Georg Etscheit / 19.09.2021 / 12:00 / Foto: Pixabay / 35 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Die weiße Speise

Das Weißessen, französisch „Blanc-manger“ ist eine der ältesten Speisen überhaupt. Der Name leitet sich von den wichtigsten Zutaten ab, die alle weiß sind: Hühnerfleisch, Reis, Zucker, Salz und, vor allem, Mandelmilch. Letztere verweist auf ihre mutmaßlich orientalische Herkunft. Es gehört zu einem der Merkmale der arabischen Küche, Fleischgerichte auch süß zuzubereiten. In der Türkei etwa gibt es bis heute einen himmlischen Hühnerbrust-Pudding, der Tavuk göğsü– übersetzt „Hühnerbrust“ – heißt, die vielleicht berühmteste Süßspeise des Landes.

Der Legende nach wurde das Gericht in den Küchen des Istanbuler Topkapi-Palasts erfunden, der Residenz der osmanischen Herrscher. Mitten in der Nacht wollte der Sultan, so die Geschichte, plötzlich etwas Süßes essen. Die Köche hatten aber nur noch Hühnchen in der Küche und da keiner es wagte, dem Herrscher einen Wunsch abzuschlagen, bereiteten sie kurzerhand ein Dessert daraus. Mandelmilch gehört in diesem Fall nicht zu den benötigten Ingredienzen.

Ursprünglich war das Weißessen allerdings kein Dessert, sondern ein Haupt- oder Beigericht. Unter dem Namen „blamensier“ taucht es bereits im ältesten deutschsprachigen Kochbuch auf, dem im 14. Jahrhundert erschienenen „buoch von guoter spise“. Die Zutaten: Hühnchen, Speck, Reis, Mandelmilch, Wasser, Zucker, Salz, Ingwer und weißer Pfeffer. Mittelalterfreaks haben zahlreiche Fundstellen für dieses Gericht in alten Kochbüchern aufgespürt und im Internet veröffentlicht.

Vor der Leckerei steht ein Haufen Arbeit

Mit der Zeit verengte sich der Begriff des Blanc-manger auf eine Süßspeise, die Mandelsulz. Sie erinnert in ihrer gallertartigen, bleichen Anmutung ein wenig an das italienische Modedessert Panna Cotta, wobei die weiße Farbe hier von der Mandelmilch, nicht von der Sahne, stammt. Auguste Escoffier beklagte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass diese Speise nur noch selten zubereitet werde, obwohl sie eine der besten sei. Paul Bocuse zollte ihr aber noch Referenz in seinem 1976 erschienenen „Kochkunstbuch“, in der er dem Blanc-manger vulgo Mandelsulz eine halbe Seite widmet. Sie sei zwar typisch für die alte, klassische Küche, schreibt der Meister, gehöre aber trotzdem zu den „köstlichsten Leckereien, die man sich ausdenken kann“.

Doch vor der Leckerei steht, wie immer bei Bocuse, ein Haufen Arbeit. Denn Bocuse erstand seine Mandelmilch natürlich nicht im Bioladen um die Ecke, sondern stellte sie selbst her. Dazu muss man 250 Gramm Mandeln nach kurzem Aufkochen in heißem Wasser zunächst aus der braunen Schale pressen. Wenn man dies unterlässt, erhält man kein Blanc-manger sondern ein Brune-manger und ruft möglicherweise die Antifa auf den Plan. Hernach werden die Mandeln eine halbe Stunde in kaltem Wasser eingeweicht, bevor man sie im Mörser zerstößt und, durch Beigabe von etwas Wasser und Sahne (!), zu einer Paste verarbeitet. Diese Paste muss dann etwas mühevoll durch ein festes Tuch gepresst werden.

Das Ergebnis ist eine relativ kleine Menge einer köstlichen, milchig-weißen Emulsion. Diese wird mit Zucker abgeschmeckt und mit in erwärmter Mandelmilch aufgelöster Gelatine gebunden, bevor man in die langsam anziehende Masse sehr steif geschlagene und ebenfalls gezuckerte Sahne unterhebt. Dazu kann man, wie zu einer Bayerischen Creme, verschiedene Fruchtsoßen reichen, etwa Himbeersoße, aber auch Soßen, die mit Schokolade oder Kaffee aromatisiert worden sind.

