Ein Schaufensterbummel mit dem Schatz durch die Fußgängerzone, und das am Montagabend – das sieht für die Staatsmacht verdächtig nach einem Spaziergang von Coronaleugnern aus.
Gut, ich gebe zu, dass der Zeitpunkt „Montagabend“ jetzt auch etwas unglücklich gewählt war, um mit dem Schatz einen Schaufensterbummel durch die Fußgängerzone zu machen, aber erstens hatte der Schatz eben nur an diesem Abend frei und zweitens darf der Schatz, so als ungeimpfter Schatz, sich maximal die Nase an den Schaufenstern plattdrücken und kann sich nicht einmal einen Döner kaufen, was so einen Bummel – nennen wir es – „kostenentspannt“ macht. Wir alle sollen ja Ressourcen schonen und für Geld, das wir nicht ausgeben, muss schon kein neues nachgedruckt werden.
Wir waren gerade am „Beklopptenburg“, dem sympathischen Texdealer aus Bangladesch mit seiner Ware aus 100% liebevoller Kinderarbeit vorbei und wollten Richtung Theater nebst Rathaus, als sich von einem Polizeibus, der mitten auf der Kreuzung zum Büro des Stadtsheriffs stand, ein vorschriftsmäßig mit Helm, Schlagstock und Handschellen gekleideter Beamter näherte. Oder eine Beamtin, ich bin nicht sicher. Man kann in der Montur keine Brüste erkennen. Und ich weiß ja auch nicht, was er/sie/es sich selbst für Pronomen gab.
„Was machen Sie da?“, fragte er oder sie mit einer Stimme, die mich des Geschlechts immer noch unsicher sein ließen. „Guten Abend“, hub ich an, um mit einer Begrüßung meine Sozialkompetenz unter Beweis zu stellen, „wir gehen spazieren!“ „Soso“, stelle das Verbeamtete fest, „Spazieren also. Sie wissen, dass Zusammenkünfte ab zehn Personen verboten sind?“ Ich muss etwas verblüfft ausgesehen haben. Ich deutete mit dem Zeigefinger zuerst auf den Schatz, dann auf mich. „Eins, Zwei“, zählte ich durch. Und stellte mathematisch korrekt fest: „Wir sind keine zehn Personen.“
Spaziergänger – oder Coronaleugner und Impfgegner?
„Nun werden Sie mal nicht frech!“, herrschte mich das Grab meiner Steuergelder an. „Sie sind also keine Impfgegner?“ „Ich nicht, ich bin geimpft, gebenedeit und gesalbt. Aber meine Frau da, die ist nur gesund!“, gab ich mit einer Kopfbewegung Richtung an meinem Arm hängenden Schatz bereitwillig erneut Auskunft. Immerhin war das ja ein Verbeamtetes, da darf man nicht frech sein, da muss man Respekt haben und die Wahrheit sagen, so habe ich das mal in den 70ern gelernt. Außerdem legt man sich lieber nicht mit Leuten an, die einen Schlagstock oder eine Schusswaffe oder beides tragen. Das kann böse enden.
„Du bist so ein Arsch“, schaltete sich der Schatz ein. „Meinen Sie mich?“, fragte das Uniformierte nach. „Nein, den geimpften Zwerg da“ – diesmal machte sie eine Kopfbewegung in meine Richtung. Ich setzte an, um den Schatz über Ausdrucksformen in der Öffentlichkeit und den Respekt vor der Polizei zu belehren, aber die Staatsmacht schaltete sich dazwischen, diesmal an den Schatz gewandt: „Leben Sie in einem Haushalt zusammen?“ „Ja, leider“, knurrte der Schatz, „aber wenn er so weiter macht, dann nicht mehr lange.“ „Ich stelle fest:“, konstatierte das Polizeiende, „Sie sind ein Paar, von denen einer geimpft und einer ungeimpft ist…“ „Ja genau“, quakte ich dazwischen, „…lassen Sie mich ausreden! Und Sie behaupten, Sie gingen hier nur spazieren.“ „Ja“, antworteten wir beide brav im Chor.
