Nicht das Wiener Schnitzel, sondern die Käskrainer steht am Anfang der österreichischen Nahrungskette.
Die leicht geräucherte Brühwurst aus grobem Schweinebrät, versetzt mit würzigen Käsestückchen (Emmentaler), gibt es bei jedem Metzger, in jedem Supermarkt und an jedem der zahlreichen Würstelstände der als Kultur- und Schlemmernation geschätzten Alpenrepublik. Genießen kann man sie gekocht oder gebraten, zur Not auch kalt, wobei man allerdings auf den entscheidenden Effekt verzichten muss, der der Käskrainer den nicht sonderlich appetitlichen Beinamen „Eitrige“ eingebracht hat - das charakteristische Hervorquellen des gelblichen, geschmolzenen Käses aus der rötlichen Fleischmasse.
Wenn einem dabei der ebenfalls wenig appetitliche Herr Karl alias Helmut Qualtinger in den Sinn kommt, der in unnachahmlicher Weise den etwas schmierigen Typus des österreichischen, speziell Wiener Opportunisten und Mitläufers verkörperte, liegt man gar nicht so falsch. Politisch korrekt ist diese Wurst jedenfalls ganz und gar nicht, allein schon ihres hohen Fettgehaltes wegen, der sie sicherlich zu einer der ungesündesten und Klima schädlichsten Ausprägungen der österreichischen Esskultur macht.
Die Zeitschrift „Profil“ jedenfalls hat einmal ausgerechnet, dass es eine „Eitrige mit an Buggl und an 16er-Blech“ (für Nichtwiener: eine Käsekrainer mit einem Brotscherzel und einer Dose Ottakringer Bier aus dem 16. Wiener Gemeindebezirk) bestellt, auf eine beachtliche Kalorienmenge bringt. Um den Energiegehalt dieses Menüs durch Bewegung zu verbrennen, müsse man neunzig Minuten lang Fußball spielen oder gut drei Stunden lang Aerobic betreiben. Eine „Haße“ („Heiße“), wie die mit der Käskrainer verwandte Burenwurst im Volksmund genannt wird, soll mit einem Fettgehalt von 45 Gramm sogar den täglichen Fettbedarf einer Frau mit sitzender Tätigkeit zu rund 80 Prozent abdecken.
In jeder größeren österreichischen Stadt anzutreffenden Würstelstände
Natürlich geht es auch weniger gehaltvoll. Im Vergleich zu einer Käskrainer ist ein Paar Frankfurter, wie „Wiener“ Würstchen in Österreich heißen, schon fast als diätetisches Lebensmittel anzusehen. Vor allem, wenn man dazu neben Senf, ob süß (Kremser) oder scharf, frisch geriebenen Meerrettich (austriakisch: „Kren“) genießt, der die Verdauung anregt und mit seiner milden Schärfe einen belebenden Kontrapunkt setzt. Warum es Meerrettich/Kren als Beilage zu Würstchen bislang nicht ins Piefkeland geschafft hat, ist ein Rätsel. Andererseits wäre es schade, wenn einem überall in der Welt das gleiche serviert würde. Das macht die Globalisierung ja so langweilig.
Neben den Kaffeehäusern sind die in jeder größeren österreichischen Stadt anzutreffenden Würstelstände für mich einer der wichtigsten Gründe, immer mal wieder die Reise ins Nachbarland anzutreten. Und wenn man dann noch eine nicht allzu kostspielige Karte für die Wiener Staatsoper, die Wiener Philharmoniker oder eine der zahlreichen Veranstaltungen der Salzburger Festspiele ergattert, sieht man selbst die irrsinnigen Verrenkungen der deutschen Ampel in einem etwas milderem Licht, jedenfalls vorübergehend.
Leider stehen auch die traditionellen österreichischen Würstelstände unter Druck, weswegen jetzt eine Initiative ihre Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe betreibt. Auch zwischen Salzburg und Wien, Linz und Klagenfurt ist internationales Fastfood wie Döner, Pizza oder asiatische Nudelboxen auf dem Vormarsch. Andersseits werden alteingesessene Stände für Touristen und hippe Städter aufgehübscht und verlieren ihren ursprünglichen, eher einfachen, Charakter.
Ein Beispiel dafür ist der „Bitzinger“ nahe der Wiener Albertina und des Riesenrades im Prater, der infolge seiner stylischen Aufmachung eine gewisse Prominenz in Medien und Touristenführern erlangt hat. Ein aufmerksamer Leser meines Blogs aufgegessen.info hält die Adresse für „einen der untypischsten Würstelstände Wiens“ und verweist Traditionalisten lieber auf den Stand am Hohen Markt oder „Leo am Gürtel“, den ältesten Würstelstand der Donaumetropole (gegründet 1928), wo weiland auch „Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky“ regelmäßig einkehrte.
Als einziges alkoholisches Getränk ein Bier, meist in Flaschen
Auch die bei Bitzinger erhältliche „Currywurst mit selbstgemachter Sauce“ sei ein Fremdkörper, meint der Leser. „Bei uns war Currywurst seit jeher eine Käskrainer mit etwas Currypulver darüber. Die in Deutschland verbreitete Currywurst kennt man bei uns gar nicht.“ Darüber hinaus hätten Sekt und Champagner, die bei Bitzinger auf der Karte prangen, in einem Wiener Würstelstand nichts zu suchen. „Üblicherweise bekommt man als einziges alkoholisches Getränk ein Bier, meist in Flaschen.“
Einer signifikanten Zahl alt eingesessener Würstel-Etablissements erfreut sich glücklicherweise noch Salzburg, von denen der mobile Stand der „Würstelkönigin“ am Salzachufer nahe des Marko Feingold-Stegs (früher Makart-Steg) bei Festspielgästen Kultstatus erlangt hat, vor allem auch wegen seiner langen Öffnungszeiten. Unweit der Königin wurde im Balkan Grill Salzburg, im sogenannten Stockhamer Durchhaus zwischen Getreidegasse und Universitätsmarkt die Bosna erfunden. Dabei handelt sich um eine Art Hot Dog, der mit einer scharfen Würzsauce und jeder Menge roher Zwiebeln garniert ist.
Wer einen Opern-, Theater- oder Konzertbesuch plant und sich vorher diese Delikatesse einverleibt, darf sich nicht wundern, vom Festspielpersonal nicht eingelassen zu werden. Lieber eine Käskrainer oder ein Paar Frankfurter. Stinkt nicht und macht auch satt - mindestens bis zur nächsten Pause.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.