Auch die Tischsitten sind im freien Fall

Natürlich war das Blanc-manger, wie das Weißbrot, keine Arme-Leute-Speise, sondern dem Adel und der höheren Geistlichkeit vorbehalten. Dieser historische Zusammenhang wie die Tatsache, dass es sich um eine weiße Speise handelt, droht dem Blanc-manger nun endgültig zum Verhängnis zu werden. In Frankreich jedenfalls ist unlängst eine Debatte über die „blanchité alimentaire“ entbrannt. Sie entzündete sich an einem Vortrag, den eine US-amerikanische Rechtswissenschaftlerin auf einer Veranstaltung gehalten hatte, die von den renommierten Sciences Po Paris und der Universität in Nanterre organisiert worden war.

Kurz gesagt lautet die These der Dame, die sich im Internet in einer modernen Küche mit sektenhaft starrem Blick präsentiert, dass die französische Küche zutiefst rassistisch sei. Seit dem 19. Jahrhundert habe die französische, weiße und christliche Herrscherklasse ihre Ess- und Tischsitten zur Norm gemacht, infolge der Vorbildfunktion der cuisine francaise sogar weltweit.

Hätte Mathilde Cohen schon mal ein Blanc-manger gegessen, hätte sie wohl solchen Unsinn nicht verzapft. Aber ihr Ziel hat sie wohl erreicht, nämlich Schlagzeilen zu machen, mit denen wiederum zu Hause in Connecticut oder anderswo öffentliche Forschungsgelder eingeworben werden können. Zumindest ich selbst vermag eine Vorherrschaft „unserer“ kulinarischen Traditionen nicht zu erkennen, dürfte es doch längst mehr Falafel-, Döner- und Asiabuden geben als Restaurants, die gut zubereitete, europäische Kost offerieren. Auch die Tischsitten sind im freien Fall. Die Frage ist nicht mehr, wie Cohen meint, ob man am Tisch (böse) oder auf dem Boden (gut) sitzend isst, sondern, wie man einen glitschigen Hamburger beim Telefonieren einhändig im Gehen vertilgt.

Kochen als mutmaßlich alte, weiße Kulturtechnik

Doch wo Frau Cohen recht hat, hat sie recht: „Blanchité“ ist nicht nur in der französischen Küche weit verbreitet, was allerdings nicht daran liegt, dass damit irgendjemand rassistische Hintergedanken verbindet, sondern einzig und allein der Existenz einer Farbe geschuldet ist, die sich weiß nennt und auch so aussieht. Man denke etwa an das köstliche „Blanquette de veau“, ein Kalbsfrikassee in weißer Soße oder die Technik des Blanchierens, mit der man Gemüse kurz mit heißem Wasser überbrüht, um ihre wertvollen Inhalts- und Geschmacksstoffe zu erhalten, etwa vor dem Einfrieren. Feines Gemüse wie Spinat wird durchs Blanchieren schon gar und muss nicht mehr totgekocht werden. Ohne diese Technik wäre die Menschheit dazu verdammt, nur noch Rohkost zu essen. Aber vielleicht ist das ja der Sinn der Übung, das Kochen als mutmaßlich alte, weiße Kulturtechnik generell zu desavouieren.

Übrigens wäre ein Angriff auf alles Weiße in der Küche ein Schuss ins eigene Bein der woken Öko-Society. Denn Mandelmilch ist in Bio- und Veggieläden längst zum Renner avanciert, weil sich damit die böse, laktosehaltige und vom Tier stammende Kuhmilch ersetzen lässt, etwa als Kaffeeweißer oder für Süßspeisen. Übrigens nennt man das Überbrühen von Mandeln zum Zwecke ihre Häutung ebenfalls „blanchieren“. Ohne „blanchité“ also keine Mandelmilch und kein veganer, gluten- und sojafreier Milchersatz. Pech für die die Cancel-Köche!

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Heinrich Moser / 19.09.2021

Habe heute einen Esterhazy-Rindsbraten gemacht. Mit Bandnudeln, Birne, Preiselbeeren und einer Chremeschnitte als Nachspeise. Vorher eine Schinkenschöberlsuppe ... Wer die (wirkliche) Wiener Küche kennt, verfällt ihr unverzüglich.

P. Schwarz / 19.09.2021

Nachdem die Schwarzfahrer inzwischen aus dem sprachlichen Repertoire getilgt sind, und es der blanchité an den Kragen geht, frage ich mich, wann die schwarze, die gelbe und die weiße Farbe abgeschafft werden, oder der Nachname Schwarz.

