Cancel Cuisine: Full English Breakfast

Ich möchte diese Folge meiner gastronomischen Kolumne der Queen widmen. Wäre ich jetzt in England, würde ich auch zu ihrem Sarg pilgern, um ihr, Elisabeth der Großen, die letzte Ehre zu erweisen.

Eine meiner liebsten Filmszenen findet sich in Alfred Hitchcocks spätem Thriller „Frenzy“, eigentlich eine tiefschwarze Komödie und zugleich eine wunderbare Hommage an Hitchs Londoner Heimat und den längst verschwundenen „Bauch von London“ – die Großmarkthallen von Covent Garden. In dieser Szene verspeist Chief Inspector Oxford, verkörpert von dem großen Shakespeare-Mimen Alec McCowen, in seinem Büro bei Scotland Yard mit großem Appetit ein opulentes Englisches Frühstück, während er daheim von seiner Frau, einer begeisterten Hobbyköchin, mit französischen Spezialitäten wie glaciertem Schweinefuß traktiert wird. Die sich durch den ganzen Film ziehende Nebenhandlung ist nicht nur eine subtile Persiflage auf die französische „haute cuisine“, sondern auch ein appetitanregendes Bekenntnis zur deftigen englischen Frühstückskultur.

Ich möchte diese Folge meiner gastronomischen Kolumne der Queen widmen. Wäre ich jetzt in England, würde ich auch zu ihrem Sarg pilgern, um ihr, Elisabeth der Großen, die letzte Ehre zu erweisen. Ich beneide die Briten um ihr Königshaus. Auch wenn der eine oder andere aus dem Kreise der Royals hin und wieder über die Stränge schlägt, beweist diese Institution, dass es noch Dinge gibt auf dieser Welt, die dem Zeitgeist widerstehen können. Ich hoffe, dass der neue König Charles III. so klug und bescheiden agieren wird wie seine Mutter und dass es ihm gelingt, die Liebe immer noch einer großen Mehrheit des britischen Volkes zu ihrem Königshaus zu erhalten und die Einheit des United Kingdom zu bewahren.

Signifikant fleischlastige Zusammenstellung

Über die Frühstücksgewohnheiten der Queen findet sich natürlich einiges in den Weiten des Internets. Ob diese Informationen der Wahrheit entsprechen, steht auf einem anderen Blatt. Einmal heißt es, Elisabeth II. habe morgens sehr gerne nur Cornflakes einer weithin bekannten Marke zu sich genommen, begleitet von frischem Obst. Weitere Frühstücksoptionen seien Toast mit Marmelade oder Rührei mit Räucherlachs gewesen. An anderer Stelle liest man, sie habe sogar zweimal gefrühstückt. Ein „Vorfrühstück“ mit Earl-Grey-Tee und Gebäck sowie ein „Hauptfrühstück“ in ihrem privaten Speisesaal, bestehend aus Müsli, Joghurt, Toast und Marmelade. Aber auch Fisch habe sie gerne zum Frühstück gegessen, wie ihr ehemaliger Diener Charles Oliver in einem Buch ausplauderte. Besonders gerne mochte die Queen laut ihrem früheren Koch Darren McGrady Gerichte, in denen Zutaten verarbeitet waren, die von einem ihrer Anwesen stammten, – etwa Lachs aus dem Fluss Dee bei Balmoral, ihrem Sommersitz in den schottischen Highlands, wo sie jetzt im Alter von 96 Jahren gestorben ist.

Nun aber zum „Englischen Frühstück“, dem „full english breakfast“ in der Landessprache, einer äußerst reichhaltigen, sättigenden und – Veggies und Veganer mögen bitte wegsehen – signifikant fleischlastigen Zusammenstellung verschiedener, auf den ersten Blick vielleicht nicht perfekt zusammenpassender süßer und salziger Speisen. Eine solche Mahlzeit enthält zwischen 850 und 1.250 Kalorien, also etwa die Hälfte des Tagesbedarfs eines erwachsenen Menschen. Im Grunde genommen handelt es sich um ein veritables Frühstücksbuffet, das auf einem einzigen Teller serviert wird. Wer sich solch ein Frühstück einverleibt, braucht den Tag über nichts mehr zu essen. Und abends tut es zur Not eine Tüte Fish ’n Chips, um bis zum nächsten Morgen durchzuhalten.

