Georg Etscheit / 24.10.2021 / 12:00 / Foto: Bundesarchiv / 23 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Dicke Bohnen

Ihhhhhhhh… Meine Reaktion auf die Frage unserer Mutter, ob wir nicht am nächsten Tag wieder einmal Dicke Bohnen essen sollten, war eindeutig. Als Kind hasste ich Dicke Bohnen, es war ein Gericht, das in mir Brechreiz aufsteigen ließ, wenn ich nur daran dachte. Schlimmer noch als Leber, die mein Vater liebte, wobei es in unserem Haus wenigstens zarte Kalbsleber gab und nicht muffige Rinder- oder gar Schweineleber, die man oft im Gasthaus serviert bekam. 

Wie meine Mutter – sie stammte aus Duisburg – das rheinische Traditionsgericht zubereitete, ist mir entfallen. Mein Bruder will sich auf Nachfrage erinnern, dass sie die Bohnen lediglich in Salzwasser gar gekocht habe, Kartoffeln dito, und dazu kross gebratener Frühstücksspeck serviert worden sei. Als „Soße“ habe dabei das ausgelassene Bratfett gedient. „Ein Gericht im eigentlichen Sinne war das nicht“, meint er. „Ich habe es geliebt, die verschiedenen Texturen zwischen weich und kross und der Kontrast zwischen dem nussigen Geschmack der Bohnen und der salzigen Schärfe des Specks. Ein Klassiker.“

Nun ja, die Geschmäcker sind verschieden, außerdem hatte mein Bruder schon immer ein sonniges Gemüt, während ich stets bestrebt war, das Haar in der Suppe zu finden. Ich jedenfalls fand immer, dass die gräulichen Plattlinge mit ihrer schrumpelig-derben Schale, waren sie nun frisch, aus dem Glas oder der Tiefkühlpackung, irgendwie Blattwanzen ähnelten. Den Geschmack habe ich als muffig und bitter in Erinnerung, die Textur, entgegen der euphemistischen Einschätzung meines Bruders, als ledrig. Außerdem meine ich, dass meine Mutter sie gerne in einer pampigen Mehlschwitze versenkte, aber ich kann mich irren. Aus heutiger Sicht erfüllte das Gericht eindeutig einen Missbrauchstatbestand und meine Abneigung war so groß, dass mir manchmal gnädigerweise ein Ersatzessen zugestanden wurde – Fischstäbchen, die liebte ich, wie alle Kinder.

Nun ist es durchaus normal, wenn man als Kind Gerichte und Aromen verabscheut, von denen man als Erwachsener nicht genug bekommen kann. Dazu zählt alles, was bitter und sauer ist, denn diese Noten stehen für Unreifes, Verdorbenes und sogar Giftiges. Doch mit der Zeit würden Kinder den angeborenen Schutzmechanismus überwinden und lernen, dass Speisen mit „Warngeschmäckern“ wie Bier, Oliven, Brokkoli oder Rosenkohl nicht nur genießbar, sondern sehr wohlschmeckend sein könnten. 

Das Grauen liegt nun lange zurück

In Bezug auf Bier und Oliven kann ich das aus eigener Erfahrung bestätigen, während mir der kindliche Igitt-Klassiker Rosenkohl schon in jungen Jahren sehr wohl schmeckte. Vielleicht lag das daran, dass meine Mutter ihn immer mit reichlich Käse überbacken hat. Warum mit ihrer Vorliebe für Dicke Bohnen bei ihr dann offenbar eine Form von Sadismus durchbrach, weiß ich nicht. Möglicherweise war es auch nur das Lazy-Housewife-Phänomen.

Doch das Grauen liegt nun so lange zurück, dass ich auch den Dicken Bohnen eine Chance geben möchte. Und es ist wirklich nicht besonders kompliziert, sie in eine wohlschmeckende Angelegenheit zu verwandeln. Dazu muss man sie zwingend aus ihrer ledrigen Schale herauslösen, was zugegebenermaßen Arbeit macht. Das geht am besten, wenn man die enthülsten Bohnen kurz blanchiert, die Häute mit dem Messer aufschlitzt und die Kerne einzeln herausdrückt. Die leeren Hüllen kann man, falls man noch ein Schwein im Hinterhof stehen hat, an selbiges verfüttern. Schließlich werden Dicke Bohnen auch als „Saubohnen“ bezeichnet. Zuweilen sagt man auch „Ackerbohnen“ zu ihnen oder „Pferdebohnen“, was ebenfalls nicht besonders vertrauenerweckend klingt.

Die ausgelösten Kerne lässt Wolfram Siebeck in seinem Rezept mit dem programmatischen Titel „Dicke Bohnen ohne Schale“ in Butter andünsten und fügt außer Salz, Pfeffer und Zitronensaft nur ein wenig Crème Fraiche hinzu. Das Resultat nennt er schwärmerisch „ein deutsches Gemüse in nie gesehener Verfeinerung“ und serviert es zu luxuriösen Krustentieren wie Hummer oder Jakobsmuscheln, zu Fischen mit festem Fleisch wie Lotte, Steinbutt und Petersfisch sowie zu Kalbsbries oder Hühnerbrust. Der Großmeister der deutschen Fresskritik arbeitete allerdings nur mit frischen Dicken Bohnen und er akzeptierte auch nur die ganz jungen, die man mit etwas Glück im Juni und Juli auf dem Wochenmarkt kaufen kann. Ansonsten muss man sich mit Tiefkühlware begnügen, die frischer Ware noch am nächsten kommt. 

