Die ewige Klage über Sinn und Unsinn behördlicher Formulare drang eines Tages auch an das Ohren von Bundestagsabgeordneten der CDU-/CSU-Fraktion oder sie waren aus eigener Erfahrung drauf gekommen. Jedenfalls haben sie einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, darauf hinzuwirken, dass bei der Neugestaltung unverzichtbarer Formulare folgende zehn Grundsätze beachtet würden (Dieter Lau/Ulrich Fried, Die Herrschaft der Bürokratie, S. 42 f.):
1. Höfliche Anredeform für den Bürger
2. Inhaltliche Einheitlichkeit aller Formulare für den gleichen Sachverhalt
3. Übersichtliche Gliederung der Formulare
4. Maschinengerechte und grafisch sinnvolle Gestaltung mit ausreichendem Platzangebot
5. Vermeidung von Amtsdeutsch und Fremdwörtern; übersichtlicher Satzbau und angemessene Satzlänge
6. Allgemeinverständliche Erklärung von Fachausdrücken
7. Notwendige Erläuterungen müssen den Sachverhalt inhaltlich zutreffend und sprachlich klar beschreiben; die Erläuterungen sollen Anschrift und Telefon-Nummer der Behörde sowie die Zeiten des Parteienverkehrs und den Hinweis auf die Antragannahmestelle enthalten.
8. Verzicht auf nicht entscheidungsbedeutsame Fragen
9. Deutliche Kennzeichnung von Fragen, die nur bei Erstanträgen auszufüllen sind
10. Hinweise auf den Datenschutz.
Die Naivität der Abgeordneten hat mich tief berührt, und immer, wenn ich einen Vordruck in Händen halte, denke ich mit Wehmut an diesen Antrag.
Die gleiche Empfindung habe ich übrigens, wenn ich das „Vorblatt“ eines Gesetzentwurfs studiere. Diese Errungenschaft sollte dazu führen, dass die Zielsetzung des Gesetzes kurz und knapp beschrieben und außerdem die zu erwartenden Kosten und mögliche Alternativen dargestellt werden. Mit der Zielbeschreibung klappt es meistens ganz gut. Und die Darstellung von Kosten und Alternativen ist in der Regel erfreulich knapp, sie lautet nämlich einfach „keine“, keine Kosten, keine Alternativen. Leider ist die Knappheit das einzige Erfreuliche an dieser Darstellung, denn in aller Regel entstehen natürlich Kosten, sie sind nur schwierig und aufwendig zu ermitteln. Und auch Alternativen gibt es meistens mehr, als man denkt, es ist nur mühselig, sie zu entdecken und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Eine Sozialschnulze ist kein Grund, ein Gesetz in die Welt zu setzen.
Ja, und dann kam man eines Tages allenthalben auf die Idee, einen „Vorschriften-TÜV“ einzurichten, eine Gruppe von Fachleuten, denen jeder Gesetzentwurf vorzulegen ist. In den meisten Ländern hieß das einfach „Vorschriften-Kommission“, in Baden-Württemberg war es die „Mayer-Vorfelder-Kommission“. Auch der Arbeitskreis II (Innere Sicherheit) der IMK richtete eine solche Kommission ein. Diese Kommissionen sorgten und sorgen immer noch dafür, dass ein Gesetzentwurf beispielsweise nicht mehr 30, sondern nur noch 28 Paragraphen hat und sehen großzügig darüber hinweg, dass die beiden gestrichenen als Absätze anderer Vorschriften erhalten bleiben. Als Bilanz kann man dann verkünden: So und so viele überflüssige Regelungen verhindert.
Ähnlich wirken auch die „sieben Bitten“ eines Verwaltungskollegen, die er schon zwanzig Jahre vor seinem Abschied niedergelegt und dann bei seinem Abschied in Form eines Appells der Nachwelt hinterlassen hat (Dieter Lau/Ulrich Fried, Die Herrschaft der Bürokratie, S. 106 f.):
1. Prüfe eingehend, ob eine gesetzliche Regelung überhaupt notwendig ist. Jedes neue Gesetz schränkt die Freiheit ein. Die Sucht eines Bürokraten, alles regeln zu wollen, die noch so massiv angemeldete Forderung eines Interessenverbandes, eine rührend vorgetragene Sozialschnulze sind keine Gründe, ein Gesetz in die Welt zu setzen.
2. Bedenke, daß für jedes Gesetz auch jemand da sein muß, der es ausführt. Es ist unehrlich und zeugt von wenig Logik, Gesetze am laufenden Band zu produzieren und über wuchernde Bürokratie zu klagen.
3. Mißtraue Gesetzesvorschlägen, die kurz vor der Wahl eingebracht oder durch einen Einzelfall ausgelöst und mit größter Eile durchgepeitscht werden sollen. Gesetze müssen ausreifen, wenn sie Bestand haben sollen.
4. Widerstehe der Versuchung, im Gesetz jede Einzelheit regeln zu wollen. Es gelingt doch nie und zeugt von wenig Weisheit. Das Leben ist dafür zu vielfältig.
