Uwe Steinhoff, Gastautor / 15.01.2023 / 16:00 / Foto: Imago / 43 / Seite ausdrucken

Selbstbestimmungs-Gesetz: Wovon Buschmann nichts wissen will

Von Uwe Steinhoff.

Auch wenn der FDP-Justizminister es ganz anders verkauft: Das „Selbstbestimmungsgesetz“ bedroht Kindeswohl, Frauenrechte und die Freiheit, die darin besteht, sagen zu dürfen: Zwei plus zwei ist vier, auch wenn die Partei meint, es sei fünf.

In einem Interview mit Zeit Online wollte Justizminister Marco Buschmann Kritiker des sogenannten „Selbststimmungsgesetzes“ beruhigen, doch vor allem unterschätzte er sie. Angeblich seien deren Einwände „übertrieben” und „von Ängsten und teilweise auch von Vorurteilen gelenkt“. In Wahrheit verhält es sich gerade umgekehrt: Buschmanns Beschwichtigungsversuche sind von Ideologie und entweder Unkenntnis oder Verdrehung der Fakten getrieben.

So erklärt der FDP-Politiker, Kritiker hätten „Zerrbilder über geschlechtsangleichende Operationen für Minderjährige gezeichnet.“ Die Wahrheit aber sei: „Medizinische Fragen regelt unser Entwurf überhaupt nicht.“ Das Zerrbild liefert Buschmann. Denn die Kritik aus Reihen einschlägiger mit Medizin und Kindeswohl betrauter Fachverbände befand es gerade für „ungenügend“, sich darauf zu berufen, dass der Anwendungsbereich des neuen Selbstbestimmungsgesetzes keine Vorfestlegung hinsichtlich medizinischer Maßnahmen umfassen solle.

Zur von Buschmann verschwiegenen Wahrheit gehört nämlich, dass das Gesetz nicht in einem Vakuum operiert. So gibt es auch das „Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“, welches – wie ein weiterer medizinischer Fachverband kritisiert – die nicht-affirmative Psychotherapie bei Personen, die unter einer Geschlechtsdysphorie leiden, „quasi unter Strafe“ stellt. Derweil Buschmann stolz verkündet, er „habe persönlich durchgesetzt, dass bei Minderjährigen die Eltern eine starke Rolle im Verfahren haben“, ist von diesem Einsatz im Koalitionsvertrag nichts zu merken. Dieser sieht vielmehr vor, die Strafausnahme für Eltern abzuschaffen, die sich der kritiklosen Affirmation der „Transidentität“ und der „Transition“ ihrer Kinder entgegenstellen.

Buschmanns Stärkung transideologischer Berater

Zudem mahnt das „Eckpunktepapier“, Eltern müssten auf die „Beratungsangebote einschlägiger Vereine und Verbände hingewiesen werden“. Wie auch die schon oben genannten Fachverbände zwischen den Zeilen argwöhnen, sind damit gewiss nicht sie gemeint – sondern wohl eher die durch das sogenannte „Demokratieförderungsgesetz“ mit Vorliebe staatlich alimentierten und vermeintlich zivilgesellschaftlichen Sprachrohre links-grüner Ideologie. Bei solcher Gemengelage wird man wohl bezweifeln dürfen, dass die offiziell versprochene „sachkundige, ergebnisoffene“ Beratung auch tatsächlich geboten wird. Entsprechend abschreckende Erfahrungen in puncto „Ergebnisoffenheit“ wurden in Ländern wie Schweden, Finnland und dem Vereinigten Königreich schließlich bereits gemacht.

Buschmann erklärt zudem auf den Einwand, dass die Änderung des Geschlechtseintrags oft zu weiteren medizinischen Eingriffen führe: „Nicht der Antrag auf Änderung des Geschlechtseintrags ist für viele Betroffene der entscheidende Schritt – sondern das soziale Coming-out als trans Person.“ Damit, so sagt er, habe das Gesetz nichts zu tun, und im Übrigen „glaube“ er auch nicht, „dass man die Gleichung aufstellen kann, aus einer Änderung des Geschlechtseintrags auf dem Standesamt folgten zwangsläufig medizinische Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung.“ 

Nun hat erstens niemand von Zwangläufigkeit gesprochen, sondern von Häufigkeit; zweitens ist die Behauptung absurd, die Änderung des Geschlechtseintrags sei nicht Teil des sozialen Coming-out; drittens hat das Gesetz damit sehr wohl etwas zu tun, und zwar schon im Vorfeld, angesichts der empfohlenen „Beratungen“; und viertens sollte Buschmann sich, bevor er anderen vorwirft, „sich die komplexen, schwierigen seelischen Prozesse, die in transidenten Menschen vorgehen, zu einfach“ vorzustellen, mit der Studienlage vertraut machen, statt zu bekunden, was er „glaubt“.

