Zum Fasching gehört der Krapfen, auch als Berliner bekannt (und in Berlin Pfannkuchen genannt). Inzwischen gibt es ihn in zahlreichen Variationen, nicht selten mit abenteuerlichen Füllungen von irischem Sahnelikör bis hin zu schauriger Hagebuttenmarmelade.
Mit der Vielfalt ist das so eine Sache. Sie kann anregend und bereichernd sein, solange sie nicht von oben verordnet wird. Sie kann aber auch anstrengend sein, weil man sich andauernd für oder gegen etwas entscheiden muss. Wie schön war es doch, als man einfach einen „Kaffee“ bestellen konnte und dann Kaffee serviert wurde. Das höchste der Gefühle war die Nachfrage: Tasse oder Kännchen? Und, wenn man auf der Terrasse Platz genommen hatte, vielleicht die pampige Ansage: „Draußen nur Kännchen.“
Dann kam der Cappuccino ins Land und der Komplexitätsgrad der Kaffeebestellung legte gleich mal ein paar Punkte zu. Jetzt galt es nicht nur, sich zwischen Kaffee und Cappuccino entscheiden zu müssen. Dazu gesellte sich die Frage, ob man das italienische Heißgetränk mit Sahne oder Milchschaum, mit oder ohne Kakaopulver präferiere. In der Folge erweiterte sich der verwirrende Raum der Möglichkeiten noch um Latte macchiato, Café au lait, kleine, große, verlängerte Espressos multipliziert mit der Option „mit oder ohne Zucker“ und den unterschiedlichsten Varianten von Kaffeeweißern, heiße, kalte, lauwarme Milch, Kondensmilch sowie Mandel- und Sojamilch für unsere veganen Freunde. Ganz zu schweigen von unterschiedlichen Kaffeesorten und der unvermeidlichen Bio-Option.
Wenn man heute im Hotel vor einem Kaffeecomputer modernster Bauart steht, weiß man nie, wo man drücken soll. Und wenn man aus Verzweiflung einfach irgendwo drückt, hat man vielleicht nur die Heißwasserfunktion erwischt – für einen Tee, der in ebenfalls hundertfacher Ausführung neben dem Automaten beutelweise bereitsteht. In solch einem Fall nehme ich am liebsten, so vorhanden, die Ostfriesenmischung. Kennen Sie den? „Warum machen die Ostfriesen immer nur eine Viertelstunde Teepause? Weil man sie zur Arbeit sonst wieder neu anlernen müsste“. Ein Brüller.
Verwirrende Vielzahl von Krapfen-Kreationen
Zurück zur Vielfalt, die sich gerade auf dem Feld der Faschingskrapfen zu beweisen trachtet. In seligen Zeiten der Übersichtlichkeit beschränkte sich das Angebot in den mit Luftschlangen und Luftballons dekorierten Auslagen der Bäckereien auf gefüllte und ungefüllte Krapfen, je nach Mundart auch Kreppel oder Berliner (Pfannkuchen) genannt. Als Füllung gab es standardmäßig Aprikosenmarmelade, die gut passt, weil sie nicht zu dominant ist und geschmacklich dem Hefeteig den Vortritt lässt. Gehobenere Konditoreien hatte oft auch neben den mit Zucker oder Puderzucker bestreuten Krapfen auch glasierte im Angebot, wobei deren Oberfläche mit Aprikosenmarmelade bestrichen („aprikotiert“) und dann mit Zuckerguss überglänzt wurde.
Mehr konnte man sich eigentlich nicht wünschen, zumal die Krapfenzeit bald wieder vorbei war. Heute räumen die Konditoreien schon Wochen vor Fasching ihre Auslagen, schieben Amerikaner, Nussschnecken und Schweinsohren zur Seite, und bestücken sie mit einer verwirrenden Vielzahl von Krapfen-Kreationen - einfachere Ausführungen sind mittlerweile das ganze Jahr über erhältlich.
