Armer Ritter ist eine uralte und weit verbreitete Form der Resteverwertung. Am besten schmeckt es ambulant, im Gedränge eines Jahrmarktes. Ob es dieses Superspreader-Ambiente überhaupt noch einmal geben wird?
In München wurde gerade der Christkindlmarkt abgesagt. Das ist für die bayerische Landeshauptstadt eine veritable Katastrophe. Nicht ganz so gravierend wie die schon zweimalige coronabedingte Stornierung des Oktoberfestes, doch für manche Standlbetreiber, die sich längst mit Waren eingedeckt hatten und schon dabei waren, ihre Buden zu dekorieren, könnte dies den wirtschaftlichen Ruin bedeuten.
Vom kulinarischen Standpunkt aus betrachtet, muss man dem Münchner Christkindlmarkt, wie jedem anderen Jahrmarkt, keine Träne nachweinen. Denn das meiste, was hier in großen Pfannen stundenlang vor sich hin schmurgelt, auf einem Grill zu Tode gebraten oder aus Kupferkesseln ausgeschenkt wird, ist kein Gaumenkitzel, sondern erfüllt eher den Tatbestand der Körperverletzung. Das Schlimmste, was einem an solchen Orten serviert werden kann, ist ein zähes Nierenschaschlik aus Schweinenieren in Tütensoße. Um diesen Geschmack wieder loszuwerden, muss man schon ein Kilo gebrannte Mandeln hinterherwerfen. Oder man nutzt die pappsüße, rote Plörre namens Glühwein als Rachenputzer.
Aber ich will dem Münchner Christkindlmarkt nicht unrecht tun. Immerhin ist er neben dem Nürnberger Christkindlesmarkt und dem Dresdner Striezelmarkt einer der ältesten des Landes und hat mit seinen engen Budengassen noch ein wenig von seinem historischen Charme bewahrt.
Backpulver ist bequemer und – billiger
Und es gibt – beziehungsweise gab – hier immer zwei, drei Stände, an denen auch ich gerne und mit einer gewissen Regelmäßigkeit vorbeischaute. Der erste fand sich lange Zeit hinter dem Rathaus am Rande des sogenannten Marienhofes – heute die Endlos-Baustelle einer neuen S-Bahnlinie. Dort gab es frische Waffeln und Dampfnudeln. Die Waffeln hatten es mir besonders angetan, denn sie wurden meines Wissens nicht mit einem chemischen Treibmittel, sondern noch mit Hefe gebacken.
Hefewaffeln unterscheiden sich nicht nur durch ihren unvergleichlichen Duft von Waffeln mit Backpulver, sondern auch durch ihre zugleich saftige und knusprige Konsistenz. Kein Vergleich zu hausgebackenen Waffeln nach Grundrezept aus dem elektrischen Waffeleisen oder den bröseligen Gaufres samt steinharter Karamellkruste, die man in Brüssel an jeder Straßenecke bekommt und die es neuerdings auch in herzhaften Varianten gibt. Ursprünglich sollen auch Belgische Waffeln mit Hefe zubereitet worden sein, aber Backpulver ist bequemer und – billiger.
Auf dem Münchner Christkindlmarkt wurden meine Lieblingswaffeln in allerlei Varianten angeboten, von denen jene mit Schlagsahne und Sauerkirschkompott die gehaltvollste war. Um mich nicht im Gewühle mit der roten Tunke zu bekleckern, zog ich es immer vor, mir nur eine mit Puderzucker bestäubte Waffel zu gönnen. Leider gingen die Standlbetreiber irgendwann dazu über, ihre Waffeln mit Frucht- statt echten Puderzuckers zu bestäuben. Ich hasse Fruchtzucker auf Backwaren aller Art, auch auf Weihnachtsstollen, weil er eine Anmutung wie Brausepulver hat. Und die hat nun gar nichts Weihnachtliches oder Winterliches an sich.
Uralte und weit verbreitete Form der Resteverwertung
Ein anderer Stand, den ich gerne ansteuerte, fand sich direkt auf dem Marienplatz, gegenüber der Buchhandlung Hugendubel. Dort gab es allerlei Mehlspeisen, darunter meine heiß geliebten Zwetschgenbavesen. Seit 2013 das berühmte Traditionscafé Rottenhöfer hinter der Feldherrenhalle dicht machte (heute findet sich hier einer der üblichen Edelklamottenläden), gab oder gibt es in ganz München meines Wissens nur noch diese eine Quelle für eine Spezialität, die landläufig unter der Bezeichnung „Armer Ritter“ firmiert.
Immer handelt es sich dabei um Scheiben alten Weißbrotes, die in einer Mischung aus Milch, Rahm, Eiern, Zucker und Vanille getränkt, in Fett ausgebacken und hernach mit Zimtzucker bestreut werden. Man kann sie auch in Semmelbrösel wenden und mit Pflaumenmus oder Preiselbeerkonfitüre füllen oder sogar pikant anreichern. Mir schmeckt die Preiselbeervariante am besten, weil sie der süßen Speise einen säuerlich-bitteren Kontrast verleiht. Leider handelte es sich bei der Konfitüre auf dem Christkindlmarkt vermutlich um Discountware, die infolge niedrigen Beerenanteils viel zu süß schmeckte. Voller Wehmut erinnere ich mich an die Rottenhöferschen Bavesen, bei denen alle Aromen perfekt austariert waren. Und fettig waren sie auch nicht. Tempi passati.
Armer Ritter ist eine uralte und weit verbreitete Form der Resteverwertung, wovon zahlreiche regionale Bezeichnungen zeugen: Semmelschnitten, Semmelnudeln, Semmelschmarren, Weckzämmädä, Kartäuserklöße, Fotzelschnitten oder eben Bavesen, was wohl eine Übertragung des Wortes Pofesen ins Bayerische ist, wobei Pofesen angeblich auf die Form von Ritterschilden aus Pavia verweist. Wie man sie auch nennt, eine Köstlichkeit ist dieses denkbar einfache Gebäck allemal. Natürlich kann man Armer Ritter zu Hause vom Teller essen, aber noch besser schmeckt er ambulant, im Gedränge eines Jahrmarktes. Ob es dieses Superspreader-Ambiente überhaupt noch einmal geben wird?