Ich selbst habe es erst einmal in der Originalversion genossen, und zwar als ich als Teenager zusammen mit meinem Vater einen zauberhaften Sommerurlaub auf der winzigen Kanalinsel Herm verbrachte. Dort, im gepflegten White House Hotel, wurde solch ein Frühstück jeden Morgen serviert, von einem, wie ich mich erinnere, äußerst distinguierten Ober, der vielleicht im Buckingham Palace seine Ausbildung absolviert hatte. Als einmal ein Commis mit einem voll beladenen Tablett strauchelte und mit den darauf drapierten Speisen der Länge nach durch den Speisesaal segelte, verzog der Mann nicht einmal seine Augenbraue.

Fix in einer einzigen Pfanne zubereitet

Die Zubereitung eines Englischen Frühstücks ist kein Geheimnis, wenn man die nötigen Zutaten zur Hand hat. Standard sind Spiegeleier, Frühstücksspeck (Bacon), Tomaten, Champignons, Schweinswürstchen, Black Pudding („Blutpudding“, eine Art Blutwurst), alles gebraten und warm serviert, außerdem Baked Beans sowie Toast, gesalzene (!) Butter und Marmelade, also bittere Orangenkonfitüre. Letztere zu genießen ist eine Leidenschaft, die mir erst in späteren Jahren zugewachsen ist. Kinder mögen bekanntermaßen keine bitteren Geschmäcker. Doch wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist, gibt es nichts Delikateres und auch Erfrischenderes und das Zusammenspiel von bitterer Orangen- oder Zitronenkonfitüre mit gesalzener Butter ist einfach unwiderstehlich. Als Getränke werden Tee, Kaffee und idealerweise frisch gepresster Orangensaft kredenzt.

Natürlich gibt es zahlreiche Varianten des Englischen Frühstücks, regional und international. Die einen halten Black Pudding und Bohnen für entbehrlich, die anderen legen noch French Fries und Rösti (Hash Browns) oder Bubble & Squeak auf den Teller, einen auf Essensresten basierenden Kartoffelfladen. Für härter gesottene Gaumen gibt's anstelle des Specks gebratene Kippers, das sind kalt geräucherte, gesalzene Heringe, und in Schottland Haggis, ein mit Innereien, Zwiebeln und Hafermehl gefüllter Schafmagen, dem Pfälzer Saumagen nicht unähnlich. Am meisten Arbeit macht die Zubereitung von Baked Beans, das sollte man, wenn man nicht zu einem Dosenprodukt greift, schon am Tag zuvor erledigt haben. Ansonsten ist ein Englisches Frühstück fix in einer einzigen Pfanne zubereitet.

Entstanden sein soll die gehaltvolle Morgendröhnung schon im 14./15. Jahrhundert auf den Landsitzen der englischen Gentry, wo man sich dereinst für die morgendliche Jagd stärken musste. In der Ära des englischen Thronfolgers und späteren Königs Edwards VIII. vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs („known as the golden age of long leisurely breakfasts and garden parties“) wurde die Speisefolge kanonisiert und zum Standard in vielen Hotels und Speisewagen von British Rail, bis das Frühstück nach dem Zweiten Weltkrieg auch die „working classes“ erreichte, wo es damals dank seines Kaloriengehalts mehr Sinn machte als in der überfütterten Oberschicht, die sich mehr und mehr dem Schlankheitsideal verpflichtet fühlte.

Heute ist wiederum das Schlankheitsideal bis ganz „unten“ durchgesickert, eine echte Gefahr für die gargantueske britische Frühstückskultur. Auch frisch gebügelte Zeitungen als Beilage sind aus der Mode gekommen. Die meisten von ihnen können mittlerweile als weitaus schwerer verdaulich gelten als das Frühstück selbst.

Hier das Originalrezept nach den Maßgaben der English Breakfast Society.

 

Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Senedd Cymru / Welsh Parliament CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Hans Reinhardt / 18.09.2022

Was die baked beans betrifft: ganz klar nur die von HEINZ aus der Dose. Bessere gibt es nicht.

