Georg Etscheit / 20.11.2021 / 12:00 / Foto: Tim Maxeiner / 21 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Armer Ritter

Armer Ritter ist eine uralte und weit verbreitete Form der Resteverwertung. Am besten schmeckt es ambulant, im Gedränge eines Jahrmarktes. Ob es dieses Superspreader-Ambiente überhaupt noch einmal geben wird?

In München wurde gerade der Christkindlmarkt abgesagt. Das ist für die bayerische Landeshauptstadt eine veritable Katastrophe. Nicht ganz so gravierend wie die schon zweimalige coronabedingte Stornierung des Oktoberfestes, doch für manche Standlbetreiber, die sich längst mit Waren eingedeckt hatten und schon dabei waren, ihre Buden zu dekorieren, könnte dies den wirtschaftlichen Ruin bedeuten.

Vom kulinarischen Standpunkt aus betrachtet, muss man dem Münchner Christkindlmarkt, wie jedem anderen Jahrmarkt, keine Träne nachweinen. Denn das meiste, was hier in großen Pfannen stundenlang vor sich hin schmurgelt, auf einem Grill zu Tode gebraten oder aus Kupferkesseln ausgeschenkt wird, ist kein Gaumenkitzel, sondern erfüllt eher den Tatbestand der Körperverletzung. Das Schlimmste, was einem an solchen Orten serviert werden kann, ist ein zähes Nierenschaschlik aus Schweinenieren in Tütensoße. Um diesen Geschmack wieder loszuwerden, muss man schon ein Kilo gebrannte Mandeln hinterherwerfen. Oder man nutzt die pappsüße, rote Plörre namens Glühwein als Rachenputzer.

Aber ich will dem Münchner Christkindlmarkt nicht unrecht tun. Immerhin ist er neben dem Nürnberger Christkindlesmarkt und dem Dresdner Striezelmarkt einer der ältesten des Landes und hat mit seinen engen Budengassen noch ein wenig von seinem historischen Charme bewahrt.

Backpulver ist bequemer und – billiger

Und es gibt – beziehungsweise gab – hier immer zwei, drei Stände, an denen auch ich gerne und mit einer gewissen Regelmäßigkeit vorbeischaute. Der erste fand sich lange Zeit hinter dem Rathaus am Rande des sogenannten Marienhofes – heute die Endlos-Baustelle einer neuen S-Bahnlinie. Dort gab es frische Waffeln und Dampfnudeln. Die Waffeln hatten es mir besonders angetan, denn sie wurden meines Wissens nicht mit einem chemischen Treibmittel, sondern noch mit Hefe gebacken.

Hefewaffeln unterscheiden sich nicht nur durch ihren unvergleichlichen Duft von Waffeln mit Backpulver, sondern auch durch ihre zugleich saftige und knusprige Konsistenz. Kein Vergleich zu hausgebackenen Waffeln nach Grundrezept aus dem elektrischen Waffeleisen oder den bröseligen Gaufres samt steinharter Karamellkruste, die man in Brüssel an jeder Straßenecke bekommt und die es neuerdings auch in herzhaften Varianten gibt. Ursprünglich sollen auch Belgische Waffeln mit Hefe zubereitet worden sein, aber Backpulver ist bequemer und – billiger.

Auf dem Münchner Christkindlmarkt wurden meine Lieblingswaffeln in allerlei Varianten angeboten, von denen jene mit Schlagsahne und Sauerkirschkompott die gehaltvollste war. Um mich nicht im Gewühle mit der roten Tunke zu bekleckern, zog ich es immer vor, mir nur eine mit Puderzucker bestäubte Waffel zu gönnen. Leider gingen die Standlbetreiber irgendwann dazu über, ihre Waffeln mit Frucht- statt echten Puderzuckers zu bestäuben. Ich hasse Fruchtzucker auf Backwaren aller Art, auch auf Weihnachtsstollen, weil er eine Anmutung wie Brausepulver hat. Und die hat nun gar nichts Weihnachtliches oder Winterliches an sich.

