Claudio Casula / 08.06.2022 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 73 / Seite ausdrucken

Bühne frei, die Sonnenkanzlerin kommt!

Im Berliner Ensemble hält Angela Merkel Hof, antwortet gütig auf Fragen eines Journalisten und zieht Bilanz. Spoiler: Sie hat fast alles super gemacht!

Mal im Ernst: Wer zahlt 20 Euro, um Angela Merkel reden zu hören? Vielleicht jemand, der auch 150 Euro dafür zahlen würde, um sich auspeitschen zu lassen. Im Berliner Ensemble hatte sich ein hartgesottenes Publikum eingefunden, um mitzuerleben, wie sich eine kulturelle Einrichtung, die sich sonst viel auf ihre kritische Haltung zugutehält, an die Macht heranwanzt, schließlich leben wir in Zeiten, in denen die Sonne der politischen Kultur so tief steht, dass auch Zwerge lange Schatten werfen. Und so ist ein Theater eigentlich der ideale Ort für eine Politikerdarstellerin und einen Journalistendarsteller, um den Zustand unseres Gemeinwesens zu illustrieren.

Was also ist mein Land?“, so heißt ein Büchlein mit drei Reden der „Abrissbirne aus der Uckermark“, das ironischerweise im Aufbau Verlag erschienen ist, und so hieß auch das Stück, das im Berliner Ensemble gegeben wurde, mit Alexander Osang in der Rolle des Stichwortgebers. Nachdem sie Osang mit der Faust begrüßt hatte, was vom Publikum – warum auch immer – mit Heiterkeit quittiert wurde, thronte die Altkanzlerin in blauem Blazer in einem Sessel vor rotem Bühnenhintergrund und schwurbelte sich durch den Abend.

So richtig viel hatte Merkel offenbar mit ihrer eigenen Politik über 16 Jahre nicht zu tun, erfahren die Zuschauer, die es schaffen, über die gesamten anderthalb Stunden wachzubleiben, was, nebenbei, ein geradezu heroisches Unterfangen darstellte. „Was also ist mein Land?“ lautete die Frage, aber anstatt sie kurz und knapp zu beantworten („Verrückt geworden. Bis aufs Blut gespalten. Ziemlich kaputt.“), bleibt Merkel wie gewohnt im Ungefähren. Warum ist die Bundeswehr nicht verteidigungsfähig? Mein Gott, was für eine Frage. „Da müssen sich alle ein bisschen an die Nase fassen und da fasse ich mir mit an die Nase."

90 Minuten können sehr lang sein

Und sie fasst sich nicht nur ein bisschen mit an die Nase. Hin und wieder frage sie sich auch selbst: „Was hat man versäumt? Hätte man das verhindern können?“ Tja, was wäre gewesen, wenn „man“ selbst im Kanzleramt gesessen hätte? Wäre man mit Putin anders umgegangen? Ach, herrje, das war ja sie selbst gewesen! Aber es muss schließlich alles im Kontext des Zeitgeschehens betrachtet werden, nicht wahr? Gut, sie hatte die Aufnahme der Ukraine in die NATO hintertrieben, aber sie sei sich „sehr sicher“ gewesen, dass Putin das nicht „wird geschehen lassen“. Der russische Präsident hätte damals schon einen „Riesenschaden“ in der Ukraine anrichten können. „Ich habe versucht, in die Richtung zu arbeiten, dass Unheil verhindert wird und Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, falsch gewesen. Ich sehe nicht, dass ich jetzt sagen müsste, das war falsch, und werde mich deshalb auch nicht entschuldigen." Das wäre ja noch schöner! Und überhaupt, selbst wenn „man“ hier und da vielleicht eine klitzekleine Kleinigkeit versäumt habe: „Ich muss mir nicht vorwerfen, es nicht genug versucht zu haben.“ 

Und was ist mit der Energiepolitik, der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl, in die auch Merkel Deutschland geführt hat? „Ich habe nicht daran geglaubt, dass Putin durch Handel gewandelt wird", ließ sie das Publikum wissen. Sie habe jedoch gewisse Handelsbeziehungen zwischen Nachbarn für sinnvoll gehalten. Über Putin sagte sie: „Er hält die Demokratie für falsch, ich für richtig“, aber das Publikum lachte nicht auf. Auch nicht, als Merkel beteuerte: „Ich habe immer im Interesse meines Landes agiert.“ Dafür aber auf ihren Satz „Wenn ich dann lese 'Merkel macht nur noch Wohlfühltermine' - dann kann ich nur sagen: Ja."

