Georg Etscheit / 28.07.2024 / 13:00 / Foto: Popo le Chien / 4 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Crema Catalana

Ich muss Abbitte tun bei meinen fußballkundigen Lesern und dem englischen Volk, weil ich die von den Briten gewonnene Fussball-Weltmeisterschaft von 1966 unterschlug. Aber auch bei den Spaniern hab ich was gut zu machen: Bühne frei für die Crema catalana!

Ich muss Abbitte tun, bei meinen fußballkundigen Lesern und dem englischen Volk. Wembley 1966! Das Tor der Tore, dass zum englischen WM-Sieg gegen Deutschland führte und als „Wembley-Tor“ in die Fußballgeschichte einging, weil bis heute wohl nicht klar ist, ob es sich bei dem Lattentreffer wirklich um ein Tor gehandelt hatte. Aber das kann natürlich keine Entschuldigung sein für meine Unkenntnis, die mich zu der Aussage führte, dass England noch nie eine WM oder EM gewonnen habe. Woraufhin ich die große Fußballnation mit einem Lob aufs Roastbeef zu trösten versuchte.

Man soll eben nicht über Fußball schreiben, wenn man beim Fußball im Sportunterricht immer als Letzter gewählt wurde mit der demütigenden Bemerkung eines Klassenkameraden: „Dann nehmen wir eben den Etscheit“. Und wenn man, statt für den FC Bayern zu schwärmen, lieber Beethoven und Wagner anhimmelte. Eigentlich müsste ich nun als Sühnemaßnahme einen Monat lang jeden Tag zum Frühstück gebratenen Hering essen. Oder mittags Fish and Chips mit Malzessig und zwar aus einer Tüte, die aus der Süddeutschen Zeitung gefaltet wurde.

Von Speisekarten nicht wegzudenken

Auch bei den Spaniern muss ich mich entschuldigen, weil es eigentlich dem Sieger vergönnt ist, mit einer ausführlichen Würdigung ihres Nationalgerichts geehrt zu werden. Das möchte ich nun nachholen, wobei ich mich aber nicht der Paella widmen möchte. „Viel zu kompliziert“, sagte mir ein befreundeter Mensch mit familiären Kontakten nach Andalusien. Er selbst habe es mehrfach ausprobiert, nie sei viel mehr dabei herausgekommen als irgendeine x-beliebige Reispfanne. Aber keine Paella.

Aus diesem Grund möchte ich mich hier der Crema catalana widmen, einer Variante der französischen Crème brûlée und von Speisekarten derzeit nicht wegzudenken. Selbst in mittelmäßigen Gasthäusern hat die gebrannte Creme Karriere gemacht wie einstmals Mousse au chocolat oder Tiramisu. Man denke an Mona, die Freundin von Baby Schimmerlos alias Franz Xaver Kroetz aus Helmut Dietls „Kir Royal“, die sich über den „immer gleichen Nouvelle-Cuisine-Scheiß“ erregte: Mousse au chocolat, Tiramisu, frische Walderdbeeren. Heute lautet die Reihenfolge: Crème brûlée, Panna cotta, Fruchtsorbet.

Als Grundform einer „gebrannten Creme“ kann man eine einfache Crème au caramel ansehen. Dafür lässt man Milch mit einer ausgeschabten Vanillestange, Zucker und Eiern im Wasserbad in einem Gefäß stocken, das man zuvor mit flüssigem Karamell ausgegossen hat. Meine Großmutter väterlicherseits, die in Belgien die Kochkunst gelernt hatte und die es während des Kriegs ins Schweinebratenparadies Oberbayern verschlug, verzichtete auf den Karamellspiegel und „karamellisierte“ die Creme, indem sie Zucker darüberstreute, den sie dann mit einem glühenden Messer brannte. Eigentlich schon eine Crème brûlée, für die man aber im engeren Sinne eine fettere Eiermasse benötigt, indem man vor dem Stocken noch Rahm hinzufügt.

Wie bei meiner Großmutter

Sehr weit zu einer Crema catalana ist es dann auch nicht mehr. Wichtigster Unterschied ist, dass man statt der Vanille eine Zimtstange sowie Orangenschale und Zitronensaft, natürlich von Biofrüchten, hinzufügt. Das gibt dann den spanischen respektive katalanischen Touch, wobei auch Vanille, man denke an die berühmte Spanische Vanilletorte, nichts mit Norwegen zu tun hat.

