Georg Etscheit / 31.12.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 6 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Die Fondue-Prüfung

In ihrer Not, den Silvesterabend angemessen zu strukturieren, greifen viele Menschen zu kulinarischen Gesellschaftsspielen, Fondue genannt. Mit Fleisch oder ohne. Oder zur Alternative: dem Raclette.

Wenn die Weihnachtsfeiertage ohne gesundheitliche oder familiäre Katastrophen zu Ende gegangen sind, beginnt eine der merkwürdigsten Zeitspannen des Jahres: die Zeit „zwischen den Jahren“, ein kalendarisches Niemandsland, emotional verortet zwischen Langeweile und Depression, das am Silvestertag seinen Höhepunkt erlebt, bevor an Neujahr das ganze Elend wieder von vorne beginnt. Jetzt schleppt man leere Flaschen zur Wertstoffinsel, bringt unpassende Buchgeschenke diskret zu öffentlichen Bücherschränken, erbarmt sich des letzten Buttergebackenen, trockener Stollenenden und übrig gebliebener Scheiben Räucherlachses, nicht ohne sich vorher per Geruchstest davon zu überzeugen, dass man sich bei deren Genuss keine Fischvergiftung zuzieht.

Am Silvesterabend bäumt sich das zu Ende gehende Jahr zu einem letzten, schalen Höhepunkt auf, dessen Gestaltung eine Herausforderung ist, die jene der Weihnachtstage weit übertrifft. Wer so unvorsichtig ist, eine Silvestergesellschaft schon für den früheren Abend einzubestellen, beispielsweise um 19.00 Uhr, muss diese geschlagene sechs Stunden bei Laune halten. Auf jeden Fall gilt es zunächst bis Mitternacht, Jahreswechsel, durchzuhalten. Dazu addiert sich noch eine Auslaufphase von mindestens einer Stunde. Unmöglich Gäste schon vor der Zeit sanft hinauszukomplimentieren, etwa indem man geräuschvoll die Spülmaschine einräumt oder Töpfe abzuspülen beginnt. Auch Ausreden – „müssen morgen früh raus“ – sind ebenso zwecklos wie unglaubwürdig, weil man am Neujahrstag ja „ausschlafen“ kann, zumal es sich diesmal um einen Sonntag handelt.

Kein Festmahl ist opulent genug, um eine solche Zeitspanne auszufüllen, selbst wenn man zwanzig Minuten gemeinsames Anschauen von „Dinner for one“ einkalkuliert. Der einst silvesternotorische Zeitvertreib des Bleigießens ist leider ebenso dem Ökowahn zum Opfer gefallen wie die Böllerei. Letztere ist zwar, wie Bleigießen, noch nicht offiziell verboten, jedoch spätestens seit Corona gesellschaftlich mehr oder weniger geächtet. Früher konnte man eine halbe Stunde vor Mitternacht zumindest schon einmal damit beginnen, das Feuerwerk hervorzukramen, die Abschussrampe in Form einer leeren Sektflasche zu präparieren und die Gäste auf den Balkon oder in den Vorgarten zu bitten, bevor die Uhrzeiger auf Mitternacht vorrückten. Noch eine halbe Stunde zusätzlich, die es mit Konversation zu überbrücken gilt.

Das Fleischfondue als gastronomischer Coitus interruptus

In ihrer Not, den Silvesterabend angemessen zu strukturieren, greifen viele Menschen zu kulinarischen Gesellschaftsspielen, Fondue genannt. An erster Stelle das Fleischfondue oder „Fondue bourguignonne“, das in jenen Jahren aufkam, als Fleisch noch als ein „Stück Lebenskraft“ galt und der Wohlstand ein Niveau erreicht hatte, das es gestattete, die für eine solche Mahlzeit unbedingt notwendigen Tranchen feinster Rinder- oder Schweinelende einzukaufen. Lende deshalb, weil nur zartestes Fleisch in vertretbarer Zeit gar wird, wenn man es, zu schmalen Schnitzeln geschnitten, auf eine Fonduegabel spießt und ins sprudelnde Fettbad taucht. 

Trotzdem gleicht ein Fleischfondue – es kann sich auch um eine politisch korrekte vegetarische Variante mit Gemüse- statt Fleischstücken handeln, die nach Art eines ostasiatischen Hot Pots in Brühe statt Fett gegart werden können – einem gastronomischen Coitus interruptus, weil man immer gerade in dem Moment, wenn man ein Stückchen verzehrt hat und Appetit auf mehr bekommt, wieder minutenlang warten muss, bis das nächste Miniaturbröckchen verzehrbereit ist. Manchmal noch halb roh oder zu völliger Trockenheit durchgebraten, was ein Fleischfondue in kulinarischer Hinsicht zu einem eher rudimentären Genuss macht, auch unter Berücksichtigung der meist vorgefertigten Soßen, in die man die glühend heißen Schnitzel tunkt, bevor man sich den Mund verbrennt.

