Georg Etscheit / 05.02.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 26 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Generation Yogurette

Auch ein Feinschmecker kann zuweilen zu industriell erzeugtem Naschwerk greifen. Meine kulinarische Leiche im Keller heißt Ferrero. 

Ich bin ein Geschöpf der Generation Yogurette. Fast jeden Tag, wenn ich von der Schule nach Hause lief, versorgte ich mich unterwegs in einem Supermarkt mit einer Tafel Yogurette. Dabei wechselte ich, wie es Süchtige tun, regelmäßig die Verkaufsstelle, um nicht als jemand zu erscheinen, der, frei nach Karl Lagerfeld, die Kontrolle über seinen Körper verloren hat. Manchmal erstand ich sogar zwei Packungen mit, ich glaube es waren damals zehn (heute acht), einzeln verpackten Riegeln. Sie enthielten eine unwiderstehliche „Erdbeer-Creme“, die alles andere enthielt, nur (so gut wie) keine Erdbeeren, dafür aber viel Fett und noch mehr Zucker. Ein paar Prozente „Magermilchjoghurtpulver“ sollten der Kalorienbombe ein gesundes Image verleihen. Umhüllt war dies alles von billiger Vollmilchschokolade. 

Nach dem Mittagessen legte ich mich auf mein Bett, las „Asterix“ und mümmelte glücklich einen Riegel nach dem anderen. Und zwar auf eine ganz bestimmte Weise. Ich biss nicht ein Stück nach dem anderen ab oder schob mir den Riegel einfach der Länge nach in den Mund, sondern knabberte die glatte Schokoladen-Unterseite des gewölbten Riegels herunter und lutschte dann die Füllung aus dem geöffneten Halbrund. So wie viele Liebhaber der Prinzenrolle, zu denen ich nicht gehöre, von dem Doppelkeks ebenfalls nicht abbeißen, sondern eine runde Keksoberseite mit Zunge und Zähnen rundherum abknabbern oder abheben, um hernach die Schokofüllung abzuschlecken. Da hat jeder seine eigene Technik.

Erfunden wurde der Riegel 1970, also acht Jahre nach meiner Geburt, und war eine der ersten Süßigkeiten, die als „gesund“ vermarktet wurden. Die Organisation Foodwatch bemängelte später nicht zu Unrecht, dass es sich bei der Werbeaussage „Schmeckt joghurt-leicht“ um Verbrauchertäuschung handele. Das Unternehmen entfernte daraufhin die Aussage „joghurt-leicht“ und ersetzte sie durch „himmlisch“. Mir war allerdings schon damals bewusst, dass ich pures Fett und reinen Zucker zu mir nahm und meinem Körper nichts Gutes tat. Der verwandelte die übermäßige Kalorienzufuhr umgehend in für einen Jugendlichen sehr unansehnliche Fettdepots, die ich Jahre später mühsam wieder abhungern musste. Heute lasse ich Yogurette im Supermarktregal liegen, doch meine Liebe zu Ferrero im Allgemeinen hat nicht gelitten, im Gegenteil.

Süßer Genuss ohne Reue

Es mag für den Autor eines gastronomischen Blogs zumindest ungewöhnlich sein, dass er sich als Anhänger eines Lebensmittelkonzerns bekennt, dem gemeinhin das Etikett „umstritten“ angeheftet wird, nicht zuletzt wegen seiner größten Erfindung neben Nutella, der Kinderschokolade, die wie Yogurette keine „gesunde“ Milch enthält und auch nicht, wie im Falle der „Kindermilchschnitte“ das Pausenbrot ersetzt, sondern streng genommen ebenfalls vor allem aus Zucker und Fett besteht. Doch Zucker und Fett sind nun einmal jene unentbehrlichen Energielieferanten, auf die unser Körper seit Anbeginn der humanen Evolution geeicht ist. Warum sollte man sie nicht essen dürfen? Es kommt doch, wie immer, auf die Menge an. Heute würde ich mir natürlich nicht mehr nach dem Mittagessen noch ein, gar zwei Tafeln Yogurette einverleiben. Wenn ich abends einer der zahlreichen Ferrero-Spezialitäten fröne, achte ich darauf, vorher ein wenig zu fasten. Das funktioniert mittlerweile bestens.

Nach Yogurette begann irgendwann im schon deutlich fortgeschrittenen Alter meine Kinderschokolade-Phase, bei der ich die an Yogurette erprobte Verzehrtechnik leicht modifiziert fortführte. Hier kann man zwar auch versuchen, die Schokoumhüllung abzuknabbern oder die Unterseite abzuheben, um an die reine Milchcreme zu gelangen. Doch genussvoll herausschlecken kann man sie nicht, dazu ist die Masse zu hart. 

