Cancel Cuisine: Dreikönigskuchen

Der klassische Omakuchen schlechthin wird je nach Region auf unterschiedliche Art hergestellt und lässt einen mitunter mit dem schlichten rosinen-, zitronat- und orangeatgespickten Original-Backwerk seinen Frieden schließen.

In meiner Jugend galt mir ein Königskuchen als Inbegriff spießiger Kaffeeklatschkultur, als Omakuchen schlechthin. Immer irgendwie staubig, manchmal streng nach Backpulver schmeckend, und jenen „trockenen Kuchen“ anverwandt, die man bröckchenweise zum Munde führt, zusammen mit einer Tasse Tee mit Rum, um nicht augenblicklich daran ersticken zu müssen. In die gleiche Kategorie fielen „Englischer Kuchen“, Zitronenkuchen und Nusskuchen, wobei im Falle des letztgenannten zumindest eine Schokoladenglasur die kulinarische Attraktivität des Gebäcks in den Augen eines verwöhnten Kindes geringfügig zu steigern vermochte. 

Was mir alten, weißen Königskuchen schon lange vor dem Genderwahn zusätzlich verhasst machte, war die rezeptnotwendige Dreingabe von Rosinen, Korinthen sowie Zitronat und Orangeat. Ich weiß nicht, warum heute die meisten Kinder und nicht wenige Erwachsene in Teig eingebackene, getrocknete Weintrauben und kandierte Zitrusfrüchte hassen. In vergangenen Zeiten waren sie Inbegriff des Überflusses, süße Zutaten, die man sich, wenn überhaupt, nur an hohen Festtagen leisten konnte.

Heute sehe ich Königskuchen in einem etwas anderen Licht. Ich bin zwar noch immer kein wirklicher Fan von Rosinen und Orangeat oder Zitronat, egal ob in einem Kuchen oder einer anderen Süßspeise, doch habe ich mit diesen Zutaten nach langem Ringen mit offenbar angeborenen Ekelreflexen Frieden geschlossen. Nicht zuletzt eingedenk der Tatsache, dass es immer Zeiten des Mangels gab, der Mangel im Verlaufe der Menschheitsgeschichte eigentlich eher Regel als Ausnahme war. Und Kinder leuchtende Augen bekamen, wenn eine Mandarine auf dem Weihnachtsteller lag und noch keine Hundertschaften von Schoko-Nikoläusen die Auslagen der Supermärkte und Konditoreien bevölkerten.

Als Festtage noch wirkliche Festtage waren

Da waren Festtage noch wirkliche Festtage, wie etwa das Dreikönigsfest (Epiphanias), der letzte der hohen Feiertage der Weihnachtszeit. Die sechste Kantate von Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ ist diesem Hochfest der Christenheit gewidmet. Und eben der Königskuchen, den man korrekterweise Dreikönigskuchen nennen müsste. Die goldene Farbe seines Teiges mag an jenes Gold erinnern, das dem in seiner Krippe liegenden Jesusknäblein von den drei Weisen aus dem Morgenlande dargebracht wurde. Statt Weihrauch und Myrrhe gibt es okzidentales Trockenobst und eine mit Anis versetzte Spirituose namens Arak, die mit dem südfranzösischen Pastis verwandt ist und sich, wenn sich Wikipedia nicht irrt, gerade als Modegetränk in israelischen Bars einiger Beliebtheit erfreut.

Noch mehr Geschenkcharakter als ein normaler Königskuchen ist dem Rheinischen Königskuchen zu eigen, ein nicht ganz unkompliziertes Backwerk, bei dem der übliche Rührteig von einer Hülle aus Blätterteig eingehüllt ist. In einer Konditorei habe ich diese Variante des Königskuchens noch nicht gesehen, kann deshalb auch nicht beurteilen, welchen geschmacklichen Mehrwert die zweite Teighülle bietet, die den Königskuchen zu einem „Kuchen im Kuchen“ macht. Auch in der Konditorei des weltbekannten Klosters Maria Laach, zwischen Koblenz und Bonn in der Eifel gelegen, wird man leider nicht fündig. Dafür backt man hier einen „Nusskuchen nach Adenauer“, angeblich inspiriert durch das Originalrezept von Resi Schlief, Adenauers langjähriger Haushälterin in Rhöndorf.

Adenauer war bekannterweise nicht nur bekennender und praktizierender Katholik; zusammen mit Charles de Gaulle legte er mit dem 1963 unterzeichneten Elysée-Vertrag auch den Grundstein für die deutsch-französische Aussöhnung, die direkt zu einer weiteren Variante des Dreikönigskuchens führt, der in ganz Frankreich mit Ausnahme des äußersten Südens, wo der aus Briocheteig bestehend und mit kandierten Früchten verzierte Geteau des Rois verbreitet ist, beliebten Galette des Rois

Wozu Fastnacht, wenn man ganzjährig von Narren regiert wird?

Mit dem Rheinischen Königskuchen hat eine Galette des Rois ihre buttrig-blättrige Umhüllung gemein. Doch statt schnöden Rührteiges birgt die zarte Umhüllung eine reichhaltige, marzipanähnliche Masse, bestehend aus Butter, Zucker, gemahlenen Mandeln und Rum oder auch einer Frangipane-Masse auf Basis einer Konditorcreme mit Mandelpulver. Eine Galette des Rois wird lauwarm gegessen, was sie noch gehaltvoller erscheinen lässt. Nach spätestens zwei Stücken fühlt man sich derart gemästet, dass man froh ist, den Feiertagsreigen endlich hinter sich zu haben. 

Königskuchen à la francaise birgt noch eine weitere Tücke: die in den Kuchen eingebackene Fève, ursprünglich eine trockene Bohne, heute meist ein kleines Porzellanfigürchen. Wer das Püppchen findet und sich keinen Zahn daran ausbeißt, darf sich für den Rest des Tages als König fühlen und eine papierne Krone aufsetzen. Das Spiel weist voraus auf die Fastnachtszeit, wenn sich die Machtverhältnisse symbolisch umkehren und für eine gewisse Zeit die Narren das Zepter führen. Wobei dieser Brauch eigentlich seinen Sinn verloren hat, weil unser Land mittlerweile ganzjährig von Narren regiert wird. Über diese überaus verstörende Tatsache helfen nur mehrere Gläser Champagner hinweg, den die Franzosen traditionell zu einer Galette des Rois trinken. 

Le rois boit, le rois boit! Auf deutsch: Prost Mahlzeit!

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Steph Gray le 15 janvier 2011, CC BY-SA 2.0, Link

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Leserpost

netiquette:

M. Corvinus / 06.01.2024

Und wo ist hier das Canceln? Es ist besser, nicht zu publizieren, als an den Haaren Herbeigezogenes zu publizieren ...

Wilfried Cremer / 06.01.2024

Die Waisen aus dem Morgenland sind eher scharf auf heiße Schlitten als auf lauwarmes Gebäck.

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