Georg Etscheit / 09.03.2025 / 12:00 / Foto: Imago / 35 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Alkoholfreier Wein

Ich habe selbst schon diverse alkoholfreie Weine auf der Zunge respektive am Gaumen gehabt. So etwas wie Trinkspaß brachte jedenfalls keiner, auch nicht ansatzweise. 

Im Jahre 1979 brachte die Clausthaler-Brauerei erstmals ein alkoholfreies Bier auf den Markt. „Nicht immer, aber immer öfter“, lautete der bis heute viel zitierte Werbespruch. Mittlerweile hat fast jede größere Brauerei Autofahrer-freundliche Varianten im Angebot; sieben Prozent des Umsatzes entfallen insgesamt auf alkoholfreie Biersorten. Vergangenes Jahr kam sogar die ultratraditionelle Münchner Augustinerbrauerei mit einem „Alkoholfrei Hell“ heraus.

Wiederholt sich diese „Erfolgsstory“ jetzt in der Weinwelt? Das Deutsche Weininstitut DWI, Marketingorganisation der heimischen Weinwirtschaft und mit Zwangsabgaben finanziert, macht jedenfalls schon mächtig Werbung für alkoholfreie Weine. Auch die Deutsche Weinkönigin Charlotte Weihl empfiehlt die „Null-Promille-Gewächse“ als neues Trendgetränk der Etepetete-Generation, der es vor allem darum geht, was in Speisen und Getränken nicht enthalten ist.

Bisher ist der Absatz alkoholfreier Weine allerdings noch überschaubar. Kaum messbare ein Prozent beträgt aktuell der Marktanteil von Stillweinen, denen mittels komplizierter technischer Verfahren der Alkohol entzogen wurde. Bei Schaumwein sollen es schon gut sieben Prozent sein. Das soll sich ändern, geht es nach dem DWI und seiner Weinkönigin, die noch unter Alkoholeinfluss gewählt und gekrönt wurde.

Schmelz, Komplexität, Balance, Länge? Fehlanzeige!

Befeuert wird der Hype von den Mainstreammedien, darunter auch renommierte Kulinarikmagazine, die alkoholfreie „Weine“ meist kritiklos zur echten Alternative hochjubeln. Wie jüngst die Süddeutsche Zeitung, die einen „freien“ Weinhändler diverse Null-Promille-Kreszenzen verkosten ließ. Fast alle von ihm beurteilten Flaschen erhielten Bestnoten, wobei es sich gar nicht mal um die Qualitäts-Flaggschiffe der Szene handelt, sondern Billigstpullen aus Supermarkt oder Discounter.

Ich habe selbst schon diverse alkoholfreie Weine auf der Zunge respektive am Gaumen gehabt, deren Ausgangsweine allesamt dem mittleren Qualitätsweinbereich zuzuordnen waren. So etwas wie Trinkspaß brachte jedenfalls keiner, auch nicht ansatzweise. Auffällig war fast immer eine spitze, bisweilen aggressive Säure, vergleichbar mit purem Zitronensaft. Blockartig und schlecht integriert stand daneben eine aufdringliche Süße, die nicht selten von der Zugabe von Süßreserve herrührte, rektifiziertem Traubenmost, eine Praxis, die bei Qualitätsweinproduzenten mittlerweile verpönt ist.

Schmelz, Komplexität, Balance, Länge? Fehlanzeige! Eine gewisse Sortentypizität war allenfalls in der Nase wahrnehmbar, nicht am Gaumen. Von einem Lagencharakter, der allgemein als „Terroir“ gehandelt wird, sowie der spezifischen Handschrift eines Winzers ebenfalls keine Spur. Kaum vorsteellbar, dass ein qualitätsbewusster Weinproduzent so blöd wäre, seine besten Lagenweine oder Ersten Gewächse unter die Zero-Promille-Guillotine zu legen. 

