Gerade hat US-Präsident Joe Biden der Ideologie der „White Supremacy“ medienwirksam den Krieg erklärt. Da muss man heilfroh sein, dass in den USA der Anbau von weißem Spargel so gut wie unbekannt ist. Im traditionell linken Kalifornien, wo das kalorienarme Gemüse am häufigsten angebaut wird, kennt man nur Grünspargel. Und der ist, wie noch zu zeigen ist, sowohl ideologisch wie ökologisch unbedenklich, wenn man nicht zu den ganz strengen Pflanzenrechtlern gehört, die jede Art von Gemüseanbau für Teufelswerk halten und sich, wenn überhaupt, nur für möglichst schonend geernteten Wildspargel erwärmen können.
Der Autor dieser gastronomischen Kolumne bekennt sich, wie es sich für einen Achgut-Mitarbeiter gehört, unumwunden dazu, weißen Spargel zu seinen Lieblingsspeisen zu zählen, wenngleich es ihm zum Ende der traditionell an Johanni (23. Juni) endenden Spargelsaison manchmal so geht wie Annette von Soettingen in Helmut Dietls legendärer Kultserie „Monaco Franze“. In Folge 8 erinnert sie sich an ihre Jugend auf einem Rittergut irgendwo im früheren deutschen Osten: „In der Spargelzeit gab es bei uns jeden Tag Spargel: Spargelsuppe, Spargelomelett, Spargel mit Schinken, mit Ei, Spargelpudding. Irgendwann stand mir der Spargel bis hier!“ Aber das ist ja das Schöne an einem klassischen Saison-Gemüse, dass nämlich meist zu dem Zeitpunkt, wenn es einem „bis hier“ steht, der Spuk ein Ende und man fast zehn Monate Zeit hat, um sich von der Asparagin-Überdosis zu erholen und sich wieder auf die – im konkreten Fall – weißen oder grünen Stangen freuen zu können.
Was einem manchmal ein wenig auf die Nerven geht, ist der Marketinghype, der hierzulande um den Spargel veranstaltet wird und der an die mittlerweile etwas aus der Mode gekommene alljährliche „Ankunft“ einer roten Plörre namens „Beaujolais Nouveau“ erinnert. Während Spargel für Franzosen und Italiener – meist in seiner grünen Variante – nicht viel mehr ist als eine Gemüsebeilage, wird der in Deutschland bevorzugte Bleichspargel in den Rang einer seltenen Delikatesse erhoben.
Ein gänzlich unwokes Ungemüse?
Wenn je nach Witterung im März oder April der erste Spargel die Super- und Wochenmärkte erreicht, raunen die Nachrichtenagenturen vom „edlen Stangengemüse“, das nun wieder den Gaumen der Menschen erfreuen darf, während die Spargelköniginnen ihre Talmi-Krönchen auf Hochglanz polieren und Haushaltwarengeschäfte Sondertische mit klobigen Spargeltöpfen und Spargelschnellschälern organisieren. Überall im Land gibt es Spargeldörfer und Spargelstädte, es gibt ein Europäisches Spargelmuseum, ein niedersächsisches (in Nienburg an der Weser) und noch ein paar mehr, eigentlich hat jedes Spargelanbaugebiet mittlerweile sein eigenes Museum sowie eine gekrönte Repräsentantin. Simon Schumacher, Geschäftsführer des Verbandes Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer, bringt es auf Nachfrage auf fast ein Dutzend Spargelköniginnen oder -prinzessinen sowie einen Spargelgrenadier.
Wobei in Zeiten von Genderismus und lautstark eingeklagter Diversität es eigentlich ein Wunder ist, dass die Institution der Spargelkönigin nicht umgehend der Cancel Culture verfallen ist. Ist doch der künstlich weiß gehaltene, phallisch aufragende (das griechische Wort „spargáein“ bedeutet so viel wie strotzen, geschwellt sein) und in seinen Transportkartons in Reih und Glied militärisch angeordnete Bleichspargel für linke Aktivisten nichts weniger als der Inbegriff von Rassismus, Militarismus und Sexismus und noch dazu aufgrund seines immer noch ansehnlichen Preises erschreckend elitär. Spargel – ein gänzlich unwokes Ungemüse?
Wer das für allzu weit hergeholt hält, dem sei die Lektüre eines Spiegel-Artikels von 2019 empfohlen, in dem die Kolumnistin Margarete Stokowski dem „alten, weißen Mann der Kulinarik“ und „privilegiertesten Gemüse“ den Krieg erklärt. Den alljährlichen Tanz um den Spargel hält sie für eine „parareligiöse Praxis“, seine Ernte sei „Menschen verachtend“. Als weltanschaulich noch einigermaßen vertretbare Alternative hält die Dame – notabene – Grünspargel. Der müsse zumindest nicht mit Erde angehäufelt und „extrem pünktlich und früh am Tag“ gestochen (noch so ein Sexismus) werden, eine Arbeit, die heutzutage vor allem unterbezahlte osteuropäische Erntehelfer erledigten, weil sich die Deutschen dafür zu schade seien. FDP-Chef Christian Lindner reagierte damals verschnupft auf den Beitrag und argumentierte streng marktwirtschaftlich. Die Deutschen lebten in dem Bewusstsein, Spargelnation der Welt zu sein, dabei habe China auch hier die Nase vorn. „Wenn wir nicht den Spargel anbauen, dann werden es andere tun, wie in jeder anderen Technologie auch.“
Möglichst makellos weiß
Dass der Spargelanbau ein wichtiger Wirtschaftszweig ist, dürften auch realsozialistische Gleichheitsfanatiker nicht bestreiten. Seit den 70er Jahren, als Spargel hierzulande wirklich noch ein Luxusgut war, sind Anbaufläche und Erntemenge geradezu explodiert. Heute wird auf 26.000 Hektar Spargel angebaut, die Erntemenge lag vergangenes Jahr bei rund 118.000 Tonnen, wobei die Preise auf breiter Front gesunken sind, wenngleich sie wegen der weiterhin überwiegend händischen Ernte und dem geltenden Mindestlohn (glücklicherweise) noch nicht Discountniveau erreicht haben.