Es gibt zahllose Möglichkeiten, wie man Dicke Bohnen verarbeiten kann. Eine der bekanntesten Versionen ist, sie auf „rheinische Art“ zuzubereiten. Hier das Rezept für 4 Personen:

  • 500 g dicke Bohnen, frisch oder TK-Ware
  • 1 EL frisches oder getrocknetes Bohnenkraut
  • ca. 20 g Butter
  • 1 Zwiebel
  • 100 g durchwachsener Speck, leicht geräuchert
  • 2 gestrichene EL Mehl
  • 1 EL gekörnte Brühe
  • Salz
  • Pfeffer
  • 4 geräucherte Mettwürstchen

Wieder am Beginn der Misere angekommen

3/4 l Wasser mit 1 TL Salz zum Kochen bringen. Die Dicken Bohnen in das kochende Wasser geben. (Sie sollen gerade eben damit bedeckt sein.) Das Bohnenkraut hinzufügen. Die Bohnen leicht köcheln lassen, bis sie gar sind. In der Zwischenzeit Zwiebel und Speck würfeln. Butter in einem Topf, in dem später die Bohnen mitsamt der Flüssigkeit gut Platz haben, zerlassen. Zwiebeln und Speck zur Butter geben und bei mittlerer Hitze dünsten, bis die Zwiebeln glasig sind. Mit dem Mehl bestäuben und alles gut verrühren. Sobald sich am Topfboden eine Schicht bildet, etwas von dem Bohnenwasser zugeben und alles zu einem glatten Brei verrühren. Dann wieder etwas Bohnenwasser hinzufügen und ebenfalls glattrühren. So lange wiederholen, bis eine sämige, nicht allzu dicke Sauce entstanden ist. Gekörnte Brühe dazu geben und einige Minuten weiterköcheln lassen. Die dicken Bohnen in die Sauce geben, die Mettwürstchen ebenfalls. Mit Pfeffer und Salz abschmecken. Dazu passen Salz- oder Pellkartoffeln.

Im rheinischen Eintopf, liest man, könne die Schale dranbleiben, weil die Bohnen dann mehr Biss hätten und herzhafter schmeckten. Damit sind wir wieder am Beginn der Misere angekommen. Siebeck schreibt, dass man Dicke Bohnen nur deswegen mit Räucherspeck und Bohnenkraut zusammenbringe, um die Bitterkeit der Lederhäute zu übertünchen. In seinem französisch inspirierten Gericht erübrige sich dies.

Ich selbst sehe das mittlerweile zwar nicht mehr so eng, weil die gastronomischen Untaten meiner Mutter verjährt sind.  Doch bei aller Liebe zur Tradition, der auch in dieser Kolumne oft und gerne gehuldigt wird: Das Bessere ist der Feind des Guten, auch des guten Alten!

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Manfred Bühring / 24.10.2021

Was fehlt, ist der CO2-Fußabdruck dieses sich sehr lecker lesenden Gerichtes, denn das gehört gegenwärtig zur Klimahysterie.

Peer Doerrer / 24.10.2021

Grüne Bohneneintopf gab es bei uns in den 60er und 70er Jahren , mit Mehlschwitze angedickt , so dick das die Kelle drin stehen blieb . Die grau - grüne Masse auf dem Suppenteller wurde immer mehr statt weniger im Mund .  Grüne Bohnen wuchsen endlos im Garten und somit ein ständiger kulinarischer Begleiter . Freude kam schon auf , wenn nach den Bohnentagen dicke Kartuffelpuffer mit selbst gemachtem Apfelmus gereicht wurden . Das Grauen kam zurück mit Salzhering in einer wässrigen milchigen Soße aus Zwiebeln und Gurken mit Pellkartoffeln . Der Hit waren verlorene Eier in einer dicken Mehltunke mit Speck und Zwiebeln und Kartoffelbrei . Berliner Schmorgurken waren mein Leibgericht , das nur noch von Omas Bouletten mit frischen Buttermöhren getopt wurde . Wenn man heute sieht ,  das warmes Essen oft nur noch aus Pizza , Pasta oder Döner besteht , kann man unseren Müttern und lieben Omas nur noch dankbar sein .

Christian Feider / 24.10.2021

Hallo Herr Etscheit dann fahren Sie mal nach Bremen und essen “Birnen,Bohnen und Speck” :) es gibt wirklich schlimmeres als Hausmannskost…meist ist der negative Touch nur die Folge eines schlechten Tages der kochenden Mutter

Andreas Rühl / 24.10.2021

Das ist Tiernahrung. Genau wie “Haferflocken”.

Ludwig Luhmann / 24.10.2021

Die bisher komplexeste Kritik an unserer duftenden Kartoffelsuppenraute. Chapeau!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com