In einem süßen Kugelhupf stecken oft Mandeln und zuvor in Kirschwasser eingeweichte Rosinen, während ein herzhafter Kugelhupf mit Speck- und Zwiebelstückchen sowie Walnüssen zubereitet wird. Ich ziehe eindeutig die salzige Variante vor.
Eine der schönsten Kindheitserinnerungen führt mich ins Bauernhaus meiner vor längerer Zeit verstorbenen Großmutter. Sie lebte in Ruhpolding, einem bekannten Urlaubsort im Chiemgau. Nach dem Krieg avancierte Ruhpolding (Betonung auf der ersten Silbe!) zu einer der ersten Destinationen des alpinen Massentourismus inklusive zünftigem Heimatabend im lokalen „Kurhaus“. In dieses Dorf war sie in den vierziger Jahren aus dem im alliierten Bombenhagel liegenden Berlin geflohen, um sich und ihre nicht unbeträchtliche Habe in Sicherheit zu wissen. Nicht wenige, die es sich leisten konnten, zog es in die von den Nazis später so genannte „Alpenfestung“.
Über einen befreundeten Architekten hatte sich meine Oma väterlicherseits ein altes Bauernhaus für ihre großbürgerlichen Ansprüche herrichten lassen. Der Bauer, dem es zuvor gehörte, war wohl froh, dass er das Gemäuer inmitten feuchter Wiesen an die großkopferte Dame aus „Großberlin“ losschlagen konnte. Die niedrigen Stuben möblierte sie mit ihren Stilmöbeln; eine alte Standuhr musste dafür eigens gekürzt werden. An einem bäuerlichen Tisch aß man von Meißner Porzellan; die Dessertlöffel waren vergoldet. Eine merkwürdige Melange, merkwürdigen Zeitläuften geschuldet.
Für ihre Enkel war das Haus mit seinen vielen geheimnisvollen Nischen und in die Wände eingelassenen Schränken ein Paradies. Auf der Tenne tobten wir in duftendem Heu, das für den Hühnerstall gebraucht wurde, der, wie in alten Bauernhäusern üblich, direkt hinter der Küche lag. Oder wir kramten auf dem verstaubten Speicher nach Trouvaillen aus längst vergangener Zeit.
Eine sich hebende Kapuze
Das Erste, was ich tat, wenn wir nach langer Autobahnfahrt angekommen waren, um dort die Sommerferien zu verbringen, war ein Gang in den Hühnerstall, um dem Federvieh die noch warmen Eier quasi unter dem Hintern hervorzuholen. Sie rannten gackernd davon, während ich meine Beute in die kühle, gemauerte „Speis“ brachte, wo auf Holzregalen oder im Kühlschrank all die leckeren Sachen lagen, die meine Großmutter beim örtlichen Feinkosthändler oder einem Hamburger Delikatessenversand zu bestellen pflegte. An Festtagen, man lebte auf einigermaßen großem Fuß, gab es Kaviar und Gänseleberpastete.
In einem der geheimnisvollen Wandschränke befand sich eine silberne Dose für Pralinen. Eine Confiserie im nahen Traunstein, wo meine Großmutter Stammkundin war, hatte sogar eine Sorte Schokoladentrüffel – oder waren es Marzipanpralinen? – nach ihr benannt. Meine Enttäuschung war immer groß, wenn ich die Dose leer fand. Doch als Ersatz stand bei unserer Ankunft immer ein Kuchen bereit, den Frau W., die Haushälterin meiner Großmutter, gebacken hatte. Auch sie war ein Flüchtling, allerdings hatte es sie ganz unfreiwillig nach Oberbayern verschlagen. Frau W. stammte aus Schlesien und war Heimatvertriebene. Wie das geschliffene Hochdeutsch meiner Großmutter klang ihr drolliger Dialekt so gar nicht alpenländisch.
