In der CDU Laschet, Söder oder Merkel? Und bei den Grünen Baerbock? Und könnte Scholz auf den letzten Metern auch noch zum Schuldigen werden? Aber der Wähler ist ja sowieso an allem schuld.
Es ist noch gar nichts passiert, aber schon längst stellt sich die Schuld-Frage. Wer oder was ist verantwortlich für das Desaster? Erste Namen werden genannt. Auch Organisationen spielen mit in dem Schuld-Poker. Im Prinzip auch die so genannte höhere Gewalt. Aber die ist als Schuldige nicht sehr geeignet, weil man sie nicht am Kragen packen und rausschmeißen oder mit Eiern bewerfen kann.
Nach dieser Einführung ist es an der Zeit, das avisierte Desaster beim Namen zu nennen: eine Bundesregierung, die nicht von den beiden Unionsparteien geführt wird. Nach 16 Angela-Merkel-Jahren gilt es in den Meinungsumfragen als ausgemacht, dass etwas Neues gewagt werden soll. Mehr Demokratie, wie seiner Zeit Willy Brandt? Weniger Demokratie, wie es in keinem Wahlprogramm steht, aber denkbar ist?
Oder bleibt doch alles beim Alten? Nicht bei Angela Merkel, wohl aber bei CDU/CSU mit SPD? Wäre das kein Desaster?
Aber hier soll nicht die Frage untersucht werden, welches Desaster desaströser ist, das mit oder das ohne CDU. Hier geht es um die Schuldfrage, die sich schon vor dem Desaster aufdrängt, egal ob es eintritt oder nicht.
Da Angela Merkel noch Kanzlerin ist und auf über eineinhalb Jahrzehnte in diesem Amt zurückblicken kann, muss sie als erste Schuldige genannt werden. Sie hat zwar als Physikerin rechnen und berechnen gelernt, aber sie hat sich, wie jeder Physiker, auch gelegentlich verrechnet. So hat sie bei einer Gelegenheit gesagt: „Wir schaffen das.“ Physikalisch gesehen hatte sie recht. Wir schaffen das. Aber die entscheidende Frage hat sie nicht gestellt: Wollen wir überhaupt das, was wir schaffen sollen? Warum hat sie uns in eine Lage gebracht, in der wir es schaffen müssen?
Nach Art des Lammes oder Rehs immer nach hinten sichern
Auch steht zur Debatte, was sie mit der CDU, diesem delikaten Gebilde, architektonisch gemacht hat. Augenscheinlich gar nichts. Sie hat das Gebäude nicht angerührt. Aber sie hat, wie es in Amerika zuweilen gemacht wird, das Haus unversehrt auf einen Sattelschlepper heben lassen und an einem anderen Ort wieder hingestellt. Das Haus ist scheinbar das alte, aber wie wohl fühlt es sich in seiner neuen Umgebung? Nicht jeder will im Grünen wohnen, und ein hellroter Anstrich ist auch nicht jedermanns Sache. Allerdings schließt sich hier eine weitere Schuldfrage an: Warum hat dieses kräftige Gebäude CDU sich so einfach verschieben lassen?
Ja, und dann die Wahl ihres Nachfolgers. Nun kommt es öfters vor, dass ein scheidender Chef für einen schwächeren Nachfolger sorgt, damit er selber im Rückblick besser aussieht. Aber das war es in diesem Fall wohl nicht. Angela Merkel hat es eher dem sächsischen König Friedrich August nachgemacht und hat sich gedacht: Macht euren Dreck alleene.
Und der Nachfolger? Er ist auch kein Unschuldslamm. Das Wort Lamm ist in diesem Fall nicht aus der Luft gegriffen. Armin Laschet ist als scheues Lamm beziehungsweise Reh in den Wahlkampf hineingetrippelt. So, als müsse er auf der Hut vor einem großen bösen Wolf sein. Jedenfalls ist er selber nicht mit der Power eines neuen Leitwolfes angetreten. Mit seiner langen Zaghaftigkeit ist er ein Mitschuldiger an dem, was kommt oder auch nicht kommt.
Allerdings hatte Armin Laschet nicht ganz unrecht, nach Art des Lammes oder Rehs immer nach hinten zu sichern. Denn da schien ja tatsächlich ein großer böser Wolf auf der Lauer zu liegen. Aber was war das wieder für ein Wolf?
Eigentlich wollte Söder nur spielen
Markus Söder glich eher einem Tier, das bellen, aber nicht beißen wollte. Er ist immer wieder aus seiner bayerischen Waldheimat hervorgeschnellt, hat wild geknurrt oder seine Mitwölfe heulen lassen und den armen Laschet derart erschreckt, dass der immer mehr wie ein armer Laschet aussah. Aber eigentlich wollte Söder nur spielen, um zu zeigen, dass er der bissigere Leitwolf gewesen wäre, wenn man ihn gelassen hätte. Mit seiner Erschreck-den-Laschet-Taktik hat er sich eine große Portion Mitschuld an dem eingehandelt, was möglicherweise passiert oder auch nicht.
Sollte man die Vorab-Mitschuld verteilen, so würde ich sagen: 50 Prozent Merkel und je 25 Prozent Laschet und Söder. Plus 25 Prozent CDU, die sich als Partei einfach hat verschieben lassen. Wie bitte? Das sind mehr als hundert Prozent? Stimmt schon. Die Schuldfrage bewegt sich jenseits der Mathematik.
Sollte es aber nicht zu einem Desaster für die Union kommen, dann gelten die gleichen Prozentzahlen, nur eben nicht als Mitschuld sondern als Verdienst.
Nun kommen wir zu dem anderen Desaster, das die beiden großen Laschet-Konkurrenten Scholz und Baerbock einholen könnte. In diesem Fall lautet die Desaster-Schuld-Frage: Wer ist verantwortlich dafür, dass dem einen und/oder der anderen so kurz vor dem Ziel die Puste ausging?
Einen zu kurzen Mantel des Schweigens geschneidert
Hat Olaf Scholz seine tiefroten SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (NoWaBo) nicht gründlich genug versteckt? Haben ihre Zehenspitzen unter dem Mantel des Schweigens, mit dem er sie umhüllt hat, doch zu auffällig hervorgelugt? Wenn ja, wer ist schuld? Der Kandidat, der einen zu kurzen Mantel des Schweigens geschneidert hat, oder die beiden Umhüllten, die nicht so stillhalten konnten, wie es schlau gewesen wäre? Mein Tipp: fifty-fifty.
Und Annalena Baerbock? Hat sie in der Schule so schlecht aufgepasst, dass sie nicht gelernt hat, wie man abschreibt ohne aufzufliegen? Kann eine Frau Kanzlerin werden, die so ungeschickt schummelt, dass sie gleich mehrmals erwischt wird und in der Ecke stehen muss? Aber wäre sie die Alleinschuldige? Oder trüge nicht auch die Partei eine Mitschuld, die vorab nicht gründlich genug die Schummel-Kompetenz ihrer Kandidatin unter die Lupe genommen hat? Ich sage: 60 Prozent zu 40 Prozent.
Also potenzielle Schuldige und Mitschuldige, wohin das Auge schweift, egal, welches Desaster eintritt beziehungsweise nicht eintritt.
Die spannendste Schuld-Frage vor der Wahl wage ich allerdings kaum zu beantworten. Sie lautet: Wer wäre schuld, wenn es zu Rot-Grün-Rot käme? Für diesen Fall kann ich nur mit dem üblichen Schuldigen dienen: mit dem Wähler. Aber der ist ja sowieso an allem schuld.