Wein ohne Alkohol ist kein Wein

Dabei hat sich die Technik der Entalkoholisierung in den letzten Jahren deutlich verbessert. Gängigste Methode ist heute die Vakuumverdampfung. Dabei wird der Wein unter vermindertem Druck möglichst schonend erhitzt, sodass sich der Alkohol bis auf geringe Reste verflüchtigt. Weil sich zusammen mit dem Ethanol aber auch viele Aromastoffe in Luft auflösen, greift man auf die Technik der „Aromarückgewinnung“ zurück. Dabei entzieht man dem herausdestillierten Alkohol mittels spezieller Harze die darin enthaltenen Aromen, um sie dem Wein später wieder hinzuzufügen.

Leider verflüchtigt sich bei dieser Prozedur der spezifische Charakter eines Weines mehr oder weniger vollständig. Mit dem Alkohol als bislang unentbehrlichem Geschmacksträger verliert ein Wein sein Gerüst, seine Seele. Weil nun die Säure ohne Gegengewicht ist, wird die entstandene Lücke im Zweifelsfall mit Süßreserve gefüllt. Ein harmonischer Gesamteindruck entsteht dabei nicht.

Eigentlich erstaunlich: Während einerseits immer mehr Winzer auf jegliche technische Eingriffe bei der Vinifizierung verzichten und sich der „Naturweinbewegung“ verschrieben haben, setzt man andererseits auf komplexe Hightech-Verfahren, um für den Rebensaft neue Konsumentengruppen zu erschließen, die bisher Limonade und Mineralwasser bevorzugt haben.

Vielleicht sollte man einfach darauf verzichten, alkoholfreien Wein als „Wein“ zu bezeichnen. Nichts spricht dagegen, solch neuartigen Getränke, darunter auch aus Säften und Fruchtauszügen zusammengesetzte „Proxy-Weine“ herzustellen, zu verkaufen und zu konsumieren. Wein ohne Alkohol jedoch ist kein Wein, allenfalls ein schwer definierbares Erfrischungsgetränk. Von der Zunge und Gedanken lösenden, auf angenehme Weise berauschenden Wirkung eines guten Tropfens einmal ganz abgesehen.

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Imago

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Leserpost

netiquette:

R. Nicolaisen / 09.03.2025

Kastriertes Gesöff für Kastrierte.

L. Luhmann / 09.03.2025

Bereits die “Impfungen” waren keine Impfungen. Und “Wein ohne Alkohol” ist kein Wein. Und Insektenbrei ist kein Fleisch! Und die Grünen simulieren nur ihr Menschsein, wobei sie in Wahrheit Echsenmenschen sind!

Gus Schiller / 09.03.2025

Die Steigerung dazu, ist dann Huhn oder Schwein mit neutralem Geschmack aus dem Tetrapack.

Helmut Ritzmann / 09.03.2025

Es ist mit Sicherheit sehr sinnvoll, weniger Wein und damit weniger Alkohol zu konsumieren. Aus gesundheitlicher und medizinischer Sicht ist jedes Glas Wein ein Glas zuviel. Es ist auch eine Unsitte, daß vor allem in den besseren Restaurants die Weingläser schon auf dem Tisch stehen, bevor man überhaupt bestellt hat. Der alkoholfreie Wein ist daher, sofern er geschmacklich überzeugt, eine gute Alternative.

Heinrich Bleichrodt / 09.03.2025

Früher wurden mißratene Weine, auch von erstklassigen Weingütern an der Mosel zum Beispiel, in 5-Liter-Papier-Kanistern abgefüllt und nach Großbritannien verklappt. Die gemeinen Briten saufen alles, Hauptsache es macht schwindelig. Die neue Marketingmethode bringt sicher ordentliche Gewinne ... und die Briten müssen sehen wo sie bleiben.

Thomas Szabó / 09.03.2025

In vino veritas: Ich verstehe nur insoweit etwas von Weinen, dass schlechte Weine mir eine miese Laune bescheren, während mich gute Weine beschwingen. Ob ich schimpfe oder schwärme dient mir als Qualitätsmesser für Weine. Die miese Laune ist aber moralisch korrekter, da ich dann das sage was ich wirklich denke und das ist meist unscharmant & unschmeichelhaft.

Rudi Hoffmann / 09.03.2025

Ich habe soeben   alkoholfreien Wodka erfunden .  Den Namen habe ich aus russischer Lizenz für die gesamte E U !  Nennt sich Wässerchen !  Bestellungen über den achgut Shop ,  ab 31. März.

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