Allein: Was dem einen sein Wohlfühltermin, ist dem anderen seine Qual. 90 Minuten können sehr lang sein. Zumal Osang, für den Merkel „sowieso immer“ Kanzlerin bleiben wird und der ihr „Wir schaffen das“ für einen tollen Satz hält, jeder Originalität entbehrte. So hätte er auf Merkels Feststellung, „Putin redet besser Deutsch als ich Russisch“, eigentlich mal einwerfen können, dass Putin auch besser Deutsch redet als sie. Gelegenheit vertan. Aber es lag wohl ohnehin nicht im Interesse des SPIEGEL-Mannes, seine Gesprächspartnerin aus ihrer buddhahaften Pose aufzuschrecken. Die bedankte sich für die gewohnte Servilität mit der Information, sie verfolge immer noch viele Nachrichten, „zum Beispiel den SPIEGEL, um was Schönes für Sie zu sagen“. 

Piep, piep, piep, in Deutschland ha‘m sich alle lieb. Jedenfalls die Medien und die Politik. Außer notorisch regierungsskeptischen Geistern wie dem Kritiker, der, das muss an dieser Stelle gesagt werden, den Abend im Berliner Ensemble nur unter Protest (am Anfang) und schwer traumatisiert (am Ende) verfolgte – auf Weisung der Chefredaktion. Man wird über eine Erschwerniszulage sprechen müssen. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Sonja Bauch / 08.06.2022

Der überdurchschnittliche Zuspruch für Frau Merkel kam von der Gruppe der über 60-jährigen und davon von vielen Frauen. Frauen, die sich zwischen den Wahlperioden überhaupt nicht für Politik interessierten aber in der Wahlkabine sich an die Frau erinnerten, die ihnen uneigennützig die Mütterrente zugeschanzt hatte.

Frances Johnson / 08.06.2022

Ich dachte zunächst, der auf dem Bild wäre Joel Grey. In jenem Stück gab es auch nichts zu lachen.

Gerd Maar / 08.06.2022

Wer 16 Jahre lang von den Medien derart hofiert wurde und noch immer keine kritischen Fragen gestellt bekommt, hält sich natürlich für unfehlbar. Die Affäre Merkel zeigt wie fragil Demokratie ist.

VSeitz / 08.06.2022

@Thomas Hechinger Danke für den Youtube - Tipp

Gerald Schwetlik / 08.06.2022

Herrlicher Beitrag! So aus dem Leben. Ich sehe sie da sitzen, ein schwurbelndes Nichts, das von Deutschland zur Sonnenkönigin aufgeblasen wurde und jetzt vollkommen unschuldig an dem Trümmerhaufen ist, den sie hinterlassen hat. Aber viele haben es immer noch nicht begriffen. Wir haben uns alles was kommt redlich verdient.

Christian Clampf / 08.06.2022

Man kann ja Frau Merkel alles Mögliche vorwerfen, aber nicht, dass sie irgendetwas davon heimlich gemacht hat. Alle ihre Fehlentscheidungen von der Griechenlandrettung über die Asylpolitik und die extrem dumme Energiepolitik waren öffentlich und transparent und wurden auch von der Presse und den Parteien bejubelt. Merkel war formal keine absolute Herrscherin. Wir hatten doch ein Parlament, so etwas wie eine Opposition und eine “unabhängige” Presse. Wir hatten und haben doch Organe wie den Verfassungsschutz oder auch das Bundesverfassungsgericht. Warum haben die nicht gearbeitet und tun das bis heute nicht. Außerdem wird doch alles was Merkel angerichtet hat heute genauso weitergeführt. Nur das wir uns nicht in die Abhängigkeit von Putin sondern in die der Scheichs begeben. Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal Merkel verteidigen würde aber sie jetzt zur Buhfrau zu machen ist einfach falsch. Hier hat unser Establishment auf der ganzen Linie versagt und versagt auch weiterhin.