Staatlicher Zwang zur Lüge

Immerhin macht Buschmann zumindest beim Frauenschutz ein kleines Zugeständnis. Betreiber von Frauensaunen sollen auch künftig bei ihren Einlassregeln „an die äußere Erscheinung eines Menschen“ anknüpfen können. Im Klartext: Sie können Männer ausschließen, auch wenn diese amtlich als „weiblich“ geführt werden. Dafür wurde Buschmann von den üblichen Verdächtigen bereits als „transphob“ verschrien, denn Penisträger aus Frauensaunen auszuschließen, ist für diese Männer der Gipfel patriarchaler Unterdrückung.

Allerdings sagt Buschmann auch, das Gesetz betreffe in erster Linie „das Verhältnis zwischen Bürger und Staat“, der zumindest „in behördlichen Schreiben“ die gewählte geschlechtliche Identität respektieren und akzeptieren müsse. Abgesehen davon, dass die Anreden „Herr“ und „Frau“ sich auf das Geschlecht beziehen, nicht auf die „geschlechtliche Identität“, und der Staat die Selbstwahrnehmung seiner Bürger beim Geschlecht ebenso wenig faktenwidrig bestätigen muss wie bei Größe und Alter, stellt sich hier eine wichtige Frage: Bedeutet der von Buschmann geforderte staatliche Respekt gegenüber Selbstidentifikationen, dass männliche Vergewaltiger sich in ein staatliches Frauengefängnis hineinidentifizieren können sollen? Wenn ja (und so sieht es aus): Wieviel staatlicher Respekt gegenüber Frauen zeigt sich darin?

Letztlich betrifft das Gesetz sehr wohl auch das Verhältnis zwischen Bürger und Bürger. Es zwingt mit dem „Offenbarungsverbot“ den Bürger dazu, über das Geschlecht amtlicherseits faktenwidrig als „weiblich“ eingetragener Männer zu lügen und sie als „Frauen“ zu bezeichnen. Einem vermeintlich „Liberalen“ wie Buschmann sollte das zu denken geben. Denn ein solcher staatlicher Zwang zur Lüge ist eine Verletzung der Gewissens- und Meinungsfreiheit wie auch der Menschenwürde. Es ist autoritär, wenn nicht totalitär. 

Wie schon Orwell wusste, ist Freiheit die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist, auch wenn die Partei meint, es sei fünf. Es ist auch die Freiheit, zu sagen, dass der Penisträger mit dem Wort „weiblich“ im Pass ein Mann ist, auch wenn die Ampelkoalition angesichts mangelnder Kenntnisse von Biologie und Amtssprache meint, er sei eine „Frau“.

 

Uwe Steinhoff ist ein deutscher Politologe und Philosoph. Er ist Professor am Department of Politics and Public Administration der Universität Hongkong.

Foto: Imago

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Leserpost

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Ellen Vincent / 16.01.2023

Die FDP ist ein Totalausfall. Genau wie der Rest der Ampel.

F. Michael / 15.01.2023

@Tobias Kramer, sie schreiben: >Buschmann wäre in der freien Wirtschaft ein Nichts.<, das trifft auf die ganze Regierungsmafia zu, es geht nur noch wir wollen aber,...! Was das Wahlvolk will ist uns egal.