Irgendwann schien es mir, als habe Ferrero die Rezeptur geändert, jedenfalls schmeckte mir Kinderschokolade nicht mehr so gut, so dass ich zeitweise auf Kinder-Schoko-Bons umstieg. Die kann man im Mund erwärmen, so dass sich die gummierte Schokoumhüllung ablutschen lässt wie bei einem Bonbon. Leider reibt man sich dabei immer den Gaumen wund. Als glänzendes Überzugsmittel wird neben Gummi arabicum, hergestellt aus dem Pflanzensaft von Akazien, auch Schellack verwendet, das aus harzartigen Ausscheidungen der weiblichen Gummilackschildlaus besteht, ein tierisches Produkt also, das Veggies und Veganer zuverlässig auf die Palme bringt. Gesundheitlich ist nichts dagegen einzuwenden.

Beunruhigtes ökologisches Restgewissen

Dann entdeckte ich Ferrero Roche, eine kugelförmige Waffel, die mit Nougat-Creme und einer ganzen Haselnuss gefüllt und mit einer Schicht aus Nuss-Stückchen und Schokolade überzogen ist, dank einfallsreicher Werbung, die Roche ungeachtet der billigen Zutaten und der industriellen Fertigung als Luxusprodukt vermarktet, eine der laut Hersteller meistverkauften Pralinen der Welt. Doch insgesamt erscheint mir Rocher immer als zu süß, weswegen ich irgendwann auf „Raffaello“ umgestiegen bin, eine nach ähnlich sinnlichem, fast schon erotischem Prinzip – Knusperhülle umgibt weichen Kern – konstruierte Praline, die statt mit Haselnüssen von Kokosflocken umhüllt ist und im Inneren eine blanchierte Mandel birgt. Raffaello kommt ohne Schokolade aus, dafür begegnet man hier wieder jener von Yogurette und Kinderschokolade bekannten Milchcreme.

Leider sind die Raffaello-Pralinen infolge ihrer Brüchigkeit und der bröseligen Kokosflocken-Auflage einzeln in Plastikbeutelchen verpackt, was mein ökologisches Restgewissen beunruhigt. Deswegen rangiert momentan Giotto bei mir an erster Stelle, kleine Waffelkugeln, gefüllt mit einer Milchhaselnusscreme und umhüllt mit Haselnusssplittern, verpackt in einer Folienstange, was mir umwelttechnisch vertretbar erscheint. Die kann man an einem Plastikbändchen der Länge nach aufreißen, worauf die Kügelchen in ein bereitstehendes Gefäß kullern. Eine Zeit lang gab es Giotto nicht mehr, jedenfalls nicht in der Originalausführung, sondern umhüllt von viel zu süßen Keksbröseln – vielleicht waren Ferrero zeitweise die Haselnüsse ausgegangen. 

Auf längeren Autofahrten greife ich auch ganz gerne zu Duplo oder Hanuta, die auch bei höheren Geschwindigkeiten relativ bröselfest sind. Keine größere Sympathie habe ich bislang für Mon Chérie entwickeln können, da greife ich lieber ab und an zu handgefertigten Schokostilkirschen einer grandiosen Berliner Manufaktur, die Ferrero bei aller Wertschätzung doch reichlich alt aussehen lassen. Und von Nutella habe ich mich verabschiedet, als ich eine Nussnougatcreme entdeckte, die zu 52 Prozent aus Haselnüssen besteht – beim Ferrero-Klassiker sind es 13 Prozent – und die zum Unwiderstehlichsten zählt, das je meinen Gaumen genetzt hat, der Crema Gianduja aus dem Maison della Nocciola in der Gemeinde Settimo Vittone in Piemont, für das ich hier gerne Werbung mache.

Aber nicht gleich ein ganzes Glas auf einmal essen!

 

Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Pixabay

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PALLA Manfred / 05.02.2023

+ + + und für Mich kommen nur noch die “Mon Cheries” in Frage - wg. ZartBitter, Kirsche und Likör !!! - aber n u r EINE in heissem Kaffee aufgelöst !!! - bin ja ansonsten quasi “alkohol-frei”, allerdings seit gut 50 Jahren “SPITZEN-Paffer” - die “Hand-gedrehte” in HANF-Papier (“vonne” Reemtsma’s, wg. der “Luisa”)  ;-)

Horst Oltmannssohn / 05.02.2023

Es geht doch nix über „Dicke Nüsse am Tropf“ äääh „Edle Tropfen in Nuss“ oder wie heißt das Teufelszeug noch gleich …

A. Buchholz / 05.02.2023

Unvergessen und legendär - Ulrike Jokiel 1987 mit ihrer Yogurette-Werbung: “Ich heiße Ulrike Jokiel. Also ich esse unheimlich gern Schokolade. Manchmal steh’ ich sogar nachts auf und hol’ mir welche. Aber sie muss unbedingt leicht schmecken.”

