Helmut Ortner, Gastautor / 10.05.2023 / 14:00 / Foto: Bundesarchiv / 56 / Seite ausdrucken

Bücher in Flammen

10. Mai 1933: In deutschen Universitätsstädten karren Studenten und Nazi-Anhänger Tausende Bücher aus öffentlichen und privaten Bibliotheken zusammen und verbrennen sie auf öffentlichen Plätzen. Es ist der schauderhafte Höhepunkt der Kampagne „Wider den undeutschen Geist“. 

Die Szenerie ist sorgfältig geplant, nichts war dem Zufall überlassen worden: Fackeln waren nun verteilt worden, auf Kommando zieht die auf mehrere tausend Menschen angewachsene Menge los, vorneweg Professoren in Talaren, dahinter NS-Studierende, SA, SS, Burschenschaften und Hitlerjugend. Über das Oranienburger Tor, die Hannoversche, die Luisen- und die heutige Reinhardtstraße geht es zum Reichstag, dann durchs Brandenburger Tor zum Opernplatz, nun eskortiert von berittener Polizei. Auf dem Platz ist ein Holzstoß aufgeschichtet worden. Feuerwehr steht mit Benzinkanistern bereit. Nun karrt ein Lastwagen mehr als 20.000 Bücher herbei.

Dann fliegen die ersten Fackeln auf den rasch entflammten Scheiterhaufen. Um 23.30 Uhr, nach einer Rede des Berliner Studentenführers-Führers Herbert Gutjahr, treten Einzelne aus der Menge hervor und werfen die Werke besonders verhasster Autoren ins Feuer, begleitet von vorgegebenen „Feuersprüchen“: „Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque! … Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs. Für die Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit!“. Nun werden die Bücher stapelweise von den Lastwagen ins Feuer geworfen.

Auch Propagandaminister  Goebbels ist inzwischen erschienen. Er zeigt sich „vor dem Scheiterhaufen der von Studenten verbrannten Schmutz- und Schundbücher“ bei seiner Rede „in bester Form“, wie er später in seinem Tagebuch notiert. Mit seinem Auftritt gibt er dem Autodafé einen fast staatlichen Anstrich. Eine Blaskapelle der SA spielt „Volk ans Gewehr“, anschließend das „Horst-Wessel-Lied“ und die Menge stimmt lauthals ein. Erich Kästner, einer der geächteten Autoren, schreibt später: „Ich stand eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation und sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen." Werke von Heinrich Heine, Sigmund Freud, Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky.

Das Verbrennen und Verbannen geschieht reibungslos

Am Morgen danach sind Bücher nur noch ein rauchender Aschehaufen. Nicht nur in Berlin. Man versammelt sich am Wilhelmsplatz in Kiel, am Greifswalder Marktplatz, an der Bismarcksäule in Hannover und in weiteren Universitätsstädten. In München ziehen Studenten sowie mehrere tausend Schaulustige in einem Fackelzug durch die nächtlichen Straßen. Kurz vor Mitternacht versammeln sie sich am Königsplatz, darunter auch der bayerische Kultusminister Hans Schemm. In mehr als zwanzig deutschen Universitätsstädten versammeln sich Studenten, Professoren, Parteigenossen und Bürger zur öffentlichen Bücherverbrennung. In Hamburg findet die Verbrennung wegen starken Regens erst am 15. Mai am Kaiser-Friedrich-Ufer statt.

Sie sind der Höhepunkt der vierwöchigen Aktion „Wider den undeutschen Geist“, deren Ziel die Vernichtung des deutsch-jüdischen Geisteslebens. Schon Wochen zuvor werden an Universitäten hetzerische Plakate aufgehängt, die jüdische Mitbürger als „Widersacher“ des deutschen Volkes bezeichnen, zur Reinerhaltung der deutschen Sprache auffordern und deutsche Hochschulen als „Hort des deutschen Volkstums“ preisen. „Schwarze Listen“ werden erstellt und die zu verbrennenden Bücher in Bibliotheken und Buchhandlungen ausgesondert. Autoren, ebenso Professoren von Hochschulen, an deren Gesinnung gezweifelt werden denunziert, beispielsweise durch das Aufstellen von öffentlichen Schandpfählen mit ihren Namen und Werken gebrandmarkt. Hetze und Hatz greift um sich. Nirgendwo regt sich hörbarer Protest. Das Verbrennen und das Verbannen geschieht reibungslos und mit offener oder stiller Zustimmung. Auch nach Monate nach dem 10. Mai 1933 werden unter anderem durch die Hitlerjugend und Schulbehörden weitere Bücher verbrannt. Insgesamt sind 102 Bücherverbrennungen in über 90 deutschen Städten dokumentiert. Eine schauderhafte Bilanz. 