Ilona Grimm / 08.06.2022

Hoch geschätzter Herr Casula, nun weiß ich, dass die Abrissbirne noch lebt und sich nicht geändert hat. Wie sieht sie denn aus? Gebotoxt und geliftet? Oder im Gesicht so verwüstet wie ihr Charakter? Muss ich Ihnen danken, dass Sie 90 Minuten in ihrer Gegenwart durchgelitten haben? Na ja, Sie haben sehr schön geschrieben – wie immer. Da haben sich die 20 Euro (für welchen wohltätigen Zweck denn?) gelohnt. Zu Alexander Osang sage ich lieber nichts.

Claudius Pappe / 08.06.2022

Die dicke böse alte Frau hat einen bonbonfarbenen Mao-Blazer getragen. Wer hat im TV darüber groß berichtet ? RTL , gehört ihrer Freundin Liz Mohn-genau hat was mit Bertelsmann zu tun.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Claudio Casula / 20.04.2024 / 06:15 / 42

Corona-Ticker (15): Die Geister lassen sich nicht verjagen

Wie sieht es aus mit der Aufarbeitung der Corona-Zeit? Die Politik wehrt sich, die Medien zieren sich und die Justiz macht weiter wie bisher.  Mit…/ mehr

Claudio Casula / 19.04.2024 / 12:55 / 127

Der Baerbock-Bibi-Kompetenzvergleich

Annalena Baerbock will Benjamin Netanyahu belehren. Was befähigt sie dazu? Wie Bild meldet, hat sich Außenministerin Annalena Baerbock beim Versuch, Israels Ministerpräsidenten mit der Warnung…/ mehr

Claudio Casula / 17.04.2024 / 06:15 / 135

Triumph des Willens

Ein KI-Video zeigt ein dystopisches Deutschland nach der Machtübernahme der „Blauen" und der erzwungenen Remigration aller Ausländer. Wer produziert so was?  Enkelin: „Oma, wie schlecht kann…/ mehr

Claudio Casula / 16.04.2024 / 13:57 / 8

Texte zur falschen Zeit

Die wachsende unabhängige Medienlandschaft ist um eine dissidente Plattform reicher: Die politische Halbjahreszeitschrift casa|blanca trägt den schönen Untertitel „Texte zur falschen Zeit“. Laut Editorial will man „auf…/ mehr

Claudio Casula / 15.04.2024 / 12:20 / 66

Die allerschärfsten Reaktionen auf den Iran-Angriff

Als der Iran Israel attackierte, war im deutschen Fernsehen kaum etwas dazu zu sehen. Auch die Politiker schwiegen. Aber nicht für immer, was noch schlimmer…/ mehr

Claudio Casula / 12.04.2024 / 16:00 / 49

Bundestag erlaubt den Griff nach dem neuen Geschlecht

Heute hat der Bundestag das umstrittene „Selbstbestimmungsgesetz“ verabschiedet. Die Aussprache war für den Beobachter ein ganz zähes Stück Fleisch. Dafür, dass so lange und erbittert um…/ mehr

Claudio Casula / 12.04.2024 / 06:00 / 101

Das große Ausbuyxen vor der Aufarbeitung

Die drohende Aufarbeitung der Corona-Politik bringt die Verantwortlichen in die Bredouille. Fast unisono barmen sie, Schuldzuweisungen unbedingt zu vermeiden. Wer den Sumpf trockenlegen will, heißt…/ mehr

Claudio Casula / 11.04.2024 / 06:15 / 60

EU entwickelt Zensur-Maschine

Am 1. April ist „Hatedemics“ angelaufen, ein neues, von der EU gefördertes Projekt, mit dem Künstliche Intelligenz bei der Unterdrückung kritischer Meinungen im digitalen Raum eingesetzt werden…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com