Die Stadtväter von Straßburg streiten darüber, was auf dem dortigen Weihnachtsmarkt verkauft werden darf und was nicht. Beispielsweise soll nur noch der regional verankerte Munsterkäse angeboten, Popkorn und dergleichen sogar verboten werden.
Jüngst las ich bei Spiegelonline (SPON) einen längeren Artikel über die Bemühungen der Stadt Straßburg, ihren berühmten Weihnachtsmarkt regionaler und authentischer zu gestalten. Demnach sei ein Verkaufsverbot für „urfranzösischen“ Champagner, Grillhähnchen, Popcorn und andere Produkte geplant, denen es an Authentizität, lokaler Tradition und Qualität mangele.
Der launig geschriebene Bericht stammte wohl von der Nachrichtenagentur dpa und war von den SPON-Redakteuren noch angefüttert worden. Es war in dem Beitrag auch die Rede davon, dass die Stadtväter der französisch-elsässischen Grenz-Metropole ebenfalls planten, den beliebten Kartoffelauflauf Tartiflette zu verbannen. Eine Tartiflette wird üblicherweise mit Reblochon-Käse aus Sayoyen zubereitet. In Straßburg solle nun nur noch eine regionale Alternative mit in den Vogesen hergestelltem Münsterkäse angeboten werden, eine Mundstilette.
Was eine oder ein Mundstilette sein soll, entzog sich bisher meiner Kenntnis. Ein Stilett jedenfalls ist eine längliche, dünne Stichwaffe, mit der mörderische Damen in Krimis zuweilen untreue Ehemänner umbringen. Doch was ist in Gottes Namen eine Mundstilette? Auch intensive Internetrecherchen brachten zunächst keine Ergebnisse, bis ich auf eine zweite Version des Agenturartikels über die geplante Straßburger Weihnachtsmarktreform stieß, in der von „Munstiflette“ die Rede war. Dabei handelt es sich, wie ich einem Blogbeitrag zum Straßburger Weihnachtsmarkt entnehmen konnte, um eine Wortfügung von „Tartiflette“ und „Munster“ zur Kennzeichnung eines weniger savoyardisch als elsässisch konnotierten Kartoffelauflaufs, bei dem statt des Reblochons eben Munsterkäse Verwendung findet.
Ich halte das übrigens für eine gute Idee, weil ich Munster für einen der besten Käse überhaupt halte, der sich auch hervorragend zum Überbacken eignet. Allerdings sollte es sich unbedingt um einen Munster fermier handeln, hergestellt aus Rohmilch idealerweise auf einer der gemütlichen Ferme Auberges, wie sich auf den Höhen der Vogesen finden, wo man das Gericht namens Munstiflette natürlich auch auf den rustikalen Speisekarten findet. Die Charakterisierung von gereiftem Munster als „Stinkekäse“ halte ich für einigermaßen dämlich, weil jeder gereifte Käse mehr oder weniger stinkt, je mehr, desto besser. Schließlich handelt es sich um verschimmelte Milch.
Fast kam es zu einer Schlägerei
Wenn ich ins Elsass fahre, bringe ich mir natürlich immer ein paar Laibe Munster mit nach Hause. Die sind etwa doppelt so groß wie ein Handteller und werden von Fachgeschäften wie jenem in der Altstadt von Colmar, wo ich gerne einkaufe, in verschiedenen Reifestufen angeboten. Außerdem gibt es neben der Natur-Variante eine mit Kümmel aromatisierte Version. Ich kaufe immer zwei oder drei Laibe, die sich in unterschiedlichen Stadien der Verwesung befinden, und lege sie zu Hause in den Kühlschrank, wo ich sie weiter kontrolliert vergammeln lasse. Eine ordentliche Adresse ist auch das Maison du Fromage mit Schaukäserei im Munstertal, wo man alles über die Tradition dieser Spezialität erfährt.
Oft landen die mürben und intensiv duftenden Scheiben bei mir zu Hause in einem Kartoffelauflauf. Man kann aber auch Lauch damit gratinieren. Und es gibt noch ein anderes, typisch elsässisches Gericht, bei dem Munster zum Einsatz kommt: Pommes de Terre coiffées de Munster, also große Pellkartoffeln, die ausgehöhlt, mit Munster gefüllt und dann gebacken werden. Dazu isst man, wie zu einem Schweizer Raclette, Gewürzgurken und vielleicht einen Salat. Französische Gewürzgurken sind übrigens viel pikanter als deutsche. Wenn man den süßen alemannischen Kindergeschmack gewöhnt ist, braucht es einige Zeit, um sich umzustellen. Doch dann möchte man die extrem sauren Stangen nicht mehr missen.
Zu den mit Munster gefüllten Kartoffeln habe ich ein gespaltenes Verhältnis, seit ich einmal an der elsässischen Weinstraße einkehrte in einem Lokal, das sehr urig daherkam, sich aber als Touristenfalle entpuppte. Der Munster war in den sehr grob und unfachmännisch ausgehöhlten Kartoffelhälften so sparsam dosiert, dass ich mich zu zahlen weigerte, woraufhin mich der Patron als „Untermensch“ beschimpfte und ich spontan mit „Nazi“ konterte. Bevor es zu einer Schlägerei kam, verließ ich mit meiner Begleitung fluchtartig das Lokal, um draußen festzustellen, dass ich meine Jacke an der Garderobe vergessen hatte. Ich wollte sie schon hängen lassen, trat aber dann doch den Gang nach Canossa an.
Die Lust am Munsterkäse selbst hat mir dieses bizarre Erlebnis zum Glück nicht verleiden können. Perfekt affiniert findet man ihn übrigens auch bei Monsieur Antony, einem der angesehensten Affineure Frankreichs, der seine Kunden, darunter viele Sternerestaurants, schon mal per Rolls Royce oder, wenn es besonders eilig war, mit dem Hubschrauber versorgt. Sein Geschäft findet sich im Sundgau, ganz im Süden des Elsass an der Grenze zur Schweiz. Dort kann man die ausgefallensten Käse aus Frankreich und der ganzen Welt verkosten und käuflich erwerben. In dem wunderschön aufgemachten Buch „Typisch Elsass – Landschaften, Leute, Brauchtum, Rezepte“ (1992) wird Monsieur mit dem Satz zitiert, „le fromage“ sei wie eine „belle femme“, man müsse immer auf den richtigen Zeitpunkt warten. Heute würde er für diesen Satz wohl gnadenlos abgewatscht.
Zum „Stinkekäse“ passt besser ein Wein mit Restsüße
In eingangs erwähntem Artikel wird auch darüber berichtet, dass bei der "Weihnachtsreform" vor allem auch das Champagnerverbot umstritten sei und noch einmal überprüft werden aolle. Schade, denn ich ziehe einen nach der Methode champenoise bereiteten Crémant d’Alsace von einem guten Winzer allemal einer Palette Massenchampagner vor, wie er hierzulande bei Discountern und in Supermärkten verscherbelt wird, nicht nur zur Weihnachtszeit. In der trockenen Variante ein toller Aperitif. Zum „Stinkekäse“ passt besser ein Wein mit Restsüße, etwa ein elsässischer Riesling Grand Cru oder gleich ein Gewürztraminer.