Ich muss Henryk M. Broder widersprechen: Handkäse, auch Harzer-Käse oder Harzer Roller genannt, ist ein Genuss. Zudem passt er mit seinem geringen Fettgehalt hervorragend in die Ernährungswende Özdemirs.
In zwei schon etwas älteren Beiträgen, in denen er sich mit seinem Lieblingssender ZDF befasste, hatte sich Henryk M. Broder auch mit dem Handkäse auseinandergesetzt und dabei unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass er dieser (vorzugsweise) hessischen Sauermilchkäsevariante, ob mit oder ohne „Musik“ (sprich Essig, Öl und Zwiebeln) wenig abgewinnen kann. Das ist sein gutes Recht. Doch womöglich hat der verehrte Kollege noch nie einen guten Handkäse zu Gesicht bzw. auf den Teller bekommen.
Überdies wäre es hohe Zeit, sich an diese extrem magere Käsesorte zu gewöhnen, hat doch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ein Gesetz auf den Weg gebracht, wonach besonders fettreiche und zuckerhaltige Milchprodukte nicht mehr oder nur noch eingeschränkt beworben werden sollen. Angeblich zum Schutz der Kinder vor Übergewicht, was ich für vorgeschoben halte. Ich glaube, da will uns nur wieder ein selbst ernannter Ökoasket den Spaß am Essen verderben.
Zucker enthält Handkäse keinen, zudem besonders wenig Fett, was ihn zu einem nahezu idealen Vehikel der Agrarwende macht, gewissermaßen eine Zwischenstation auf dem Weg zu einer Ernährung, die „frei“ von allem ist, was irgendwie „schädlich“ sein könnte, für die Gesundheit, das Klima oder was auch immer und somit ganz nach dem ideologisch verbogenen Geschmack von Vegetariern wie Cem oder der noch genussferneren Veganer-Fraktion.
Am besten zum Ebbelwoi
Natürlich wäre es jammerschade, wenn die ganze wunderbare Käsevielfalt Europas irgendwann der „Agrarwende“ zum Opfer fallen würde und am Ende, wenn überhaupt, in den spärlich bestückten Öko-Läden der staatlichen Handelsorganisation nur noch Handkäse verkauft werden dürfte. Trotzdem will ich auf den Handkäse nichts kommen lassen. Ich halte ihn sogar, Herr Broder möge mir verzeihen, für eine echte Delikatesse. Am besten genießt man ihn in einem Traditionslokal in Frankfurt-Sachsenhausen zusammen mit einem Glas oder, besser einem Bembel Ebbelwoi – als leichte Vorspeise oder sogar als Hauptgericht.
Handkäse, auch Harzer-Käse oder Harzer Roller genannt, wird aus Sauermilch gemacht, die zwecks Herstellung von Butter zuvor entrahmt wurde. Er enthält höchstens 2,3 Prozent Fett in der Trockenmasse – im Vergleich dazu der äußerst gehaltvolle Brillat-Savarin mit 72 Prozent Fett in der Trockenmasse.
Der Sauermilchquark wird mit Kochsalz und Reifungszusätzen vermischt und nach ein paar Stunden zu flachen, handtellergroßen (daher der Name) Laibchen geformt. Anschließend werden Gelb- oder Rotschmierebakterien zugesetzt, was ihn zu etwas milchig-glasig schimmerndem „Gelbkäse“ werden lässt. Besprüht man die Laibchen mit Edelschimmelsporen, bildet sich eine weißliche Haut, ähnlich wie beim Camembert.
Je länger man Handkäse reifen lässt, desto strenger sein Aroma. Was Broder mit dem von ihm konstatierten „filzigen Nachgeschmack“ von Handkäse meint, erschließt sich mir nicht. Irgendwie „muffig“-unentschieden riecht und schmeckt Handkäse nun wirklich nicht, mir fallen dagegen Adjektive wie würzig oder pikant ein.
Anspielung auf Flatulenzgeräusche
Dass Handkäse schwer verdaulich sein soll, halte ich für eine Mär. Eher sind es schon jene rohen Zwiebeln, die leider in den meisten Gaststätten zusammen mit einer gesalzenen und gepfefferten Essigöl-Marinade und Kümmel als „Musik“ darübergestreut werden. Wenn ich mir zu Hause Handkäse zubereite, dünste ich die Zwiebeln vorher kurz an und gebe dann die Marinade in die heiße Pfanne, bevor ich sie warm über den Käse gieße, wo er ein paar Stunden verweilen sollte.
Das Wort „Musik“ spielt angeblich auf Flatulenzgeräusche an, die bei der Verdauung einer Handkäse-Mahlzeit entstehen sollen. Der Kümmel soll dazu dienen, die Verdauung zu fördern, was ich ebenfalls nicht bestätigen kann. Er passt wohl einfach geschmacklich gut dazu. Handkäse genießt man, indem man größere Stücke mit dem Messer abschneidet und sie auf eine gut gebutterte Scheibe Schwarz- oder Graubrot legt, wodurch der geringe Fettgehalt des Käses etwas angehoben wird. Solange jedenfalls, bis auch Butter verboten wird.
In Tirol gibt es eine besondere Variante des Sauermilchkäses: den Graukäse. Er ist deutlich fester als Handkäse und sieht wegen seiner manchmal grünlich-grauen Marmorierung etwas gewöhnungsbedürftig aus. Am besten schmeckt er, wenn man mit ihm „Kaspressknödel“ würzt, eine Art von in der Pfanne in etwas Fett gebratenen Buletten meist aus Knödelbrot und Käse, die man als Suppeneinlage oder zusammen mit einem frischen Salat in vielen Alm- und Berghütten vor oder nach dem Gipfelsturm essen kann.
Noch weniger bekannt als der Graukäse ist außerhalb Tirols der Zillertaler Zieger, ähnlich hergestellt wie Graukäse, nur zur kompakten Kugel geformt und so lange gereift, bis er so hart ist, dass man ihn als Wurfgeschoss benutzen könnte, wobei ich wegen der erheblichen Verletzungsgefahr keinesfalls empfehle, ihn Politikern an den Kopf zu werfen, welcher Couleur auch immer. Dafür wäre der fast ewig haltbare Zieger auch viel zu schade, lässt er sich doch gut reiben und als regionaler Ersatz für Parmesankäse über allerlei Speisen streuen.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.