5. Überlege bei jedem Gesetz, ob es von dem Normalbürger erfüllt werden kann. Das deutsche Volk besteht nämlich aus Normalbürgern und nicht aus Übermenschen.
6. Frage immer, ob eine Bestimmung in der Praxis auch durchgesetzt werden kann. Höre darum vorher Praktiker an, die das Gesetz später ausfüllen sollen. Jedes Gesetz, das nicht befolgt werden kann, schadet dem Ansehen der Demokratie und untergräbt die Gesetzestreue des Bürgers.
7. Übertrage die Ausführung von Gesetzen nur solchen Personen und Stellen, die hierfür das nötige Können und Wissen mitbringen. In unserer komplizierten Welt genügt leider der gesunde Menschenverstand nicht immer allein, auch wenn er mit parlamentarischem Öl gesalbt ist.
Beamte oder Angestellte schaffen sich gegenseitig Arbeit
So gut solche Ratschläge gemeint sind und so richtig sie auch sein mögen: Sie verhallten ungehört in der Hektik des politischen Betriebs. Hier zählt häufig nicht die Qualität, sondern die Geschwindigkeit. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass der zuständige Minister bereits bei der Vorlage eines Gesetzentwurfs die Notwendigkeit der ersten Novelle ankündigt? Und auch die Zahl der „Berichtigungen“, die immer wieder im Gesetzblatt auftauchen, weist in diese Richtung. Hauptsache, das Thema ist erst mal „besetzt“, dann sieht man weiter. Vor dem Hintergrund solcher und ähnlicher Überlegungen muten derartige Ratschläge weltfremd und naiv an. Wen das nicht stört, sollte gleichwohl nicht müde werden, sich in dieser Weise zu Wort zu melden.
Nachdem der Leser solcherart mit der Hartnäckigkeit der Bürokratie vertraut geworden ist, ist es nun an der Zeit, Parkinsons Gesetz näher unter die Lupe zu nehmen.
Parkinson geht von zwei Triebkräften in Verwaltungen aus:
1. Jeder Beamte oder Angestellte wünscht die Zahl seiner Untergebenen, nicht aber die Zahl seiner Rivalen, zu vergrößern.
2. Beamte oder Angestellte schaffen sich gegenseitig Arbeit.
Diese beiden Triebkräfte führen dazu, dass die Zahl der Beschäftigten sich ständig vermehrt und zwar unabhängig davon, ob die Arbeit zu- oder abnimmt. Nach Parkinson beträgt die jährliche Zunahme des Personals ohne Rücksicht auf die Variationen der Arbeitsmenge zwischen 5,17 und 6,56 %. Er hat dazu sogar eine Formel entwickelt, mit der ich Sie aber nicht behelligen will.
Das Parkinson‘sche Gesetz lautet danach:
Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht - und nicht in dem Maß, wie komplex sie tatsächlich ist. (Work expands so as to fill the time available for its completion.)
Und: In Sitzungen werden die Themen am ausführlichsten diskutiert, von denen die meisten Teilnehmer Ahnung haben – und nicht die Themen, die am wichtigsten sind. (The matters most debated in a deliberative body tend to be the minor ones where everybody understands the issues.)
Diese Gesetze werden ergänzt durch das von Laurence J. Peter entdeckte und nach ihm benannte Prinzip: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zur Stufe seiner Inkompetenz aufzusteigen“ (“In a hierarchy every employee tends to rise to his level of incompetence“). Bitte beachten Sie, dass Peter „neigt” gesagt hat, es muss also nicht immer so sein, aber wohl ziemlich häufig.
Die Ineffzientesten werden dahin versetzt, wo sie am wenigsten schaden können
Wenn dann noch das Dilbert-Prinzip von Scott Adams dazu kommt, ist alles beisammen, was eine gute Bürokratie ausmacht. Nach dem Dilbert-Prinzip werden die ineffizientesten Mitarbeiter unverzüglich ins Management versetzt, wo sie den geringsten Schaden anrichten können. Dadurch verfügen solche Manager weder über die notwendigen sozialen Eigenschaften noch über die fachlichen Kenntnisse bezüglich des von ihnen gemanagten Bereichs.
Wir sehen also, jedwede Bürokratie wird von vier Gesetzen bzw. Prinzipien beeinflusst, die den Charakter von Naturgesetzen haben: Parkinson’s Law, Murphy’s Law, The Peter Principle, The Dilbert Principle. Erst derjenige, dem es gelingt, diese vier Kräfte auszuschalten oder, wie man auch sagen könnte, den Gordischen Knoten zu durchschlagen, wird bei der Eindämmung der Bürokratie erfolgreich sein. Bernhard Vogel ist es weder als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz noch als Landesvater von Thüringen gelungen. Oder haben Sie je davon gehört? Und ein Alexander ist weit und breit nicht in Sicht.
Ende der Serie
Der Verfasser hat 37 Jahre in der öffentlichen Verwaltung in Baden-Württemberg gearbeitet, davon 35 Jahre im Innenministerium in Stuttgart. In den Jahren 1973/74 war er Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Innere Verwaltungsreform“, die frischen Wind in die Amtsstuben bringen sollte.