Ähnlich wie das Fleischfondue funktioniert ein geselliges Raclette-Essen. Dafür gibt es spezielle Racletteöfen mit mehreren kleinen Pfännchen, in denen sechs bis acht Gäste gleichzeitig ein Stück Käse schmelzen und dann zusammen mit Mixed Pickles und Pellkartoffeln oder Stangenbrot verzehren können. Besser ist natürlich ein original Schweizer Raclette-Grill, in den man einen halben Raclettekäse einspannt, um nach etwa zehn Minuten den geschmolzenen Käse mit einem speziellen Messer abzuschaben bzw. abzustreifen. Abstreifen heißt auf französisch racler, daher der Name. Das Beste daran ist übrigens die krosse Käserinde, die man niemals entfernen sollte, wenn man mundgerechte Portionen für Raclettepfännchen schneidet.

Wie man ein echtes Schweizer Käsefondue macht

Ich liebe Raclette, vor allem, wenn der Käse auf einem Holzkohlenfeuer geschmolzen wurde. Doch die haushaltsüblichen Racletteöfen, die kaum zu reinigen sind und nach Gebrauch an Silvester meist ein ganzes Jahr auf ihren nächsten Einsatz warten und dabei einen unangenehm ranzigen Geruch annehmen, halte ich für ebenso verzichtbar wie einen Spargeltopf oder den Schokoladenbrunnen fürs „Schokofondue“, eine der schauerlichsten Heimsuchungen kulinarischer Geselligkeit. Da warte ich doch lieber auf den nächsten Urlaub in der Schweiz und gönne mir zu Hause ein echtes Käsefondue.

Dazu müssen zwei Sorten grob geriebenen, aromatischen Hartkäses, am besten Schweizer Emmentaler und Greyerzer, in einem zuvor mit Knoblauch ausgeriebenem irdenen Gefäß, Caquelon genannt, zusammen mit einem nicht zu säurehaltigen Weißwein aufgekocht und mit Speisestärke gebunden werden. Die idealerweise völlig homogene, sämige und nicht zu heiße Käsecreme wird noch mit einem Stamperl Kirschwasser aromatisiert und mit grob gemahlenem Pfeffer aus der Mühle gewürzt. In diese Creme, die bei Tisch auf einem Rechaud leise vor sich hinköchelt, werden mit Hilfe langer Fonduegabeln Weißbrotwürfel eingetaucht.

Dazu, wie beim Raclette, sauer eingelegtes Gemüse, jedoch keine weiteren Sättigungsbeilagen. Und den gleichen Wein wie jener, der für die Creme verwendet wurde – die Schweizer bevorzugen säurearmen Chasselas, der am Genfer See als „Fendant“ eine beachtliche Qualität erreicht, doch natürlich geht auch ein weißer Burgunder. Ein Käsefondue hat den unschätzbaren Vorteil, dass man sich daran auch in größeren Gesellschaften nicht hungrig isst. 

Großmutter mit Speichel

Kenner schwören auf den braunen Bodensatz, Großmutter genannt, wobei mir die Vorstellung, dass sich dort auch der Speichel sämtlicher Mitglieder einer Festgesellschaft angesammelt hat, nicht gerade erwartungsvoll stimmt. Auch deshalb esse ich ein Fondue am liebsten allein, wobei ich entgegen meiner allgemeinen Abneigung gegen Vorgefertigtes schon mal zum Packerl greife. Das bekannte „Tiger“-Käsefondue, hergestellt in der Schweiz, ist von einem frisch gekochten Fondue kaum zu unterscheiden und schmeckt so gut, dass man auf hungrige Mitesser verzichten kann.

Noch ein letzter Tipp für den Silvesterabend: Champagner höherer Qualitätsstufen immer nur als Aperitif oder zum Essen trinken, niemals zum Jahreswechsel! Da ist man nämlich in der Regel schon so betrunken, das man feinere Geschmäcker nicht mehr wahrnimmt, schon gar nicht aus Plastikbechern auf dem Balkon oder der Straße, da tut es auch Rotkäppchensekt.

 

Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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Markus tho Pesch / 31.12.2022

Raclette ist nun wahrlich die unterste Stufe menschlicher Ernährung und das liegt nicht nur am Käse, der arg wie erwärmtes Erbrochenes riecht.

Ludwig Luhmann / 31.12.2022

Feuerwerk für Freiheit! Nieder mit Habock!

Matthias Böhnki / 31.12.2022

Der praxisbewährte Ossi überbrückt die Zeit beim Fondue zwischen der Garwerdung der Fleischstücken einfach damit, noch mehr Spieße mit Fleisch im Fett zu versenken. Faustregel: Mit 8 bis 10 gleichzeitig versenkten Spießen kann man ununterbrochen der Reihe nach wegessen. Einer ist immer gerade fertig. Lustig sind dann die wegen der Unübersichtlichkeit im Topf vergessenen Teile. Aber dafür gibts ja den Hund. Oder die Katz. Guten Rutsch !

