Bisher mied der Autor Discounter wie Aldi, Lidl oder Penny, doch räumt er nun ein, einen Sinneswandel durchgemacht zu haben.
Habe ich mich verhört? Hat die junge Kassiererin wirklich „45 Cent“ aufgerufen, als sie mein Glas Delikatess-Senf mittelscharf über den Scanner zog? Nicht 4,50 Euro? Nein, der Dumpingpreis stimmt. Und dafür gibts ein stattliches 250 Milliliter-Glas der Lidl-Eigenmarke Kania. Die Zutatenliste verheißt nur Gutes: Wasser, Senf, Essig, Salz, Zucker, Gewürze. Keine Aromen, keine Geschmacksverstärker. Das ist schon mal erfreulich für ein angeblich minderwertiges Discountprodukt. Erfreulich ist auch der Geschmack, den Senf kann man fast pur aus dem Glas löffeln. Wie heißt nochmal der Lidl-Werbespruch?
Ich hatte zugegebenermaßen etwas zögernd meinen Fuß in die Automatiktür der Lidl-Filiale an der Schleißheimer Straße in München gesetzt. Früher galt das hier als „schlechte“ Gegend, doch hat auch im Westen der an Schwabing angrenzenden Maxvorstadt die Gentrifizierung zugeschlagen. Ein paar Häuser weiter residiert ein hochpreisiger italienischer Feinkostladen und schräg gegenüber ein mir innig verhasstes, ebenso teures Geschäft für Cargo-Fahrräder, ein Hotspot der Schwabinger Ökoschickeria. Und die Dichte an Elektro-SUVs der Marken BMW, VW und Mercedes unterscheidet sich kaum von Bogenhausen.
Warum ich Discounter bisher mied, weiß ich selbst nicht so recht. Aber wenn ich tief in meine versnobte Seele blicke, dann wohl deshalb, weil ich nicht mit denen an der Kasse warten wollte. Mit den Jogginghosen-, Bomberjacken- und Badelatschenträgern mit Alkoholfahne und Nikotinfingern. Dann doch lieber bei Edeka oder öfters auch mal im Biomarkt oder bei Dallmayr und Käfer das Doppelte bis Fünffache für das gleiche oder ein ähnliches Produkt zahlen. Kann man Distinktion nennen. Oder sozialen Rassismus.
Längst kein Tummelplatz des „Prekariats“ mehr
Ehrlich gesagt sind mir seit geraumer Zeit die Überzeugungskunden im Biomarkt deutlich unsympathischer als Menschen, die sich so etwas wie Überzeugung gar nicht leisten können und denen man ansieht, dass sie gerade so über die Runden kommen. Außerdem sind Lidl, Aldi und die anderen Billigheimer längst kein Tummelplatz des „Prekariats“ mehr. Laut einer aktuellen YouGov-Umfrage kauft eine Bevölkerungsmehrheit von 41 Prozent Dinge des täglichen Bedarfs wie Milch, Brot, Obst, Gemüse und Hygieneartikel überwiegend beim Discounter, gefolgt von 38 Prozent im normalen Supermarkt – nur drei Prozent erledigen diese Einkäufe im Bioladen. Eine ältere Umfrage zählt jeden zweiten Aldi-Kunden zu den „Besserverdienern“.
Selbst Franzosen, die gemeinhin als Feinschmecker gelten, erliegen offenbar reihenweise dem Charme des größten Discounters der Welt, der sich auch in Frankreich flächendeckend etabliert hat. Meine reizende Französischlehrerin berichtete mir von ihrem betuchten Vater, der in einer schicken Gegend von Tours lebt und geradezu vernarrt in Lidl sei. Was mich wiederum an meinen verstorbenen Vater erinnert, seines Zeichens Augenarzt, der ebenfalls mit Vorliebe bei Lidl vorbeischaute. Bei Licht betrachtet, kaufen eigentlich mehr oder weniger alle gelegentlich oder regelmäßig bei Lidl, Aldi und Penny ein. Nachdem die allseits ausgepowerte Bundeswehr in dieser Rolle abgedankt hat, dürften die Discounter damit zum Schmelztiegel der Nation avanciert sein.