Roland Müller / 05.02.2023

Die italienischen Nahrungs- und Genussmittelhersteller sind traditionell überaus kreativ, was man von der Mehrzahl der deutschen Hersteller nicht behaupten kann.

Sabine Erdmann / 05.02.2023

Königlich amüsiert bei der Beschreibung der verschiedenen Verzehrtechniken! Ich möchte dennoch eine Lanze für MON CHERIE brechen und bei der Gelegenheit erklären, wie ich diese vertilge: 1. vorsichtig mit den Zähnen den Boden abziehen (vorsichtig, weil sonst die Seitenwände des fragilen Gebildes einstürzen) 2. den Likör austrinken 3. die Kirsche mit den Zähnen herausziehen und essen 4. den Rest im Mund zerschmelzen lassen. SO würdigt man einen Pralinen-Klassiker! PS: Eine Süßkirschen-Variante, die die Firma mal zu etablieren versuchte, wurde von mir probiert und für untauglich befunden. Never change a winning team, never touch a running system!

Thomas Hechinger / 05.02.2023

@ Wolf Hagen. Ich mag „Mon Chéri“. Sie können mir alle Schachteln weitergeben, die Sie geschenkt bekommen.

Hermine Mut / 05.02.2023

Mein Favorit ist derzeit (Kinder) Bueno . Könnte man auch gltl den Postboten , Zeitungsausträger etc. beschenken - besonders bei der Kälte und schlechtem Wetter. Einfach ein wenig Mitmenschlichkeit :-)  (es knann auch ne Orange, ein Käsebrötchen , ne Butterbrezel etc sein…)

Rainer Irrwitz / 05.02.2023

Wow, wer Ferrero mag steht wohl auch auf Sitcoms wie “Diener des Volkes” schätze ich. Schokoladenersatz dessen Hersteller die Hälfte des Umsatzes in die Werbung steckt, sapperlot, wer aber ohne Schweizer Schoki aufwachsen musste weiss natürlich nicht was guter Geschmack und ein hoher Kakaoanteil ist. Typisch Deutsche Win-Win Situation, miese Qualität belohnt mit noch mehr mieser Werbebelästigung und dazu die Gewissheit: man ist einer von Millionen (die keinen Geschmack haben).

Thomas Hechinger / 05.02.2023

Vielleicht nicht ganz so abhängig wie Herr Etscheit von „Yogurette“, war ich in meiner Jugend auf „Bounty“ scharf. Ich habe mich nie gefragt, was da drin ist. Es hat mir geschmeckt und mit seinem Kokosgeschmack, wie auch immer er erzeugt wurde, Südsee und Palmen vorgespielt. Und mit meiner Figur hatte ich keine Probleme. Ich konnte essen, so viel und so süß ich wollte, ich nahm nicht zu. Das hat sich inzwischen leider geändert. Und zu „Nutella“ habe ich eine ganz eigene Geschichte. Bei uns zu Hause gab es das nicht. Und so habe ich es als Kind und Jugendlicher nur bei seltenen Gelegenheiten probiert. Die süße braune Fettpampe hat mich nicht weiter interessiert. Und eigentlich hatte ich sie vergessen. Da begab es sich, daß im Jahre 2018 Renate Künast von den Grünen eine Ferrero-Werbekampagne für „Nutella“ anläßlich der Fußball-WM kritisierte. Man konnte da bei einer Sammelpunkteaktion wohl einen Fußball gewinnen.  Mit einer Grüne-Milchmädchen-Rechnung behauptete sie, daß man für den Fußball 35 Gläser kaufen müsse. Egal, mich hat schon damals gestört, daß die Grünen anderen Leuten vorschreiben wollen, was fürs Essen gut ist und was nicht. So habe ich mich nach jahrzehntelanger Enthaltsamkeit entschieden, mir ein Glas „Nutella“ zu kaufen. Und ich muß sagen: Es hat geschmeckt. Inzwischen gehört es zwar nicht regelmäßig, aber immer wieder mal auf meinen Frühstückstisch. Und jedes Mal, wenn ich mir „Nutella“ aufs Brot schmiere, denke ich an Frau Künast. Und wie die sich ärgert, so richtig ärgert. Also ich meine – ich stelle mir das vor, daß die sich ärgert. Aber diese Vorstellung! Rache ist süß...

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