Michael Schauberger / 31.12.2022

In Einem haben Sie leider nicht so ganz Recht, Herr Etscheit: Da Neujahr auf einen Sonntag fällt, ist es in fast allen deutschen Bundesländern kein Feiertag; da gibt es lediglich 2 Ausnahmen nach meinem Wissen, da dies Ländersache ist. Wer das Pech hat, trotzdem an Neujahr arbeiten zu müssen (wovon es sicherlich nicht wenige geben wird), kriegt den “Feiertag” also nicht einmal angemessen vergütet, geschweige denn Überstunden. Man denke nur an Feuerwehrleute, medizinisches Personal, Fahrer im ÖPNV und dergleichen mehr, die quasi im Hintergrund, wie selbstverständlich, jeden Tag, ohne Ausnahme, ihre Arbeitskräfte verkaufen müssen. Die forcierte Flexibilisierung der Arbeitszeiten tut da ihr Übriges. Es ist, wie Sie mit “Fondue interruptus” beschreiben: der gerade fertig gewordene Happen macht Lust auf Mehr, die aber in Frust umschlägt, weil man relativ lange warten muß (wer bewußt wartet, für den zählt jede Minute als Kriegsminute, nämlich doppelt). Ein Fondue, ganz gleich, ob mit Fleisch oder Käse, ist auch ein nicht zu unterschätzender Geruchsfaktor in einer (kleinen) Wohnung. Ich für meinen Teil habe in all den letzten Jahren nicht wirklich Lust auf dieses Gericht verspürt, zumal ich es reichlich sinnfrei finde, ein Gesellschaftsessen (wozu sonst die vielen kleinen Ausbuchtungen im Fleischfondue-Kessel oder die 6-8 Käsepfännchen?) ganz alleine zu verspeisen. Feiern sind dazu da, daß die Menschen zusammen kommen. Ob es ein Klassiker wie gekochte Fleischwurst wird oder ein Fondue, ist da fast schon nebensächlich—hauptsache, die Leute werden satt & man hat Spaß.

Hjalmar Kreutzer / 31.12.2022

Hach, wie sind Herr Autor heute wieder von erlesenstem Geschmackkhe! Erkläre Er uns doch bitte,  wie der Speichel der Mitesser ins Caquelon gelanget. Hierzulande in der tiefsten ostzonalen Provence verwenden wir die Fonduegabel in der Tat zum Brutzeln von Fleisch, vorzugsweise Schweinefilet und Geflügelbrust. Wir ganz schlimmen Barbaren - rechts des Rheins beginnt Asien! (Konrad Adenauer zugeschrieben) - verwenden mitunter sogar Kasseler. Die gegarten Stücke werden mit dem bereitliegen Besteckmesser von der Fonduegabel getrennt und anschl. mit Gabel und Messer verzehrt. Selbiges empfiehlt sich auch für die in den Käse getauchten Brotstücke beim Käsefondue. Gerade wegen des Bodensatzes haben wir uns vom Käsefondue verabschiedet und bevorzugen Fleisch. Das wird sogar, man glaubt es nicht, mit bloßen Händen(!) auf die Gabel gesteckt! Wenn da einer Schwitzehändchen hat oder zwischendurch heimlich in der Nase popelt! Dank des siedend heißen Fettes ist das aber alles so was von steril! Als Hochzeitsgeschenk bekamen wir vor 36 Jahren u.a. ein Fondueset mit einem spiritusbetriebenen Rechaud, heutzutage ist das Teil kalecktrisch mit Netzstecker. Die gesellige Silvesterrunde besteht bei uns meist nur aus der besten Frau von allen, einer lieben alten Freundin und pensionierten Kollegin und meiner Wenigkeit. Auf geschmolzenen Käse verzichten wir dennoch nicht gänzlich. Die beste Frau von allen schiebt dazu einen fertigen Ofenkäse ins Rohr, der nach 15 min über Kreuz eingeschnitten wird; die Ecken werden nach außen geklappt und das ganze weitere 10 min erwärmt. Zusammen mit etwas Kopfsalat aut idem ersetzt dies uns ab und an ein ganz alltägliches Abendessen außerhalb von Festtagen.

Jörg Themlitz / 31.12.2022

Zur Böllerei: Ich schließe mich dem Gebaren von Herrn Scholz und Herrn Steinmeier an, predige Gemeinsamkeit und Zusammenhalt und dividiere in der Praxis alles auseinander und grenze bis in die kleinste Verästelung aus. Seit zwei Tagen propagieren verschiedene Radiosender “Brot statt Böller” und das Leid der Hunde bei der Böllerei. Wir reden hier von offiziell 120 Millionen Euro Umsatz Silvesterfeuerwerk. Also peanuts im Vergleich mit 1700 Millionen Euro Hundefutterumsatz. Ohne Hundebespaßungsartikel und Tierarztkosten. Erschreckend die gigantischen Umweltschäden die der vierbeinige Familienersatz, das letzte Kind hat ein Fell, so das Jahr über an CO² heraushechelt.  Darum Böller statt Hunde! Zu Katzen, Kindern und Grünen fällt mir auch noch etwas ein.

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