Roland Stolla-Besta / 19.09.2021

Ich gebe zu, daß ich, obgleich sehr francophil und oft in Frankreich mich aufhielt, dieses blanc-manger so recht nie kennengelernt habe. Wie ich nun feststellen muß, wohl zu meinem Glück. Im übrigen halte ich mich mittlerweile auch bei meinen Eßgewohnheiten schon an die political correctness, jedenfalls versuche ich es, wobei die auch nicht immer einfach zu beachten ist. Zwar habe ich mich in Österreich schon seit langem von dem überaus köstlichen „Mohr im Hemd“ verabschieden müssen. Aber was ist mit unserem teutonischen Brot? Ich verzichte schon auf Weißbrot – klar, weiß = diskriminierend, das sieht jeder ein. Was aber ist mit dem Schwarzbrot, das ich stattdessen verzehre? Hat das nicht auch schon ein Geschmäckle geradezu von Anthropophagie? Und die im Zusammenhang mit einer diskriminierten Gruppe! Wollen wir die Komplikation doch noch auf die Spitze treiben: Wenn ich als Anthropophage nur Weiße verzehre, diskriminiere ich damit nicht die Neger – ohhhh padong, ich meine natürlich die Afroafrikaner – als nicht genießbar?

Andrej Stoltz / 19.09.2021

Abgesehen, dass es sich hier eigentlich nicht um Küche, sondern um einen viel grösseren Zusammenhang handelt, hab ich jetzt gerade trotzdem einen richtigen Gusto auf bairische Weißwurst bekommen. Weiße Schokolade ess ich auch ab und zu gerne. Meine Wände sind innen weiß gestrichen. Und meine Hausfassade auch. Selbst bin ich auch weiß. Schleichts eich zum Deifi, Es Linksfaschisten ! Denn um nichts anderes als um Linksfaschismus handelt es sich hier. Noch was: Nirgendwo auf der Welt ist die Bevölkerung so divers wie in Europa. Nirgendwo sind die biologischen Varietäten bei Haarfarbe, Augenfarbe, Haut so breitgestreut wie im alten Europa. Küche, Kultur sowieso auch. Und genau diese natürlich-evolutionär entstandene alte europäische Diversität ist es, welche die Linksfaschisten zugunsten einer Monokultur zerstören wollen.

Klaus Keller / 19.09.2021

Übrigens wäre ein Angriff auf alles Weiße in der Küche ein Schuss ins eigene Bein der woken Öko-Society…. Behindere deine Gegner nie, wenn sie Fehler machen

Sirius Bellt / 19.09.2021

Es gibt tolle Gerichte aus aller Welt. Hühnerbrust-Pudding gehört ganz sicher nicht dazu. Eine Beleidigung für meine Geschmacksnerven. Das Mandel-Gelatine-Törtchen finde ich kolossal überbewertet und der Charme von Hühnerfrikassee mit stinknormalem Reis erschließt sich mir ebenfalls nicht. Erinnert mich an mau gewürzte Schonkost und Krankenhausessen.

Uta Buhr / 19.09.2021

Was für ein äußerst appetitlicher Beitrag in einer durchweg unappetitlichen Zeit. Lieber Autor, beim Lesen Ihres Artikels und der Erwähnung der “Blanquette de veau” lief mir buchstäblich das Wasser im Munde zusammen. Ist das eigentlich noch erlaubt, weil der Speichel farblos - tja - eigentlich weiß ist. Ich möchte doch sehr hoffen, dass die Franzosen nicht auf die Attacken einer sauertöpfischen Mathilde Cohen hereinfallen und weiterhin ihr blanc-manger nicht nur auf den eigenen Tisch, sondern auch auf die Tafeln der Restaurants im Lande bringen werden. Ich schätze mal, dass Ms, Cohen noch nie etwas richtig Leckeres gekostet, sondern sich hauptsächlich mit einem labberigen Hamburger aus der Faust begnügt hat. So ein armes Würstchen!

R.Kühn / 19.09.2021

Wo mich rassistische Hintergedanken plagen, oder besser gesagt rassistische Hintern-gedanken? Genau, auf dem stillen Örtchen. Ich frage mich jedesmal, ob die Farbe meine Hinterlassenschaft und der dazugehörige Geruch, nicht voll rassistisch sind. Aber was soll ich machen, so lange bis die Wissenschaft keine Lösung für das Problem gefunden hat, werde ich wohl damit leben müssen, ein Rassist zu sein

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