Uralte und weit verbreitete Form der Resteverwertung

Ein anderer Stand, den ich gerne ansteuerte, fand sich direkt auf dem Marienplatz, gegenüber der Buchhandlung Hugendubel. Dort gab es allerlei Mehlspeisen, darunter meine heiß geliebten Zwetschgenbavesen. Seit 2013 das berühmte Traditionscafé Rottenhöfer hinter der Feldherrenhalle dicht machte (heute findet sich hier einer der üblichen Edelklamottenläden), gab oder gibt es in ganz München meines Wissens nur noch diese eine Quelle für eine Spezialität, die landläufig unter der Bezeichnung „Armer Ritter“ firmiert.

Immer handelt es sich dabei um Scheiben alten Weißbrotes, die in einer Mischung aus Milch, Rahm, Eiern, Zucker und Vanille getränkt, in Fett ausgebacken und hernach mit Zimtzucker bestreut werden. Man kann sie auch in Semmelbrösel wenden und mit Pflaumenmus oder Preiselbeerkonfitüre füllen oder sogar pikant anreichern. Mir schmeckt die Preiselbeervariante am besten, weil sie der süßen Speise einen säuerlich-bitteren Kontrast verleiht. Leider handelte es sich bei der Konfitüre auf dem Christkindlmarkt vermutlich um Discountware, die infolge niedrigen Beerenanteils viel zu süß schmeckte. Voller Wehmut erinnere ich mich an die Rottenhöferschen Bavesen, bei denen alle Aromen perfekt austariert waren. Und fettig waren sie auch nicht. Tempi passati.

Armer Ritter ist eine uralte und weit verbreitete Form der Resteverwertung, wovon zahlreiche regionale Bezeichnungen zeugen: Semmelschnitten, Semmelnudeln, Semmelschmarren, Weckzämmädä, Kartäuserklöße, Fotzelschnitten oder eben Bavesen, was wohl eine Übertragung des Wortes Pofesen ins Bayerische ist, wobei Pofesen angeblich auf die Form von Ritterschilden aus Pavia verweist. Wie man sie auch nennt, eine Köstlichkeit ist dieses denkbar einfache Gebäck allemal. Natürlich kann man Armer Ritter zu Hause vom Teller essen, aber noch besser schmeckt er ambulant, im Gedränge eines Jahrmarktes. Ob es dieses Superspreader-Ambiente überhaupt noch einmal geben wird?

Foto: Tim Maxeiner

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Sabine Heinrich / 20.11.2021

Natürlich ist es Absicht, die Standbetreiber in den Ruin zu treiben - und die Massen der Gehirngewaschenen gegen die C-Impfverweigerer aufzubringen, weil die ja Schuld an den massiven Maßnahmen haben. Schaun wir mal, ob das wirklich funktioniert - und die gentechnisch Behandelten auf die Ungeimpften losgehen - was ja schon teilweise zumindest mit Worten hervorragend funktioniert. Ob die Medienhörigen irgendwann kapieren, dass sie vera….t worden sind? Ob sie endlich begreifen,wer uns allen die Aushebelung unserer Rechte beschert hat? Ich sehne den Tag herbei, an dem nicht weiter zum Sturm gegen die Ungeimpften geblasen wird, sondern sich Massen von endlich aufgewachten Menschen vor den Regierungssitzen ihrer Politiker versammeln und lautstark demonstrieren. Nun - ich werde ja wohl noch träumen dürfen…

Heike Olmes / 20.11.2021

Nierenschaschlik???Echt jetzt?  Habe ich noch nie gehört, geschweige denn gegessen. Da lobe ich mir eine Currywurst.

Stanley Milgram / 20.11.2021

Auf dem hiesigen Weihnachtsmarkt wurden alle abgezockt, die Angestellten sowie die Kunden. Da wurde billigster Fusel aus Kanistern von bulgarischen (oder rumänischen?) 3-Euro-Kräften teuer an Ständen verkauft, die nur ein einziger Auserwählter bekam. Andere bekamen nie die Lizenz zum Gelddrucken. Abends fuhr man dann die Mitarbeiter in Billigabsteigen, die völlig überbelegt waren. Nein, diesem Treiben weine ich keine einzige Träne nach, obwohl ich auf dem hiesigen Weihnachtsmarkt jahrelang meine Motorräder finanzierte. Allerdings guten Gewissens mit Fair-Trade-Wollartikeln aus Nepal. Zudem können auf den abgesagten Weihnachtsmärkten keine Taschendiebe ihr Unwesen treiben, ebensowenig irgendwelche Terroristen.