Der deutsche Buchhandel begrüßt die „nationale Erhebung“

Wie viele Schriftsteller von der Verbrennung ihrer Werke betroffen waren, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Doch der 10. Mai 1933 war nicht das Finale, es war der Beginn der Auslöschung unliebsamer, „undeutscher“ Schriftsteller. Dafür sorgte eine ständig erweiterte „Schwarze Liste“, die im Mai 1933 bereits 131 Namen der „Schönen Literatur“ und 141 Autoren der „Politik- und Staatswissenschaften“ umfasste. 1939 enthielt die „Liste  Nummer  1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ akribisch aufgeführt 4.175 Einzeltitel und 565 Verbote von Gesamtwerken. 

Da wollte auch der im „Börsenverein“ organisierte deutsche Buchhandel nicht mehr im Abseits stehen. Schon am 12. April hatten deren Vertreter  ein „Sofortprogramm des deutschen Buchhandels“ beschlossen, in dem es hieß: „Der deutsche Buchhandel begrüßt die nationale Erhebung. Er hat seine Bereitwilligkeit zur Mitarbeit an ihren Zielen alsbald zum Ausdruck gebracht“. Woran die Buchhändler so bereitwillig mitarbeiten wollten, verkündeten sie wenige Tage danach in ihrem Verbandsorgan Börsenblatt, das alle unerwünschten, „undeutschen“ Schriftsteller alphabetisch nannte: Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig – und weitere 131 Namen. Für alle waren die Folgen verheerend. Schreibverbote wurden verhängt, Vortragstätigkeiten und Lesungen untersagt. Viele Schriftsteller flüchteten ins Exil, darunter Anna Seghers und Else Lasker-Schüler. Einige wie Stefan Zweig und Walter Benjamin nahmen sich dort das Leben. Andere wurden verhaftet, gefoltert und im KZ ermordet, so Carl von Ossietzky.

Ihre Bücher entdecken – und wiederentdecken

Am 10. Mai 1933, dem Tag, an dem in Deutschland Bücher in Flammen aufgingen, verloren viele Schriftsteller nicht nur ihre berufliche Existenz, ihr Lese-Publikum ­– sie verloren auch ihre Heimat. Einige von ihnen sogar ihr Leben. 

Es war eine späte symbolhafte Wiedergutmachung, als 1979 der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zusammen mit der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland und dem Verband deutscher Schriftsteller beschloss, diesen 10. Mai zur Erinnerung an die Bücherverbrennungen als „Tag des Buches“ zu begehen.  Vielleicht sollten wir uns 90 Jahre danach daran erinnern, was Autoren angetan wurde – und zu welcher barbarischen Komplizenschaft ein „Volk der Dichter und Denker“ fähig und bereit war. Alle die Verfemten und ihre Bücher neu zu entdecken, könnte eine bescheidene, hoffnungsvolle Form der Wiedergutmachung sein. 

 

Helmut Ortner hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt.

 

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 10.05.2023

Heute auch im WDR das Thema - und keiner begreift, daß die von den heute so nett Aufgeregten propagierte und getätigte “Cancel Culture” nichts anderes ist als besagte Bücherverbrennung, selbige war eher ehrlicher als die heute unter dem Moralhammer der Selbstgerechten zerschlagene Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Und das wird auch kein “Bürgerrat” richten.

