Georg Etscheit / 22.05.2022 / 16:00 / 17 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Fish’n'Chips

Aus Großbritannien wird berichtet, dass die Fish-and-Chips-Branche unter der Ukraine-Krise leide. Mein Mitleid mit einer drohenden Knappheit der britischen Nationalspeise hält sich allerdings in Grenzen. 

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist bekannt für kreative Wortschöpfungen, schließlich arbeitete er einmal als Radiojournalist. Jüngst sprach er auf einer Pressekonferenz von einem „Spargel-Schock“, der seinem Bayernland drohe.

Er meinte damit aber nicht jenen Spargel-Schock, der jedes Jahr droht, wenn im Mai die Sonne scheint, der Asparagus schießt und die Bauern mit der Ernte nicht mehr nachkommen, die Preise für das mittlerweile auf jedem Kartoffelacker angebaute „Edelgemüse“ dagegen purzeln und den Leuten irgendwann die weißen oder grünen Stangen mächtig zum Hals heraushängen, lange vor Johanni am 24. Juni, dem traditionellen Ende der Spargelsaison. Oh Gott, nicht schon wieder Spargel, schallt es dann aus den Wohnküchen.

Nein, Markus Söder, der seit einiger Zeit unter die Foodblogger gegangen is und unter anderem einen Frühjahrsklassiker (Spargel mit Bratwürsten) aus seiner fränkischen Heimat auf Instagram postete, bezog sich auf einen womöglich „schockartigen“ Ausbau der Windkraft in Bayern, das bislang mit seiner 10 H-Abstandsregelung über ein wirksames Instrument verfügte, mit dem eine vollständige Verspargelung des schönen Landes wenigstens teilweise verhindert werden konnte. 

Bedauerlicherweise hat Söder unter dem Eindruck der Ukrainekriegs die segensreiche Regel, wonach der Abstand zwischen einem Windrad und dem nächstgelegenen Wohnhaus das Zehnfache der Anlagenhöhe betragen muss, gerade selbst aufgeweicht, wie man eine trockene Semmel aufweicht, um sie zu einem Semmelknödelteig zu verarbeiten. Zwar drohen in Bayern noch keine nordfriesischen Zustände, doch die überirdischen Spargel haben jetzt auch im weißblauen Freistaat Saison und zwar ganzjährig.  

Demnächst „beim Ukrainer“ tafeln

Es wird nicht der einzige Kollateralschaden eines Krieges sein, den Deutschland mit so großer Inbrunst führt, als stünde der Russ schon wieder vor Berlin. Ein weiterer zeichnet sich an der kulinarischen Front ab. Denn viele Gastronomen kochen noch auf traditionellen Gasherden. Gas hat den Vorteil, dass sich die Hitze exakt regulieren lässt, weitaus exakter jedenfalls als bei herkömmlichen Elektroherden. Zwar gibt es seit einiger Zeit moderne Induktionsherde, die bezüglich Regelbarkeit ähnliche Eigenschaften haben wie ein Gasherd, zudem die Umgebung nicht mitheizen und außerdem leichter zu reinigen sind. Nur sind solche Hightech-Kochstellen sehr teuer, und viele Gastronomen, die seit Corona ohnehin auf dem letzten Loch pfeifen, können oder wollen die notwendigen Investitionen nicht stemmen. 

Jetzt explodieren auch noch die Gaspreise, was viele Gastwirte endgültig in den Ruin treiben wird. Am Ende wird es noch mehr Döner-, Falafel-  und sonstige Imbissbuden geben und noch weniger normale Gasthöfe, wobei Wirtshäuser mit Namen wie „Deutsches Haus“ oder „Im Krug zum grünen Kranze“ ohnehin eine vom Aussterben bedrohte Spezies sind. Und falls es die Namen noch geben sollte, hockt bestimmt ein Italiener oder Chinese drin. Bald werden wir angesichts der kriegsbedingten Einwanderungswelle sicher auch des Öfteren „beim Ukrainer“ tafeln.

Doch nicht nur in Deutschland kämpft das Bewirtungsgewerbe mit den Folgen von Putins verhängnisvoller Entscheidung, die russische Wirtschaft ausschließlich auf Produktion und Genuss von Wodka umzustellen. Aus Großbritannien wird berichtet, dass die Fish'n'-Chips-Branche unter der Ukraine-Krise leide. Dem zuständige Branchenverband, der National Federation of Fish Friers (NFFF), zufolge hätten die britischen Fish'n'Chips-Shops bislang die Hälfte des zum Frittieren benötigten Sonnenblumenöls aus Russland oder der Ukraine bezogen, auch das zum Panieren erforderliche Mehl sei zum großen Teil aus der Ukraine eingeführt worden. Zudem würden 40 Prozent jener weißfleischigen Fische (Kabeljau, Schellfisch, Seelachs oder Merlan), die auf Papptellern oder in Papiertüten landen, von russischen Trawlern gefangen. Nun drohten, so die NFFF, überall Preiserhöhungen, selbst – infolge steigender Düngemittelpreise – bei Kartoffeln, aus denen die „Chips“ geschnitten werden.