Die Erfindung des Vanille- und Schokokrapfens - gefüllt mit Vanille- oder Schokoladenpudding, habe ich noch begrüßt, auch ein Pflaumenmuskrapfen, erinnernd an böhmisches Hefebackwerk, erscheint mir sinnvoll und geschmacklich überzeugend. Doch dann kam der Baileys-Krapfen mit einer auf dem aufdringlichen irischen Sahnelikör basierenden Füllung nebst Glasur, der Tiramisu-Krapfen, der oft so voluminös gerät, dass man ihn nur mit Messer und Gabel essen kann oder, ganz aktuell, ein Krümelmonsterkrapfen.
Pikante Variante
Die Münchner Abendzeitung entdeckte jüngst in der heimlichen deutschen Krapfenmetropole auch einen Limoncello-Krapfen, einen Himbeer-Grapefruit-Krapfen oder einen extrem gehaltvollen Mousse-au-chocolat-Krapfen. Natürlich wird mittlerweile alles, was es an Marmeladen in der großen Trommel bei Bäko gibt, wahllos in einen wehrlosen Krapfen appliziert, bis hin zu schauriger Hagebuttenmarmelade.
Letzteres erinnert mich ein wenig an jene mit Senf gefüllten Scherzartikel, die einem Kreppelkaffee zur Fastnacht im vertrauten Kreis die gewisse Würze gaben. Kein Schwerz ist die Erfindung eines Bosna-Krapfens durch einen Bäckermeister aus dem oberbayerischen Miesbach, eine pikante Variante der Fastenspeise, gefüllt mit einem Würstel und Curry-Ketchup-Soße nebst angeschmolzenen Zwiebeln. „Der Bosna-Krapfen ist ein Nischenprodukt“, wird der kreative Handwerker vom Münchner Merkur zitiert, worin ihm gewiss nicht zu widersprechen ist.
Den Bosna-Krapfen gibt’s kalt direkt aus der Theke und warm aus der Pfanne. Die mutmaßliche Originalversion einer Bosna – ohne Krapfen – gibt es übrigens in Salzburg, wo ein Bulgare kurz nach Kriegsende diese besondere Form eines Bratwurstsandwichs erfunden haben soll. Gästen der Salzburger Festspiele wird vom Verzehr der Spezialität, die längere Pausengespräche unmöglich macht, abgeraten.
Schlemmen vor der Fastenzeit
Allerdings hat die Krapfenvielfalt auch ihre Grenzen. Unlängst wude ein Heilbronner Bäcker von der städtischen Diskriminierungsstelle abgemahnt, weil er Krapfen mit „diskriminierenden Dekorationen“ angeboten habe. Die Figuren auf dem Süßgebäck zeigten neben Chinesen, (weißen) Cowboys auch „Darstellungen schwarzer und indigener Menschen“. O-Ton der Behörde, die aufgrund einer Kundenbeschwerde vulgo Denunziation tätig geworden war: „Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass sich Darstellungen dieser Art stereotyper Bilder bedienen. Es handelt sich um eine Reproduktion kolonialistischer Vorstellungen und einer Geschichte von Unterdrückung und kultureller Aneignungen.“ Der Bäcker wurde aufgefordert, das Dekomaterial „diskriminierungssensibel“ abzuändern.
Wenn man mich fragen würde, welche Krapfenvariante(n) ich bevorzugen würde, würde ich sagen: keine. Das liebste Schmalzgebäck ist mir die Ausgezogene, auch Knieküchle genannt, weil Bauersfrauen den Hefeteig über ihrem Knie auszogen, bevor er in heißem Fett ausgebacken wurde. Außen bildet sich auf diese Weise ein Wulst, während das Gebäck innen dünn und kross wird. Dadurch kommt man in den abwechslungsreichen Genuss zweier Texturen. Füllen kann man eine Ausgezogene zum Glück nicht, nur mit Puderzucker sollte man sie bestreuen und am besten noch warm essen. Eine kleine, feine Mahlzeit, die an den sättigenden Ursprung der aktuellen Krapfenschwemme erinnert. Schließlich beginnt nach Fasching die entbehrungsreiche vorösterliche Fastenzeit.
Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.