Ulla Schneider / 18.09.2022

“Morgens essen wie ein König”,  ein alter Spruch.  - Als ich Kind war, musste ich in einem bäuerlichen Nachbarhaus jeden Morgen ein Spiegelei mit Speck und Würstchen essen und eine Tasse warme Milch dazu. Angeblich hatte ich nichts auf den Knochen, aber schöne blaue Augen. Dick bin ich nicht davon geworden. -Soweit weg ist diese engl. Tradition nicht von unserer Küste. Wer auf dem Feld schuften musste brauchte eine gute Grundlage. Dazu gehörte auch der Doppelkorn oder so ..... - Was auch sehr lecker ist sind gebratene Tomaten, Zwiebeln, Rührei, Salz und Pfeffer. Die Tomaten müssen erst eine Weile in der Pfanne brutzeln, damit die Flüssigkeit “wegdampft”. Danach kommen die Eier hinein. Alles schön durchgerührt und Salz und Pfeffer dazugeben. Das Gericht soll aus Ostpreußen stammen, sicher bin ich mir da nicht, denn das gab es Anfang der 60er auch in Wales zum Frühstück.  Vielleicht fehlte der Schinken, die Zeiten auch dort waren schlecht.  - Auf dem ” Ingwertripp” mit heißem Kaffee bin ich vor einem Jahr gekommen. Sehr zu empfehlen sind die schottischen Marmeladen. - Und ja, Herr Etscheid, ich wäre jetzt auch gern dortgewesen. Eine Frau, Elizabeth, die Große,  besaß alle Tugenden,  die ich hier im Parlament wie eine Stecknadel im Heuhaufen suchen müsste. Loyal bis zum Schluß, Psalm 139

Volker Kleinophorst / 18.09.2022

Eine der ältesten kriminellen Vereinigungen der Welt beerdigt seine letzte Clanchefin (u.a. größte Grundbesitzerin der Welt). Die “Welt” trauert. Dieser dekadente Haufen mit Pädofreund Charles (Jimmy Saville googeln) und Epstein-Spezi Andrew lacht sich tot über uns.

Thomas Holzer, Österreich / 18.09.2022

Passend dazu berichtete der ORF von einer Studie aus GB, welche zu dem Schluß gelangte, daß ein opulentes Frühstück wesentlich zu einer gesunden Lebensweise beitragen soll.

Esther Braun / 18.09.2022

“...auch wenn der eine oder der andere aus dem Kreis der Royals hin und wieder über die Stränge schlägt…“angeblich soll “Elisabeth die Große (“groß” weil langlebig? Oder über großes Vermögen verfügend?) über zwölf Millionen Pfund investiert haben, um ihr “über die Stränge schlagendes”  royales Söhnchen aus einem weltweiten Pädophilie Skandal heraus zu hauen. Während man beim Winkewinke auf dem Balkon des Buckingham Palace noch nicht mal den Unterarm sehen darf. Nichts gegen Traditionen, aber hier hat mal wieder nur die Verlogenheit Tradition. Und was bringt den Briten diese sündhaft teure Sippe? Wie bereits geschrieben, jenseits der Chelsea Flower Show verwandelt sich England in das gleiche Shit Hole wie vergleichbare Republiken oder Monarchien auf dem Kontinent. Meine Güte…

Frank Mora / 18.09.2022

Richtig gutes, traditionelles Essen, daß den Engländern schmeckt. Bin gerade im Urlaub im Süden und sehe die leuchtenden Augen der tätowierten Rothaarigen am Frühstücksbuffet. Aber auch bei uns geht eine leckere regionale Spezialität verloren. Das Berliner Eisbein wird von den steinharten, furztrockenen “bayerischen Haxen” aus der Gastronomie gekegelt. Dabei ist ein aus gepökeltem Dickbein, gern mit Haaren obendruff in mehreren Stunden gargezogener Fleischberg, serviert mit Erbspürree, Sauerkraut (angebraten und nicht nur gekocht mit Senfkörnern und Lorbeerblättern) und eventuell Kartoffelstampf im Kochsud und OHNE Salatgarnitur ein eindrucksvolles Erlebnis. Nicht mit Senf, sondern geriebenem Meerrettich, so scharf, daß “et dir die Schädeldecke hochhebt”. Empfehlung für Berlin: danach sofort eine Dampferfahrt antreten und sich auf dem Oberdeck aufhalten.

Wilfried Cremer / 18.09.2022

Lieber Herr Etscheid, Unsinn, ein opulentes Frühstück macht nicht dick. Mich macht das satt bis spät am Nachmittag. Dann gibt es noch was kleines Warmes zwischen 5 und 6 und fertig. (Ich bin schlank wie eine Tanne – na ja, fast.)

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