In Deutschland wird Schmalhans Küchenmeister sein
Und was spricht eigentlich dagegen, wenn man beim Lebensmitteleinkauf sparen möchte, zumal den Discounter von Warentestern regelmäßig eine gute bis sehr gute Qualität ihrer Produkte bescheinigt wird? Allerdings seien sie mit verantwortlich für die Misere der Landwirtschaft, heißt es immer wieder, weil sie unerbittlich die Preise drückten mit den gerade aufbegehrenden Bauern als den letzten und schwächsten Subjekten der Verwertungskette. Doch stimmt das wirklich? Geht es den mit Subventionen üppig alimentierten Landwirten ökonomisch wirklich so mies, wie ihre Verbände behaupten? Oder richten sich die aktuellen Proteste nicht im Kern gegen bürokratische und politische Bevormundung seitens einer großstädtischen „Elite“, die eine Gans nicht von einer Pute unterscheiden kann?
Und sind wir Deutsche wirklich so knausrig, wenn es ums Essen geht? Laut Statistik geben die Deutschen 9,6 Prozent ihres Haushaltsbudgets für Lebensmittel aus. Die Franzosen machen dafür 11,9 Prozent locker, so viel mehr ist das auch nicht. Bei den Rumänen sind es übrigens 24,7 Prozent, was daran liegt, dass die Lebensmittelpreise im Verhältnis zum Einkommen sehr hoch sind. Wünschen wir uns solche Zustände, wenn wir nicht Habeck oder Özdemir heißen?
Eigentlich gibt es auch für einen (selbst ernannten) Gourmet keinen Grund, zumindest Basisnahrungsmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs beim Discounter einzukaufen. Zumal die Wirtschaft im Rahmen der „großen Transformation“ gerade dabei ist, abzuschmieren und man sich langsam daran gewöhnen sollte, dass auch im bislang noch ziemlich reichen Deutschland immer häufiger Schmalhans Küchenmeister sein wird. In vergangenen Zeiten galt ein schlanker Koch als Zeichen für schlechte Küche oder geizige Dienstherren – der „schmale Hans“ am Herd war ein Sinnbild für Hunger und Ungastlichkeit. Ungastlich ist es schon länger hierzulande. Und selbst Hunger scheint nicht mehr unmöglich zu sein in Ampeldeutschland.
Skurrile Penny-Aktion
Erinnert sich in diesem Zusammenhang noch jemand an die skurrile Aktion, die der Discounter Penny im August vergangenen Jahres veranstaltet hatte, als eine Woche lang neun Produkte zu deutlich höheren Preisen verkauft wurden, Preisen, die jene „Umweltkosten“ widerspiegeln sollten, die bei der Produktion angeblich anfallen? Ganz abgesehen davon, dass man solch „wahre“ Preise ebenso wenig berechnen kann wie das Klima oder Wetter in hundert Jahren – das jüngst veröffentlichte Ergebnis der Kampagne war eindeutig. Für die meisten Kunden war der Preisaufschlag, der die ökologischen Folgekosten abzudecken versprach, deutlich zu hoch – Umsatzrückgänge waren die Folge.
Immerhin resümierten „Forschende“, die die woke Chose wissenschaftlich begleitet hatten, dass die Kampagne eine weitreichende politische Debatte ausgelöst habe mit allein „1200 Artikeln in gesellschaftlichen und Fachmedien“. Vor allem war es wohl eine tolle Werbeaktion für Penny, gesponsert unter anderem aus Töpfen der EU und der Bundesregierung. Über das magere Ergebnis wurde erwartungsgemäß nur vereinzelt berichtet. Wenn das Volk nicht mitmacht beim Öko-Monopoly, muss man das ja nicht an die große Glocke hängen.
Um noch einmal auf den anfänglich erwähnten Billigsenf von Lidl zurückzukommen: Selbst ein durchschnittliches Markenprodukt wie Kühnes mittelscharfer Senf kostet rund das dreifache als bei Lidl, von Dallmayrs geschmacklich wenig überzeugender Luxusvariante zu 4,10 (!) pro 180 Milliliter-Glas ganz abgesehen, selbst wenn die Senfkörner dafür – Region ist Trumpf – aus Bayern stammen. Warum muss man sich das antun? Außerdem gibt es noch einen erfreulichen Nebeneffekt, wenn man bei Lidl & Co. einkauft: Veganer und Vegetarier meiden Discounter.
Sollen sie sich mit gutem Gewissen beim Biotandler arm essen.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.