Parole: „Fish?“ „Chips!“

Zunächst muss ich gestehen, dass mich mein Mitleid mit einer drohenden Fish'n'Chips-Knappheit im Vereinigten Königreich in Grenzen hält. Ich habe zwar die britische Nationalspeise vor Ort noch nicht gegessen, kenne aber ein paar deutsche Varianten, die mich allesamt nicht überzeugen konnten. Meist war das alles viel zu fettig, der Fisch nicht frisch, die Panade zu dick. Die besten Fish & Chips hierzulande gibt es wohl bei Daniel Wischer in Hamburg, die schlechtesten bei Nordsee. Wahrscheinlich kommt es drauf an, wie viel nachgefragt wird – wenn die fertig gebackenen Fischstücke und Kartoffelscheiben eine Stunde unter der Wärmelampe vor sich hindümpeln, mutieren sie jedenfalls zu ungenießbarem Gummi. Wie sich der von den Briten anstelle von Mayonnaise zur geschmacklichen Abrundung verwendete Malzessig auf die Gesamtperformance auswirkt, kann ich mangels Erfahrung nicht beurteilen. Wahrscheinlich katastrophal.

Dabei ist doch gerade die englische Streetfood-Nationalspeise so erfreulich kriegskompatibel. „Trotz aller durch den Krieg notwendigen Einschränkungen“, lese ich auf Wikipedia, „wurden selbst im Zweiten Weltkrieg Fish’n Chips als gehaltvolle und billige Mahlzeit nicht durch das britische Ernährungsministerium rationiert und dienten auch zur Versorgung der kämpfenden Truppe.“ Kriegsbedingt aus den Städten aufs Land evakuierte Bürger seien durch spezielle Fish’n'Chips-Wagen versorgt worden. Aber damit nicht genug: Während der Landung der Alliierten in der Normandie hätten sich britische Soldaten mit der Frage „Fish?“ und der Antwort „Chips!“ gegenseitig identifiziert. Hätte die Antwort „dumpling“ gelautet, schließe ich daraus, wäre man sicher gewesen, einen feindlichen Teutonen vor sich zu haben.

Mal abwarten, wie es mit dem Krieg und der drohenden Lebensmittelkrise weitergeht. Falls es wirklich auch bei uns in Deutschland hart auf hart kommen sollte, könnte der Döner vielleicht jene Rolle als „gehaltvolle und billige“ Mahlzeit spielen wie Fish & Chips in dem vom Zweiten Weltkrieg gebeutelten Großbritannien. Dann würden vielleicht auch bei uns spezielle Döner-Wagen übers Land fahren, um die dorthin evakuierten Bürger zu versorgen. Und das Codewort zur Identifizierung unserer Bundeswehrsoldaten lautete „Döner?“ „Kebab!“ Hoffentlich legt Erdogan nicht wieder sein Veto ein.

Hier noch ein Rezept für Fish & Chips für jene Hartgesottenen, die so etwas nachkochen wollen. Das mit Minze parfümierte Erbsenmus namens Mushy Peas könnte sogar ganz gut schmecken. Jedenfalls erinnere ich mich, einmal in den Midlands ein vorzügliches Roastbeef mit Mintsauce gegessen zu haben. Wenn sie wollen, dann haben sie durchaus so etwas wie eine Esskultur, die Briten. 

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Frank Box / 22.05.2022

“Ich habe zwar die britische Nationalspeise vor Ort noch nicht gegessen” ◙ Da haben Sie nichts verpasst! Ich war Ende der 70ger auf Klassenfahrt in London. Dabei probierten wir natürlich auch dieses “Nationalgericht”. Einmal und nie wieder! Fish & Chips waren ABSOLUT ungenießbar! Stellen Sie sich vor, sie machen Bratkartoffeln. Da ist in der Pfanne aber sonst NICHTS dabei: kein Speck, keine Zwiebeln, kein Ei und keine Gewürze; nicht einmal Salz! Dem Fisch ging es natürlich genauso. ◙ So aßen wir morgens nur Toast mit Orangenmarmelade und gingen dann später zu Burger-King. Der Wopper schmeckt auf der ganzen Welt immer gleich…