„Soso“, sosote die Staatsmacht erneut. „Können wir jetzt weiter?“, wollte ich wissen. „Wir wollen hoch zum Theaterplatz.“ „Soso“, nahm der Scherge der Innenministerin schon wieder zweisilbig Kenntnis von meiner Auskunft. „Jaja, soso“, gab ich, vielleicht jetzt nicht ganz so respektvoll zurück, aber ich will ja Menschen auch da abholen, wo sie stehen. In diesem speziellen Fall vor einem Polizeibus auf der Kreuzung zu Rathaus und Theaterplatz. Das Beamtete stemmte beide Arme in die Hüfte. Also in seine, nicht in meine oder die vom Schatz. „Ich sage Ihnen jetzt mal was: Sie sind gar keine Spaziergänger. Sie sind Demonstranten, Coronaleugner, Querdenker, Impfgegner und Rechtsradikale!“ „Aber ich bin doch geimpft“, wendete ich ein. „Ach ja? Dann zeigen Sie mal Ihr Zertifikat!“, forderte mich mein Gegenüber auf. „Das geht nicht, der Akku vom Handy ist leer“, sagte ich – und das stimmte wirklich. Ich hatte es vergessen zu laden, aber nachdem der Schatz ja neben mir stand, musste ich ja nicht stand-by für seine WhatsApp-Nachrichten sein. Deswegen hatte ich das verbummelt.
Gesellschaftlicher Abschaum in Chino-Hosen
„Dann endet dieser…“, das Polizeiende malte mit beiden behandschuhten Händen Anführungszeichen in die Luft, „…,Spaziergang' für Sie beide heute hier und jetzt.“ Gut, vom Grunde her wäre mir das egal gewesen, am Theaterplatz gibt es nur wenige Geschäfte mit ausländischer Feinkost, aber das sah jetzt schwer nach Platzverweis aus. Und das alles nur, weil der Schatz ungeimpft war (und ist) und mein Handyakku leer war und wir beide damit im Verdacht standen, rechtsradikale, coronaleugnende, querdenkende, impfgegnerische Demonstranten zu sein. Gesellschaftlicher Abschaum in Chino-Hosen, sozusagen.
„Wir haben Bürgerrechte“, maunzte der Schatz und versuchte, sich trotz seiner Größe hinter mir zu verstecken. Das klappte aber nur bedingt, weil der Schatz größer als ich ist. „Aber nicht bei mir“, konterte die Allmacht, „…und nicht heute Abend!“ „Aber sie hat nur heute frei“, versuchte ich einen, zugegeben, sehr weichen Protest mit einem sehr schwachen Argument. „Das ist mir egal“, antwortete das Beamtete ruppig und rücksichtslos gegenüber den Arbeitszeiten vom Schatz.
Ich machte tapfer den Rücken gerade und schaute meinem Kontrahenten so scharf, wie mir das unter der Brille möglich war, in die Augen. „Na gut – Sie haben es nicht anders gewollt! Dann gehen wir eben woanders bummeln! Die Einzelhändler am Theaterplatz sagen Danke!“, schleuderte ich ihm entgegen. „Ach, sie gehen gar nicht spazieren? Sie bummeln nur?“, fragte das Polizei verblüfft nach. „Ja, wir bummeln nur“, echote der Schatz geistesgegenwärtig. „Achsoso, das ist natürlich etwas anderes“, wechselte unser Vorposten plötzlich den Ton, „dann gehen Sie durch. Bummeln dürfen Sie selbstverständlich – aber gehen Sie NICHT spazieren, hören Sie?“
Wir hörten und bummelten zum Theaterplatz, wo die anderen Herumbummler standen…
(Weitere Bummeleien des Autors gibt´s unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.