Bei ihrem Kuchen handelte es sich um einen Gugelhupf, den ich aus meiner hessischen Heimat nicht kannte. Er besaß die übliche halbrunde, eingefurchte Form. Es war wohl vor allem die äußere Erscheinung und der lustige Name, weswegen ich den Gugelhupf so schätzte. Der Kuchen selbst war stets ein normaler Rührkuchen, mal hell, mal marmoriert, und oft etwas trocken, wurde aber trotzdem in kurzer Zeit ein zuverlässiges Opfer kindlicher Gier nach Süßem.
Die Herkunft des Wortes Gugelhupf, Gugelhopf oder, elsässisch, Kugelhopf, scheint einigermaßen klar. Laut Duden leitet sich der erste Namensbestandteil vom Wort Gugel für „Kapuze“ her, im engeren Sinne das Kopftuch einer Bäuerin über der halbrunden Form des Kopfes bezeichnend, während der zweite Bestandteil wohl vom Verb „hüpfen“ kommt. Der Duden schreibt: „Der Kuchen wäre also danach benannt, dass sich sein oberer Teil infolge der Hefe wie eine Kapuze hebt.“ Das Bier „höpfen“ bezeichnet in Süddeutschland und Österreich den Gärungsprozess des Getränks, woraus sich „Hefe“ ableitet – österreichisch Germ, was wiederum von „Gären“ kommt.
Süß oder herzhaft, das ist hier die Frage
Der ursprünglichen Wortbedeutung zufolge wird ein Gugelhupf mit einem Hefeteig zubereitet, also genau so, wie man ihn heute noch im Elsass zu backen pflegt. Dort finden sich Hefe-Kugelhopfe in jeder Bäckerei, meist in zwei unterschiedlichen Größen, mal süß, mal salzig. In einem süßen Kugelhupf stecken oft Mandeln und zuvor in Kirschwasser eingeweichte Rosinen, während ein herzhafter Kugelhupf mit Speck- und Zwiebelstückchen sowie Walnüssen zubereitet wird.
Ich ziehe eindeutig die salzige Variante vor, die man wunderbar als vorabendliche Brotzeit genießen kann und die es außerhalb des Elsass leider so gut wie nie zu kaufen gibt. Man muss also zur Selbsthilfe greifen. Hier das Rezept für einen „Kugelhopf au Lard“, das ich dem schönen Buch „Typisch Elsass – Landschaft, Leute, Brauchtum, Rezepte“ von Sue Style entnommen habe: Zunächst wird aus einem Pfund Mehl, 15 Gramm Hefe, einem Teelöffel Salz, 150 Gramm Butter, drei Eiern und einer Tasse Milch ein Hefeteig bereitet, den man etwa eineinhalb Stunden gehen lässt, bis er sein Volumen verdoppelt hat.
In der Zwischenzeit lässt man 125 Gramm fein gewürfelten Räucherspeck ohne Fett anschwitzen, ohne sie zu bräunen, und dünstet hernach in dem zurückbleibenden Fett noch eine kleine, feingehackte Zwiebel an. Die Form gut ausbuttern und in jede Rille eine Walnusshälfte legen. Dann den Teig mit Speck, Zwiebel und, je nach Geschmack, weiteren Walnüssen vermischen, in die Form füllen und diese zugedeckt an einem warmen Ort abermals eine Stunde gehen lassen. Bei 200 Grad goldbraun backen, wenn nötig, die Oberfläche mit Alufolie abdecken, damit sie nicht verbrennt. Der Kuchen ist fertig, wenn er beim „Anklopfen“ hohl klingt. Zu lange sollte man ihn nicht im Ofen lassen, weil sonst die Walnussstücke auf der Oberfläche verbrennen.
Ein Hefekuchen schmeckt erfahrungsgemäß am besten, wenn er frisch aus dem Rohr kommt. Doch auch nach einem oder zwei Tagen ist ein salziger Kugelhopf keineswegs zu verachten. Wenn er schon etwas trocken geworden ist, kann man (salzige) Butter darauf streichen. Dazu passt idealerweise ein Glas Weißwein – Riesling, Muscat oder ein elsässischer Gewürztraminer.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.