Hans Meier / 22.05.2022

Hallo Herr Georg Etscheit, ich seh Sie haben Ahnung von de` Küche. Bei mir ich auch „Chef mit Gasherd“, wahrscheinlich mit 36 Lenzen. Also nur ½ vom Chef, aber Ihre „Spitzen Kombination, Bratwurst mit Spargel“ würde ich noch mit Souce Hollandeise, abschmecken und abrunden. Auf`m Weg nach London bin ich immer in Holland vom Weg abgekommen, un da gibt et beste Pommes + Kabel + Jau + Majo + Ketchup ganz echt Lecker. Von d`m Nordseestrand am Brouwersdeich, sin` wir im Neopren bei Beaufort 5 mit nem Brett un sechser Segel   zur Tat aufgebrochen um gen Engeland Meer die Wellen zu be reiten bis wir ne feine Sandbank fanden wo die Seehunde so süß un drollig guckten. Ok erst ma Pause, England wohl noch nicht in Sicht. Un Grande Schreck, wir sind verdammt weit auf See. Von dem Startufer is nur`n alles undefinierbar zu sehen, da müssen wir abzusehen, uns in Trapetz-Zeuchgeschirr mit Haken an`ne Höschen zu legen, um schleunigst zu den Liebsten zurückzukehren, zu Pommes Fritz mit leckere Fisch. Ich hab den McDonald`s ja eher so als „Schwerverbrecherfutter + Dickmacher im Verdacht“.

Bernd Keller / 22.05.2022

Wer davor Angst hat: Fried bait in Ramsgate… Abgesehen davon ist jede Diskussion lächerlich! Backfisch haben wir auch, lustige Sachen wie Saumagen etc…

Walter Weimar / 22.05.2022

Bericht aus Thüringen, Mittelmäßiger Rundfunk, Spargelgebiet Herbsleben: Eine Anbaufläche ist schon wegen Absatzmangel, infolge von Höchstpreisen, vorzeitig umgeackert worden. Weiter so! Nicht der Konsument wirft Essen weg, der Bauer und Handel wird es tun. Nicht Knappheit, sondern Überfluß. Nein doch Knappheit, am Geld bei den Kunden. Meine Frage, wer stirbt zuerst, der Erzeuger oder der Konsument? Marktbereinigung.

Sirius Bellt / 22.05.2022

Das nächste Windrad bitte direkt vor Söders Garten. Was Fish&Chips; betrifft hat mich das in etwa so begeistert wie Lamm mit Minze. Nämlich gar nicht. Ach übrigens, gestern im Rewe: deutsche Erdbeeren in der 500 g Schale für 7,98 €. Die älteren unter uns werden sich noch erinnern, das waren 16 DM.

D. Preuß / 22.05.2022

„Ich habe zwar die britische Nationalspeise vor Ort noch nicht gegessen, kenne aber ein paar deutsche Varianten, die mich allesamt nicht überzeugen konnten.“ Ja, das ist das Problem, denn dasselbe gilt auch dafür, das hier beim Chinesen Verkaufte für chinesisches oder das beim Inder Verkaufte für indisches Essen zu halten. Es heißt nur so. Ich habe Fish ‘n‘ Chips quer durch alle vier Teile des UK gegessen - zumeist in Schottland - und befand es (fast immer) als lecker, wenn auch nicht einem Gourmettempel adäquat. Dafür ist es ja auch billiger. Zur Senkung der Kosten könnten die Erzeuger ja aufhören Polystyrolbehälter oder bedruckte Pappboxen zur Verpackung zu nehmen und wieder zurück zum gebrauchten Zeitungspapier zu gehen. Das wäre doch auch im Sinne der Ökologie und des Recyclings und böte sich für viele Qualitätsmedien an, auch und vor allem in Deutschland. Esst mehr Fish ‘n‘ Chips und wickelt ihn ins Neue Deutschland oder Süddeutschland Und als krönenden Abschluss dann noch einen battered „Mars“-Riegel. Okay, das ist wirklich gewöhnungsbedürftig.

T.Resias / 22.05.2022

”  Jedenfalls erinnere ich mich, einmal in den Midlands ein vorzügliches Roastbeef mit Mintsauce gegessen zu haben. “ Absolut hervorragend : Lamb chops with mint sauce, green peas and chips. Dazu a pint of Heavy(Scotland) or Bitter (Northern England). Und : ” Fish and Chips are cheap and easy to eat ”  schrieb schon J.D. o’Connor in seinem Standardwerk ‘Better English pronunciation’ (reprint Cambridge university press 1980 ). Das mit dem cheap hat leider die Inflation erledigt, aber der Hauptgrund weshalb diese Ikone der britischen Kulinarik bei uns nie richtig Fuss fassen konnte ist : In Great Britain werden sie ja in Zeitungen eingewickelt, und da fehlt es bei uns - heute mehr als je zuvor - an Qualität ! Cheers !

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