Ein weiterer Unterschied zur Crème au caramel oder zu einer Crème brûlée besteht darin, dass man die Milch-Eier-Sahnemasse nicht im Wasserbad stocken lässt, sondern mit Speisestärke andickt und im Kühlschrank fest werden lässt, bevor heute meist ein Bunsenbrenner zum Einsatz kommt, mit dem man den vor dem Servieren darüber gestreuten Zucker „brennt“. Übrigens gibt es in Spanien dazu spezielle Brenneisen, fast wie bei meiner Großmutter.

Wenn sich jetzt der eine oder andere Katalane oder Katalonienfan darüber erregen mag, dass ich Katalonien so einfach unter Spanien subsummiere, dann sei mir verziehen. Von Deutschland aus gesehen, gehört auch Barcelona ja irgendwie zu Spanien. Und eine Crema catalana ist ohnehin längst international und landmannschaftlich nur noch schwer zu verorten. Das wird jetzt vielleicht auch Carles Puigdemont verstehen.

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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Leserpost

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Dirk Kern / 28.07.2024

Die Paella hat mit Andalusien sehr wenig zu tun, lieber Herr Etscheit. Sie ist deshalb kein spanisches Nationalgericht, auch wenn als Paella gelabelte und hier “Paela” ausgesprochene, matschige und regelmäßig unten angebrannte Reispampen auf Sommerfesten gerne einen spanischen Kolorit erzeugen sollen. Die echte Paella kommt aus der Region Valencia, ist sehr lecker und wie Sie richtig schreiben, aufwendig in der Zubereitung, Ihre Grundlage ist der runde Reis aus dem Anbaugebiet des Ebrodelta, ebenfalls in der Region Valencia. Als proteinige Zutat verwendet man für das Original Kaninchen oder “conejo”. Alles andere wie Hühnchen oder tiefgefrostetes Krustengetier ist eigentlich Fake aber eben billig. Italien kennt ähnliche, wenn gut und mit dem richtigen Reis zubereitet ebenfalls außergewöhnlich leckere Gerichte als Risotto. Zur Paella paßt als Dessert natürlich dann die Crema Catalana, aus der Nachbarregion des País Valenciano.

Gerd Maar / 28.07.2024

Norwegen? Die “Spanische Vanilletorte” sollte aber als kulturelle Aneignung wirklich gecancelt werden, denn die ist so deutsch wie Toast Hawaii.

Sam Lowry / 28.07.2024

Ich wiederhole Sie, Herr Etscheit: “Seit 1960 kein einziger EM-Titel.” Und EM stimmt…

Thomas Hechinger / 28.07.2024

Sie sind so gemein, Herr Etscheit. Da wollte ich doch gleich den Besserwisser geben und Sie darüber aufklären, wie gefährlich es ist, eine katalanische Spezialität nach Spanien zu verfrachten. Und ich überlegte mir schon zu schreiben, Sie sollten Ihren Wohnsitz geheim halten, damit es vor Ihrem Haus nicht zu Demonstrationen katalanischer Nationalisten käme. Aber nein, Sie haben es bewußt darauf angelegt, einen in die Irre zu führen, einen zu verleiten, Ihnen nebst Unkenntnis in englischer und deutscher Fußballgeschichte auch noch völlige Inkompetenz in iberischer Crème-Tradition zu bescheinigen. Und wie hätten Sie, hätte ich einen entsprechenden Kommentar geschrieben, es genossen zu antworten: Hechinger, wer bis ans Ende liest, ist klar im Vorteil! Und wenn Sie das nur im Stillen gedacht hätten. Aber dieser Sieg ist Ihnen nicht gegönnt, denn ich habe Ihren Beitrag tatsächlich bis zum Ende gelesen. Damit steht es 1:0 für mich. Ich hoffe, daß Sie sich jetzt so richtig ärgern. Aber ich weiß, Sie werden es nicht tun. Denn wer sich mit einem Spötter anlegt, bekommt keine Empörung zurück, sondern nur neuen Spott. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Sonntag.

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