben von dieser Seite wegschalten wollte, erschien eine Überschrift der Werbung mit dem Text “Mehr Empfehlungen, bevor du diese Seite verlässt.”

L. Luhmann / 02.02.2025

@Thomas Taterka / 02.02.2025 - “Das Caféhaus ( !!! ) hatte Stil , als es noch verqualmt war .” - Wie wahr, wie wahr! - Ich gehe mal davon aus, dass alles Gute und Bewährte zersetzt werden wird. Es gibt Städte in denen man unter freiem Himmel nicht rauchen darf. Das muss man sich mal vorstellen. Bürger, die so etwas dulden, werden selbstverständlich staatlicherseits maximal verachtet. Kriechende Bürger:Innen sind entwürdigend , peinlich und beschämend.

Gerd Maar / 02.02.2025

Die Japaner haben eine ganz besondere Kaffehauskultur. Dort bekommt man in winzigen gemütlichen Cafes mit Wohnzimmeratmosphäre den Kaffee in Sammeltassen japanischer Porzellanmanufakturen serviert. Traditionellerweise wird er in altmodischen gläsernen Syphonmaschinen gebraut, ein Genuss bereits bei der Zubereitung zuzuschauen. Leider werden diese Cafes immer seltener, da sie fast immer von älteren Besitzern betrieben werden. Mein persönlicher Favorit ist ein von aussen unscheinbares Cafe in Tokio-Ueno, das von einem skibegeisterten Ehepaar nach einem Skiurlaub in Deutschland mit grösstem Enthusiasmus im bayrisch-alpinen Stil eingerichtet wurde. Und natürlich ist der Service wie immer in Japan überaus zuvorkommend.

Christian Weis / 02.02.2025

Hier bei uns sind leider alle alten, familiengeführten Cafe` s verschwunden. Es gibt offenbar nur noch die Systemhäuser wie EXTRABLATT, APOSTO und ALEX mit ständig wechselndem Personal, so denn noch welches zu finden ist. Wobei man als alter weißer Mann plus Frau damit klar kommen muß, andauernd und ungefragt geduzt zu werden. “Du” “Euch” Ihr” wird dabei nach jeder Frage oder jeder Halbsatzankündigung verwendet. Die Mode der gepiercten und tätowierten Jüngling*innen ist ohnehin Standard. Unappetitlich wird es, wenn die 10cm langen Keimsammler-Schippen der überwiegend weiblichen Bedienungen beim Servieren versehentlich in den Kuchen tauchen. Eine Ausnahme haben wir noch hier. Aber, da hat der Betreiber vor wenigen Jahren seine Erleuchtung und Berufung zum Barrista gefunden und veranstaltet seither mit seiner Kaffeeapparatur nach jeder Tasse “Kaffee-Kunst” einen solchen Radau wie die alten Pressluftkompressoren der Straßenbauer in den Sechzigern - da wackelt einem die Sachertorte von der Gabel. Eine Cafe-Haus-Kultur, wie vom Autoren des Artikels beschrieben, kann ich hier nicht mehr finden.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 16.02.2025 / 12:00 / 14

Cancel Cuisine: Prosecco

Prosecco ist in den USA der meistverkaufte italienische Wein. Er gilt als Inbegriff italienischer Lebensfreude. Spätestens seit Goethes noch beschwerlich per Kutsche absolvierter „Italienischer Reise“…/ mehr

Georg Etscheit / 09.02.2025 / 13:00 / 6

Cancel Cuisine: Verlorene Eier

Pochierte Eier sind im Gegensatz zu Windeiern etwas ganz Feines. Eine der bekanntesten Varianten ist das Eggs Benedikt – eine gute Idee für einen gehaltvollen…/ mehr

Georg Etscheit / 05.02.2025 / 16:00 / 17

Donald Trump jr. jagte gefiederte Kotzbrocken

Nachdem Donald Trump jr. eine Halbgans bei der Jagd erlegt hatte, wurde der Präsidentsohn wiederum von italienischen Tierschützern ins Visier genommen – obwohl diese ihm…/ mehr

Georg Etscheit / 29.01.2025 / 16:00 / 10

Humormetropole Aachen: Kein Kaiser, aber Kekse, und Orden

Der hochmögende Aachner Karlspreis und der ebenfalls in Aachen entsprungene karnevalistische "Orden wider die tierischen Ernst" streiten sich darum, welche Preisträger-Auswahl den schrägsten Humor verrät.…/ mehr

Georg Etscheit / 26.01.2025 / 12:00 / 17

Cancel Cuisine: Marzipan

Wer an Lübeck denkt, denkt an Marzipan – und nicht wie Annalena Baerbock an Schokolade. Ob sie überhaupt schon mal von der Süßigkeit gekostet hat?…/ mehr

Georg Etscheit / 19.01.2025 / 12:00 / 10

Cancel Cuisine: Fernsehköche, die Freibeuter in weiß

Kochshows sind das wohl letzte Refugium für Männer, die noch Männer sein dürfen. Allerdings scheint es, als würde die Mehrzahl dieser Spezies aufgrund krimineller Energie…/ mehr

Georg Etscheit / 12.01.2025 / 13:00 / 5

Cancel Cuisine: Acker statt Universum

Kimbal Musk, Elons Musks kleiner Bruder, will die Ernährungsweise der US-Bürger umkrempeln Der Multimilliardär und künftige oberste Bürokratiebekämpfer der Trump-Administration, Elon Musk, mischt die hinter…/ mehr

Georg Etscheit / 06.01.2025 / 06:15 / 54

Dackel sind jetzt auch rechts

Im Zuge des Kulturkampfes pinkelt jetzt auch der Dackel an die Brandmauer, unschuldig waren diese Gesellen ja nie, nun sind sie respektive ihre Besitzer rechter…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com