Gerhard Döring / 20.11.2021

Unabhängig von den kulinarischen Genüssen eines Jahrmarktes frage ich mich ob wir nicht alle sowas wie arme Ritter der traurigen Gestalt sind, welche nicht einmal im Kampf gegen Windmühlen Erfolge verzeichnen.Aus heutiger Sicht ist mir klar, die haben früher alle schon gewusst was auf uns zu kommt.Wenn es nicht einmal mehr möglich ist sich auf Jahrmärkten mit Glühwein zu betrinken bis zum Fötus Abortus ,nein wenn es gilt dort Ruhe zu bewahren und man jederzeit auf Schlimmes gefasst sein muß,so ist das nicht mein Ding.

RMPetersen / 20.11.2021

“... für manche Standlbetreiber… könnte dies den wirtschaftlichen Ruin bedeuten.” Und wenn das Absicht wäre? Die grossen Ketten stehen doch bereit, Läden und alle Arten von Gastronomie übernehmen. Die McDonalds werden auch die Christkindl-Märkte (- dann umbenannt) in unserem Land bestücken können. PS Das ist Verschwörungsphantasie? Ach, der Unterschied zur Realität beträgt nur wenige Monate ....

Heinrich Bleichrodt / 20.11.2021

Schön geschrieben. Ein Sternlein in trauriger Zeit. Danke

Helga Müller / 20.11.2021

Lieber Herr Etscheit, ich lese Ihre Artikel sehr gerne, merke Ihnen aber auch eine gewisse nostalgische Wehmut an, insbesondere wenn Sie von Ihrer Wahlheimat München sprechen. Ich lebe selbst seit mehr als zehn Jahren hier (kam seinerzeit zum Studium an der LMU her), und bin im weniger hippen Stadtteil Laim hängen geblieben. Ich denke, das München, von dem Sie sprechen, ist jenes aus den letzten Ausläufern der Bonner Republik - es gibt es nicht mehr. Ich selbst plane inzwischen meine Auswanderung - schlimm genug, ich hätte das letztes Jahr noch nicht einmal ansatzweise in Erwägung gezogen.

Petra Wilhelmi / 20.11.2021

Als ich Kind war, gab es speziell für den Armen Ritter ein bestimmtes Weißbrot, ähnlich der Milchbrötchen, die bei uns Mundbrötchen heißen. Es weichte nicht so schnell durch und wurde in einem großen Stück gebacken und unterteilt. Der Arme Ritter damals wurde in Milch eingeweicht, dann kam die eingeweichte Schnitte auf einen Teller, wo geschlagenes Ei drinnen war. Dort wurde die Schnitte etwas liegengelassen und dann gebraten. Mit Zucker und Zimt wurde sie dann gereicht, was immer am allerbesten schmeckt, als die aufgepimpten heutigen Armen Ritter, die nichts mehr mit arm zu tun haben. Auch die Waffeln waren bei uns früher anders. Da kam keine Hefe rein. Die wurden mit einem Eierkuchenteig, der aber glaube ich mit Speisestärke gerührt worden war, gebacken. Das Rezept kenne ich nicht so genau. Die Waffel war aber sehr knusprig und dünn. Zwischen 2 Waffeln kam eine ganz luftige weiße Creme, mehr ein Schaum, der etwas zitronig schmeckte hinein. Seit wir ein Gesamtdeutschland geworden sind, habe ich nie wieder solch einen Schaum gesehen. Jetzt wird irgendwie etwas Puddinghaftes oder irgendetwas anderes auf die Waffel geschmiert. Seit dem habe ich nie wieder so eine Waffel gegessen. Der jetzige Belag ist für mich ein Sakrileg. Nun, seit wir Gesamtdeutsch sind gehe ich nicht mehr auf Weihnachtsmärkte. Habe es am Anfang probiert, aber das Zeugs dort schmeckte mir nie.

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