Zu dieser unter Gerechtigkeitsaspekten erfreulichen Entwicklung trug in entscheidender Weise der längst flächendeckend praktizierte Anbau unter Plastikfolien bei. Diese Technik ermöglicht den Bauern einerseits, Spargel auch in Regionen anzubauen, die klimatisch weniger begünstigt sind als die klassischen Anbaugebiete in den Flusstälern, andererseits können sie den Erntezeitpunkt „verfrühen“ und somit Importen aus Südeuropa und Übersee Paroli bieten. Außerdem müssen Spargel unter der Plane nicht mehr jeden Tag oder sogar, bei großer Wärme, mehrmals am Tag gestochen werden – geschützt vor dem direkten Sonnenlicht, bleiben die schnell wachsenden Sprossen der Spargelpflanze weiß, auch wenn ihre hellgelben Spitzen schon ein wenig aus der Erde herausschauen. Außer beim grünen Spargel, der oberirdisch wächst und heute auf einen Mengenanteil von 15 Prozent kommt, mögen deutsche Konsumenten ihren Spargel möglichst makellos weiß.
Warum das so ist, fällt in den Bereich der Spekulation. Am ehesten sticht wohl das Argument, wonach deutsche Esser mehrheitlich starke Geschmäcker verschmähen und es, wie beim Käse, eher mild mögen. Diese Erwartung erfüllt nur der weiße, während lila oder grüner Spargel deutlich kräftiger, gemüsiger daherkommt. Dass grüner Spargel aber auch in Deutschland im Kommen ist, liegt Herrn Schumacher zufolge an seiner Kompatibilität mit den Bedürfnissen der Convenience-Gesellschaft. Man muss ihn kaum schälen und kann ihn unkompliziert in der Pfanne oder im modischen Wok braten. Ob grüner Spargel auch ökologisch im Vorteil ist, möchte Schumacher nicht unterschreiben. Die Plastikfelder während der Erntezeit sähen zwar nicht so schön aus, ersparten den Bauern jedoch den übermäßigen Einsatz von Unkrautvertilgern. Außerdem sänken infolge eines immer größeren Angebotes von heimischem Frühspargel die klimaschädlichen Importe, etwa aus dem fernen Peru.
Abstand nehmen von Spargel-Themenmenüs
Die vielfältigen Zubereitungsmöglichkeiten von Spargel hatte schon Annette von Soettingen anklingen lassen. In Franken serviert man ihn gerne mit einer kräftig gewürzten Bratwurst, die Schwaben wickeln (dünnen) Spargel in Pfannkuchen und überbacken sie mit Käsesauce. Man kann weißen oder grünen Spargel nach dem Garen auch kalt genießen, mit einer einfachen Vinaigrette, ein paar Schnitzen frischen Parmesans und Stangenweißbrot. Wenn es schnell gehen soll, bietet sich zerlassene Butter an, die man mit ein, zwei Teelöffeln körnigem Dijonsenf aufpeppen kann. Eine wenig bekannte, deftige Begleitung stammt aus Südtirol, die Bozener Soß‘. Dafür braucht es hart gekochte Eier, Schnittlauch und Senf. Man zerdrückt das Eigelb mit Senf und Olivenöl und mischt gehackten Schnittlauch und das ebenfalls klein gehackte Eiweiß darunter.
Klassiker aller Klassiker ist und bleibt die Kombination vorzugsweise weißen Spargels mit rohem oder gekochtem Schinken, einer echten (!) Hollandaise sowie festkochenden Kartöffelchen, wobei die zur Spargelzeit angebotenen „jungen“ Kartoffeln aus Ägypten oder Südeuropa leider meist nach überhaupt nichts schmecken. Aber glücklicherweise gibt es im April und Mai noch Linda, Bamberger Hörnchen oder Moos-Sieglinde aus vorjähriger Ernte.
Abstand nehmen sollte man von Spargel-Themenmenüs, beginnend mit einem feinen Spargel-Bärlauch-Süppchen, gefolgt von rohem Spargel-Carpaccio mit Bärlauch-Vinaigrette, einem Spargelsorbet als kühlendem Zwischengang, bevor als Hauptspeise klassischer Schrobenhausener/Beelitzer/Ingelheimer/Schwetzinger Stangenspargel vom Hofgut Wasweißich mit Schinken und Sauce Hollandaise nebst Kartoffel-Bärlauch-Stampf serviert wird. Als Nachtisch winkt zuweilen ein etwas eigenwilliges Spargelparfait und ein Tütchen mit Spargelkonfekt zum Mitnehmen (gibt’s wirklich!). Dazu wird schlimmstenfalls ein mutig als „Spargelwein“ etikettierter Verschnitt aus oft minderwertigen weißen Rebsorten eingeschenkt. Das ist dann einfach zu viel des Guten. Und Bärlauch gehört, in welcher Kombination auch immer, ohnehin auf den Index. Da hätte die Cancel Cuisine sogar einmal ihre Berechtigung.