Es war der 15. Juni 2020, als sich Hengameh Yaghoobifarah, im weiteren Text weder aus rassistischen oder anderen zu unterstellenden Gründen als H.Y. bezeichnet, in der Print- und Online-Ausgabe der Tageszeitung „taz“ unter dem Titel „All cops are berufsunfähig“ zu Wort meldete und ein Resümee darüber zog, was man mit den Beamten einer (fiktiv) abgeschafften Polizei in der Gesellschaft noch anfangen könne. Bitte merken Sie sich das Wort „fiktiv“, denn es wird in der weiteren Folge, insbesondere beim Nachweis der Unschuld dieser Literatin, noch eine entscheidende Rolle spielen.
Wer ist Frau H.Y?
Laut Wikipedia wurde sie 1991 in Kiel als Kind iranischer Einwanderer geboren. Nach dem Abitur studierte sie Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik mit dem Abschluss Bachelor und einer Arbeit über die Farbe Pink im feministischen Diskus. H.Y. identifiziert sich als nicht binär, also weder weiblich noch männlich, benutzt für sich allerdings neben dem geschlechtsneutralen „they“ auch weibliche Pronomen und Bezeichnungen. Doch zunächst ein kurzer Rückblick auf das Schaffen von H.Y. in besagter Kolumne. Dort schreibt sie:
„Ich hingegen frage mich: Wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen? Schließlich ist der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch.“
Und weiter:
„Ob Behörden, Lehrer_innen, Justiz, Politik, Ärzt_innen oder Sicherheitskräfte: Machtpositionen gegenüber anderen Menschen kommen nicht infrage. Streng genommen möchte man sie nicht einmal in die Nähe von Tieren lassen.“
Ich erspare es mir, den gesamten Text hier zu zitieren, Nur eines noch. Das Fazit der Autorin zu den Zukunftschancen einer Polizei, die sie gern abschaffen möchte:
„Und wenn man sie einfach Keramik bemalen ließe? Nein. Zu naheliegend, dass sie unter der Hand Hakenkreuz-Teeservice herstellen und sich mit den Einnahmen das nächste Terrornetzwerk querfinanzieren. Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: Die Mülldeponie. …wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“
Mag sein, dass einige Leser dies für Ironie oder gar Satire hielten, die Polizeibeamten dieses Landes taten es ganz sicher nicht. Man muss schon über merkwürdige Strukturen im Gehirn verfügen, um eine Mülldeponie für Menschen als Spaß zu begreifen. Wer nur einen Hauch Ahnung von einem Teil deutscher Geschichte und der damit verbundenen Menschenverachtung besitzt, der erkennt an dieser Wortwahl die Sprache des 3. Reiches. Man lese bei Victor Klemperer und seinem LTI nach. Wer auch nur fiktiv in Erwägung zieht, Menschen auf einer Mülldeponie zu entsorgen, der beleidigt nicht nur Polizeibeamte. Der stellt alles infrage, was in diesem Lande noch einen Wert hat.
Wertvorstellungen ohne Wert
Als ehemaliger Kriminalbeamter und Angehöriger der Berliner Polizei habe ich über dieses Pamphlet mit vielen ehemaligen Kollegen gesprochen. Alle von uns einte ein abgrundtiefer Abscheu. Es sind insbesondere die älteren Kollegen, die von derartigen Herabwürdigungen verletzt werden, was damit zusammenhängen mag, dass sie noch Wertvorstellungen anhängen, die für etliche junge und jüngere Beamte nicht mehr den ehemaligen Stellenwert besitzen: Stolz auf die eigene Berufsgruppe, Stolz auf den Staat und seine Leistungen, Liebe zur Heimat, …etc.
Für viele junge Polizeibeamte ist der Dienst in der Polizei lediglich ein Job wie jeder andere. Die bei Polizeien festgestellten rechten Tendenzen machen Sorge. Was mir und anderen aber ebenfalls Sorge bereitet, sind die linken Tendenzen in diesen Reihen. Viele unterliegen schon wieder dem geschichtlichen Irrtum, links zu sein wäre ehrenvoll und hätte einen Bonus verdient.
Ich und viele meiner Kollegen, darunter auch noch aktive Beamte, fühlten sich massiv persönlich angegriffen. Doch aus den eigenen aktiven Reihen heraus Widerstand zu leisten, gegen eine zunehmende Verunglimpfung der Polizei, dazu hat kaum jemand den Mut, zumal es leider auch schwarze Schafe in den Reihen der Polizei gibt.
Ich entschloss mich jedenfalls am 18.06.2020, Anzeige wegen Beleidigung und Volksverhetzung gegen Frau H.Y und die verantwortlichen Redakteure der „taz“ zu erstatten. § 130 StGB sagt, dass derjenige mit einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren bestraft werden kann., der „Schriften, (verbreitet) die zum Hass gegen eine vorbezeichnete Gruppe,… zu Gewalt und Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder ihre Menschenwürde dadurch angreifen, dass sie beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden“ und „eine Darbietung des … Inhalts durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet.“ Die Anzeige erhielt das Aktenzeichen 231 Js 1906/20 der Berliner Staatsanwaltschaft.
