Beda M. Stadler, Gastautor / 11.03.2010 / 16:27 / 0 / Seite ausdrucken

Bundesrat mit Nebenwirkungen

Homöopathie ist Voodoo-Medizin aus Wasser und Zucker. Die Schweiz verankert diesen Aberglauben im staatlichen Gesundheitswesen.

Dürfen Ärzte im Rahmen des staatlichen Gesundheitswesens den Patienten «Medikamente» verschreiben, die bloss aus reinem Wasser oder Zucker bestehen? Dürfen Homöopathen den Leuten Wasser und Zucker als Heilmittel andrehen und über die obligatorische Grundversicherung abrechnen? Da dies eine heikle Frage ist, erstaunt es nicht, wenn sich Interessenvertreter aus dem Parlament heimlich beraten, wie man Wasser und Zucker trotzdem als «Medikamente» verkaufen könnte. Peinlich allerdings wird es, wenn unser Gesundheitsminister Didier Burkhalter, wie die Nachrichtensendung «10 vor 10» aufgedeckt hat, ebenfalls zu einem Geheimtreffen mit Komplementärmedizinern einberuft. Denn es ist ein offenes Geheimnis: Die allermeisten homöopathischen «Medikamente» sind so stark verdünnt, dass in den Wässerchen mit absoluter Sicherheit kein einziges wirksames Molekül mehr enthalten ist.
Auch wenn die Politiker dies noch nicht bemerkt haben, für die Homöopathie wurde am 22. Februar 2010 das Ende eingeläutet. Ohne Geheimtreffen, in aller Öffentlichkeit. Die parlamentarische Kommission für Wissenschaft und Technologie in England hat an dem Tag ihren Bericht über «Medikamente» aus reinem Wasser und Zucker veröffentlicht. Die zuvor durchgeführten Hearings waren öffentlich und machen die Runde auf Facebook und Youtube. Sie haben Unterhaltungswert, trotz dem nüchternen Resultat: «Homöopathie wirkt nicht, ausser dass sie wie ein Placebo ‹wirkt›. Die Behauptungen, warum die Homöopathie wirken solle, sind nicht einleuchtend. Es gibt keinerlei Grund, weitere klinische Studien im Zusammenhang mit Homöopathie durchzuführen.» Homöopathische Spitäler seien zu schliessen. Die Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (entspricht unserer Swissmedic) dürfe keine homöopathischen Medikamente mehr zulassen, welche medizinische Versprechungen ohne Evidenz für die Wirkung aufwiesen. Das ist das Ende der staatlichen Zulassungsverfahren für homöopathische Produkte.
Wirkstoff «psychosozialer Kontext»
In Grossbritannien gibt es also Parlamentarier, die endlich und nach 200 Jahren ergebnisloser Homöopathie-Forschung zur Einsicht gelangt sind, dass man diesem Voodoo ein Ende setzen soll. Und bei uns? Hier verlangen Ständeräte wie Rolf Büttiker (FDP/SO), dass nun endlich der Volkswille umgesetzt werde. Schliesslich hätten 67 Prozent der Leute sich zur Alternativmedizin bekannt. Die Forderung geht sogar weiter als das, was man in England endlich hinauskippen will. Hierzulande soll die Alternativmedizin nämlich Bestandteil des normalen Mediziner-Curriculums werden. Weil kein rationaler Professor diese «Lehre», oder besser Leere, bieten kann, würden wir neu eine stattliche Anzahl von Alternativmedizin-Lehrstühlen brauchen.

Selbstverständlich gibt es auch in der Schweiz vereinzelte Parlamentarier, die es wagen, die Wirkungsweise der Homöopathie anzuzweifeln. Gemäss SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi besteht keinerlei Handlungsbedarf: Kein homöopathisches Medikament werde die Zulassung erhalten, schliesslich hätten wir im Artikel 32 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung die Auflage, dass die Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein müssen. Warten wir es ab! Da die Wissenschaft weiss, dass die Homöopathie nicht wirksam ist, geht es in der Schweiz von nun an wahrscheinlich nur noch um Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit. Die Wirksamkeit verkommt zur Bagatelle.
Tatsächlich sind viele Menschen mit der Homöopathie zufrieden. Nicht nur die 67 Prozent, die der Volksinitiative für die Komplementärmedizin zugestimmt haben, auch in ausländischen Umfragen sind es fast 70 Prozent der Leute. Dass die meisten homöopathischen Wässerchen bloss reines Wasser sind, wollen diese Leute nicht wissen. Zudem glauben sie, der Placeboeffekt sei eine Wirkung über die Wirkung hinaus. Dazu ist eben im Lancet eine Studie erschienen, die eine neue Dimension des Placeboeffekts aufzeigt: Es gehe nicht bloss darum, ob Pillen rot oder die Nadel dick ist, sondern der «psychosoziale Kontext» sei quasi ein zusätzlicher «Wirkstoff». Daher weigern sich Homöopathen, Doppelblindstudien zu machen, weil ohne Suggestion beim Patienten nichts läuft. Zumindest muss er dran glauben, Wasser könne sich an Wirkstoffe erinnern!
Das Geheimtreffen der Alternativmediziner mit unserem Bundesrat ist ein eindeutiger «psychosozialer Kontext». Je mehr Würdenträger in unserem Land sich über die evidenzbasierte Medizin lustig machen und ihren persönlichen Glauben als Stand des Wissens betrachten, desto mehr werden sie zu Helfershelfern des Placeboeffekts. Sollte die persönliche Zufriedenheit eines Bundesrats zum Argument für die Wirksamkeit werden, dann wird der Bundesrat zum Beipackzettel für homöopathische Mittel. Swissmedic müsste logischerweise einen Warnhinweis für Globuli verlangen: «Achtung. Dieses Präparat enthält absolut keine Wirkstoffe und hat somit keine Wirkung. Sollten Sie eine Wirkung verspüren, liegt es an Ihrem Glauben. Sie waren nicht krank, leiden jetzt aber unter einem Wahn. Zu weiteren Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Bundesrat.»

Erschienen in der WELTWOCHE Ausgabe 10/10

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