S. Marek / 10.05.2023

Alls Ergänzung zur “meinem” Kommentar hier:  09. Mai 2023 Höhepunkt der EU geistiger Verbrennung.  Europatag-Feier in Katar und Saudi-Arabien, aber nicht in Israel.  Die Absage wegen der Anwesenheit von Minister Itamar Ben Gvir ist nur die neueste Form der Heuchelei. Europa feiert mit Diktatoren, boykottiert aber das demokratische Israel.  Von Giulio Meotti 10. Mai 2023   *  Jahr für Jahr schürt die Palästinensische Autonomiebehörde Haß und Gewalt gegen Israel. Sie tut dies durch die Schulbücher, die sie in ihren Schulen verwendet und die Antisemitismus und eine virulente Anti-Israel-Stimmung verströmen. Und sie tut dies auch durch ihr “Pay-For-Slay”-Programm, das inhaftierten Terroristen und den Familien von Terroristen, die bei ihren Anschlägen ums Leben kamen, großzügige Stipendien gewährt. Auf diese Weise belohnt die Palästinensische Autonomiebehörde frühere Terroristen und schafft gleichzeitig Anreize für künftige Terroristen.  Und Jahr für Jahr beschwert sich Israel bei der EU über diesen Zustand und über die fortgesetzte finanzielle Unterstützung der PA durch die EU. Die EU versichert Israel erneut, daß sie dieses Mal wirklich Druck auf die PA ausüben wird, damit diese ihr Verhalten ändert. Doch die Schulbücher bleiben unverändert, und das “Pay-For-Slay”-Programm wird fortgesetzt. Mehr zu dieser Farce finden Sie hier: “European Union Official Assures Israel No Funding for Palestinian Incitement and Terror”, von Dion J. Pierre, Algemeiner, 2. Mai 2023:

Heinrich Wägner / 10.05.2023

Sie liegen heute noch vor mir . Lieder und Gedichte. Heinrich Heine. Im Keller versteckt von Großvater der ins KZ nach Stutthof bei Danzig verschleppt wurde. Ich fühle mich wieder zurückversetzt werter @ Holger Milde zur Räuberbande von einst. Danke für ihre Zeilen die ich nicht hätte besser schreiben können. Die Mehrheit macht mit. Aber dieses Mal wird Keiner kommen und es wird kein Nürnberg geben. Ja, da war doch mal was@ Matthias Ditsche, es ist wieder da im neuen Gewand ,vorbereitet wohl vor Jahrzehnten. Die Deutschen retten wieder die Welt und sind diesmal die Guten. Alle machen mit im nationalen Grünen Sozialismus , umweltbewusst . Lutz Liebezeit ich denke genau wie sie. Sie sind noch da in der Form der Enkel und Urenkel und den Gedankengut von einst . Die Farbe….eine Umlackirung ,die Farbe zeigt nicht die Ideologie.

Hans-Peter Dollhopf / 10.05.2023

Herr Ortner, etliche Qumranrollen waren von Beduinen als Brennmaterial genutzt worden. Und nachdem die Benin-Bronzen inzwischen entsorgt sind, soll es an den Pergamonaltar gehen. Das Bismarck-Zimmer im Außenamt ist auch schon weg. Vandalen?

Dirk Kern / 10.05.2023

Das Gendern ist heute das Bekenntnis der Unterwerfung und zum neuen, totalitären Staat. Wie damals schon das Heilhitlern.

Werner Arning / 10.05.2023

Würde es denn heute anders sein ….? Einzig - die „verbrannten“ Autoren würden vermutlich unter anderem Oberbegriff geächtet werden.

Sam Lowry / 10.05.2023

Ich wiederhole: “Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen STUDENTEN(!) in SA-Uniform, den Blüten der Nation…”. Es waren nicht die Alten und Schwachen, die die Hitlerzeit möglich machten!!! Es waren genau die, die heute auf den Straßen kleben, Autos und Menschen beschädigen und am lautesten im Bundestag schreien! ES SIND DIE GRÜNEN (=Braunen)!

Helmut Driesel / 10.05.2023

  Ein viel besseres Gedenken fände ich im Bücherverbrennen. Jeder geht am 10. Mai mit den Büchern, die er verachtenswert schlecht findet zum Feuer auf dem Markt und gibt sie mit einem guten Spruch den Flammen hin. Am nächsten Tage könnten die Zeitungen dann Artikel schreiben, welches die häufig genannten Autoren und Titel waren. Das wär eine ganz aufregende Sache, die das Volk etwas vom Ernst des Lebens ablenkt. Nicht immer dieses grabernste Gedenken und das blödsinnige Brimborium um den historischen Scherbenhaufen.

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