Björn Caigong / 15.01.2023

Allmählich habe ich den starken Verdacht, dass es bei der massiven Transgender-Propagandakampagne in Wahrheit um Antinatalismus geht. Anders gesagt, die Menschen (in den westlichen Staaten) sollen bloß keine “normalen” heterosexuellen Familien mehr gründen und keine Kinder in die Welt setzen - ob wegen der Überbevölkerung, des Klimawandels oder warum auch immer. Ein probates Mittel bestünde darin, sie möglichst im frühkindlichen Alter in ihrer natürlichen sexuellen Entwicklung zu stören und zu verwirren, sodass sie eine “rapid gender dysphoria” entwickeln und sich mithilfe von Hormonpräparaten und chirurgischen Operationen kastrieren lassen (“Transition”). Hauptsache kein Nachwuchs! Klingt nach Verschwörungstheorie? Sicher. Allerdings haben sich in den letzten drei Jahren für meinen Geschmack zu viele Verschwörungstheorien bewahrheitet.

Sabine Schönfeld / 15.01.2023

Normalerweise werden Gesetze so geschrieben, dass die Interessen der Betroffenen in einem vernünftigen Verhältnis berücksichtigt werden und ich habe höchste Zweifel, dass dies hier geschieht. Welche Folgen hat dieses Gesetz für Kinder und Jugendliche, die selbst noch nicht gefestigt in ihrer Persönlichkeit dann möglicherweise Erwachsenen ausgeliefert sind, die ihre eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse auf sie projizieren? Oder es mag auch eine Modeerscheinung für die einen sein oder ein pubertärer Akt der Selbstbehauptung. Ist der Körper erst einmal durch Operation zerstört, gibt es keine Rückkehr mehr - weshalb es aus meiner Sicht gute Gründe für ein Elternveto gibt, bevor ein Jugendlicher das Erwachsenenalter erreicht. Wie groß ist der Anteil derer, die aktuell unter ihrem subjektiven Gefühl leiden, im falschen Körper zu sein, im Verhältnis zu jenen, die am Ende zu einem verhängnisvollen Schritt getrieben werden von wohlmeinenden Ideologiegetriebenen? Ich habe hier keinerlei Vertrauen, weder in die Gesetzgeber, noch in die im Artikel genannten “beratenden” Institutionen. Der zweite Punkt ist, dass es gute Gründe für Schutzräume für Frauen gibt. Das heißt, jeder Transmensch kann doch schon problemlos in eine gemischte Sauna gehen? Aber wie sollte ich als Frau einen Transmann von einem Spanner unterscheiden? Im Zweifelsfall würde ich hier auf Verdacht entscheiden und auch entsprechend jeden biologischen Mann aus einer Frauenumkleide entfernen. Ich würde dann sagen, ich fühle mich eigentlich als Rauswerfer, meine wahre Natur. Weiterhin habe ich kein Problem damit, wenn sich Männer wie Frauen kleiden wollen, sie können auch eine Unterhose auf dem Kopf tragen, wenn sie ihnen steht. Ich will nur nicht permanent mit jedem Minderheitenproblem belästigt werden, das macht mir richtig miese Laune. Und erst recht, wenn sie ihre subjektiven Probleme für alle verbindlich in Gesetze gießen lassen. Stellt euch vor - andere Menschen haben auch Schwierigkeiten. Lebt einfach damit!

Judith Elvira Elisabeth Siart / 15.01.2023

Das eigentliche Problem wird doch wieder verkannt. Der Autor verweist auf George Orwell und nicht auf die Bibel. Was wollt Ihr dann eigentlich? Was beschwert Ihr Euch dann? Ihr bekommt, was Ihr bestellt habt. Ihr verfolgt das gleiche Ziel, wie die Täter, seid aber mit dem Ergebnis unzufrieden. Das ist mindestens genauso schräg.

Sabine Schönfelder / 15.01.2023

Eine Brille, so spricht mein liebster Vater, nimmt dem Gesicht das Blöde. Manchmal täuscht sich selbst mein Papa…..

Tobias Kramer / 15.01.2023

@E. Albert: Es ist das Bild eines sich grenzenlos überschätzenden Narzissten. Buschmann wäre in der freien Wirtschaft ein Nichts. Das solche Leute so viel Unheil anrichten dürfen und niemand stoppt sie, macht mich fassungslos.

Frank Danton / 15.01.2023

@Willi Wichtig,  “Ich fordere, dass ich mein Alter regelmäßig ändern lassen darf!”  Nichts leichter als das. Einzige Voraussetzung ist, sie müssen in der Türkei geboren sein. (Nachzusehen bei Focus, Nr.2 (1994))

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