Die bemerkenswerte Kolumne hatte sich schnell bis ins Kanzleramt und das Innenministerium vorgearbeitet. Horst Seehofer blies vor Empörung die Wangen auf und tönte, dass er ebenfalls eine Anzeige erstatten wollte. Doch in der ihm eigenen Art ließ er die Luft schnell wieder raus. Seine Entschlossenheit wich dem bekannten süffisanten Lächeln, das er aufzulegen pflegt, wenn er sich überschätzt hat. Seehofer fuhr seine Empörung zurück. Damit war klar, wer die politische Richtung in dieser Sache festlegen und wie mit den anhängigen Verfahren umgegangen werden würde.
Das Ergebnis der Prüfung
Vor einigen Tagen erhielt ich den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Berlin.Immerhin sechs Seiten Begründung dafür, weshalb die Veröffentlichung der „taz“ keine Straftat darstellt und Frau H.Y. keine Schuld auf sich geladen hat. Eine solche Ausführlichkeit ist bei eingestellten Verfahren eher selten.
So schreibt Frau Staatsanwältin Schlömer in ihrem Einstellungsbescheid, dass es sich bei Polizeibeamten zwar um ein taugliches Objekt im Sinne des § 130 StGB handelet aber:
„Bei der Ermittlung des tatsächlichen Inhalts des Beitrages der Beschuldigten Y. aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen und zur Gesamtbetrachtung bereiten Beobachters und unter Anwendung des dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstabs, stellt sich dieser als – wenn auch polemische und herablassende – rechtlich zulässige Kritik an deutschen Polizeibeamten bzw. dem Berufsbild des Polizeibeamten und insbesondere nicht als Schmähung dar.
Schließlich konnte im Ergebnis der Prüfung auch kein Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden im Sinne von § 130 Abs 1 Nr. 2 festgestellt werden.“
Geht die Staatsanwaltshaft an dieser Stelle noch von einer real existierenden Polizei als Adressaten der Schmähschrift aus, arbeitet sie sich im Weiteren an die Unschuld von Frau H.Y heran und schreibt:
„Die Beschuldigte erschafft in ihrem Text zunächst die hypothetische Ausgangslage einer „abgeschafften“ Polizei und lehnt dann verschiedene Berufsgruppen bzw. Arbeitsgebiete als mögliche alternative Betätigungsfelder für die insoweit „abgeschafften“ Polizeibeamten ab.
Im Ergebnis der Auslegung kann der Beitrag der Beschuldigten mithin auch dahingehend interpretiert werden, dass die in ihrem Gedankenexperiment „abgeschafften“ Polizeibeamten aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefahr nicht in andere Arbeitsfelder vermittelbar sind und nach Ansicht der Beschuldigten H.Y nur auf einer Mülldeponie – ein Ort an dem nichts mehr be- oder geschädigt werden kann – keine Gefahren mehr von diesen ausgehen.
Jedenfalls kann diese Interpretation des Textes nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden.“
Ich will es bei diesen Zitaten belassen.
Wie gut, dass es die Polizei noch gibt
Die „Kolumne“ von Frau H.Y. unterliegt also nach Meinung der Berliner Staatsanwaltschaft der freien Meinungsäußerung und bezog sich eigentlich auf ein gedankliches Experiment, welches Frau H.Y. schreibend angedacht hat.
In diesem Sinne ist die von ihr beschriebene „abgeschaffte Polizei“ zwar fiktiv, jene Polizei, die sie abschaffen möchte, aber durchaus real, denn eine andere Polizei als die derzeit bestehende existiert nicht. Insofern sind all die Schmähungen und Beschimpfungen gegen Polizeibeamte nicht gegen eine fiktive Polizei gerichtet, sondern gegen real existierende Personen und die Polizei als Ganzes. Dass dies auch dem realen Empfinden nicht nur der Polizeibeamten entspricht, zeigte eine Welle der Empörung in anderen Medien und den Kommentarspalten. Alles Menschen, die von Satire offensichtlich nichts verstehen.
Ironie des Schicksals. Kurz nach dem Erscheinen des Textes musste Frau H.Y. die Polizei um Schutz ihrer Person bitten, da einige Leser es wohl bei der blanken Empörung nicht beließen. Welch ein Glück für die Beschuldigte, dass die Polizei zu diesem Zeitpunkt noch existierte und sich der Bitte nicht entziehen konnte.
Für mich und auch viele andere Betroffene ist klar, dass es sich bei dieser Entscheidung um eine politische handelt, die nicht der Staatsanwaltschaft anzulasten ist. Der Innenminister wird es besser wissen und all jene, die immer wieder zwischen rechten und linken Schmutzfinken in diesem Lande differenzieren. Da lässt man dem linken Pöbel schon mal was durchgehen. Ich bringe sogar eine Spur von Verständnis für die Staatsanwaltschaft auf. Niemand will so enden wie Oberstaatsanwalt Roman Reusch, dem sein Mut und sein Hang zur Wahrheit zum Verhängnis wurden.
Frau H.Y hat aus ihrer Ablehnung des Kapitalismus und ihren linken Einstellungen gegenüber dem Rechtsstaat nie einen Hehl gemacht. Insofern reiht sich dieser Text nahtlos in ihr Schaffen ein. Es kommen allerdings Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer linken Einstellungen auf, wenn man sieht, dass sie jetzt Werbung für das Ka-De-We macht.
Dort wird sie kaum auf die von ihr so verhassten Polizeibeamten als Kunden treffen. Die treten nämlich für ein überschaubares Salär jeden Tag zum Dienst an, vernachlässigen Ihre Gesundheit, das Wohl ihrer Familien und lassen sich von Personen diffamieren, die eine Bachelorarbeit über die Farbe Pink geschrieben haben.