Bio statt Kaviar: Der Sohn des Gastro-Stars Gerd Käfer hat in München ein Restaurant für die Ökoschickeria eröffnet. Wenn die Welt schon untergeht, kann man wenigstens guten Gewissens dabei zusehen.
Als Gerd Käfer 2015 starb, der „Mundschenk der Mächtigen“, endete mit ihm eine bundesdeutsche Legende, eine Legende der Art, wie sie Helmut Dietl in seiner Serie „Kir Royal“ auf geniale Weise karikierte. In den Kaviar gesättigten 70er und 80er Jahren organisierte Käfer im Auftrag seiner illustren Kundschaft aus Adel, Medien, Business und Politik, der berühmt berüchtigten (Münchner) Schickeria, die extravagantesten Partys, erfand nebenbei das modere Catering und baute ein deutschlandweites Feinkostimperium auf. Als erfolgreicher Unternehmer schwamm er immer ganz oben auf der Welle des Zeitgeistes und war ein Teil von ihm.
Nun hat sich der Zeitgeist gewandelt und die verschwendungssüchtige Schickeria von einst mehr oder weniger abgedankt. An ihre Stelle trat die Ökoschickeria, eine neue Schicht saturierter Hedonisten, die sich freilich weniger für den Unterschied zwischen Beluga- und Osietra-Kaviar interessiert, als für die Vorzüge eines Tesla gegenüber einem Porsche Macan elektrisch sowie die veganen Eissorten des Münchner Edel-Eismachers Thomas Bartu, der mit extravaganten Schuhen handelte, bevor er sich auf politisch korrektes Gefrorenes verlegte.
Die Ökoschickeria definiert sich vor allem über politisch und ökologisch korrekte Lebensstile. Schlüsselwort und Türöffner für den Eintritt in die Welt der Grünen und Weichen sind „Wertschätzung“ und „Achtsamkeit“. Diese Begriffe haben das sperrige Unwort der Nachhaltigkeit abgelöst und umfassen auch die sozialen Komponenten eines „grünen“ Lebensstiles.
Gaudi ja, aber mit gutem Gewissen
Niemand aus dem Achtsamkeits- und Wertschätzungs-Milieu würde es heute noch in den Sinn kommen, sich von Käfer eine Sause auf der bayerischen Hochalm oder einer Karibikinsel organisieren zu lassen. Schließlich herrscht in München seit Dezember 2019 der vom Stadtrat ausgerufene „Klimanotstand“, weswegen bei Reisen und Events aller Art Zurückhaltung gefordert ist. Schließlich will man nicht in Verdacht kommen, der verpönten „Wachstumsideologie“ zu huldigen. Askese und Minimalismus allerorten, freilich auf höchstem Niveau.
So auch in Käfers neuem vegetarisch-veganen Restaurant Green Beetle, das Michael Käfer, Sohn des Gründers, der seit 2015 das Familienunternehmen geschickt, wenn auch mit weniger Glamour als der Vater, führt, am Montag in München-Bogenhausen nahe des Stammhauses eröffnete. Wenn kein Unglück geschieht, dürfte der Laden zum neuen Mekka der nach wie vor feierfreudigen Münchner Ökoschickeria werden. In seiner Eröffnungsansprache erteilt der Patron jedem Anflug von grüner Ideologie eine Absage. „Man soll bei uns wirklich Spaß haben können.“ Gaudi ja, aber mit gutem Gewissen.
Im „Green Beetle“ wurde das, was man heute in Edelökokreisen unter Nachhaltigkeit verstehen mag, so konsequent „durchdekliniert“, dass es mitunter ins Bizarre changiert. Selbst die Kleidung der überaus jugendlichen Equipe stammt aus ökologisch verantwortungsbewussten Quellen. Die blauen Kittel, die ein wenig Maos Ameisenuniformen ähneln, wurden hergestellt unter Verwendung von recyceltem Plastikmüll, eingesammelt von spanischen (!) Fischern.
Und die feschen Sneakers mit einem auf Basis von italienischem (!) Traubentrester fabrizierten Lederimitat, mit dem sich das Personal auf einem ebenfalls recycelten, 40 Jahre alten Parkettboden einer Turnhalle bewegt, sind genauso vegan wie der „ParmeZan“ aus Kirchererbsenpüree und Kokosöl, wobei es die „Käsealternative“ eines Münchner Produzenten, die auch in Käfers Feinkosthaus erhältlich ist, nach einer ersten Geschmacksprobe mit echten Parmigiano Reggiano nicht aufnehmen kann. Ansonsten konnte man beim exklusiven Presselunch in puncto Geschmack und Qualität nicht meckern.
Aus „Abfällen von Tabak, Hanf, Wein und Bier“
Die neun Köche unter Leitung des jungen Küchenchefs Felix Adebahr fermentieren, legen ein, dörren und marinieren, was das Zeug hält, denn traditionelle Methoden der Haltbarmachung und Zubereitung sind schwer angesagt. Genauso angesagt ist die streng regionale Herkunft der benötigten Zutaten, selbst wenn es sich um eigentlich exotische Produkte handelt. Die Shitake-Pilze, die im Green Beetle auf den irdenen Künstler-Tellern landen, stammen natürlich aus Bayern wie auch der Topinambur, ein der Kartoffel ähnelndes Wurzelgemüse. „Münchner Quinoa“, ein schon von denn Inkas angebautes Pseudogetreide, wird sogar „innerhalb der Stadtgrenzen“ kultiviert. Zuweilen treibt es die Küchencrew hinaus in den nahen Englischen Garten, um Wildkräuter für bestimmte Gerichte zu sammeln.
Dass Käfer ein guter Geschäftsmann ist, dafür spricht der kleine Dekoshop, der ans Restaurant angeschlossen ist. Nach dem Genuss etwa des „Green Beetle Eintopfs“ aus Bretonischen Artischocken, Resina Bohnen, Cashewnüssen und Brunnenkresse (21,50 Euro) oder einer „Kartoffel Terrine“ (27,50 Euro) aus Radicchio, Petersilienspinat, Uncinato Trüffel und Haselnüssen aus dem Piemont kann man dort eine der schönen Leuchten erstehen, deren Materialien aus „Abfällen von Tabak, Hanf, Wein und Bier“ gewonnen wurden. Übrigens gibt es die Speisekarte nur digital, um Papier zu sparen, und es ist erlaubt, das Besteck nach jedem Gang abzulecken, damit nicht unnötig viel gespült werden muss.
Die Welt retten wird man damit zwar nicht, wenn sie sich überhaupt retten lassen will. Doch man kann ihr zumindest mit gutem Gewissen beim mutmaßlichen Untergang zusehen.
Wer hernach noch Hunger verspürt oder richtig etwas zwischen die Zähne bekommen möchte, sollte gleich um die Ecke in Käfers Traditionsrestaurant Käfer-Schänke wechseln, wo schon Baby Schimmerlos seinen Kir Royal schlürfte. Dort gibt’s zwar auch eine kleine vegetarisch-vegane Auswahl, doch prunkt das Edellokal wie eh und je mit Zander, Steinbutt, „Hummereintopf“, Kaviar, Austern und einem fleischsatten „Bauernhof-Reindl“.