Volker Seitz / 18.04.2021 / 11:00 / Foto: Leandro Müller / 3 / Seite ausdrucken

Buchtipp von den Kapverden: „Der treue Verstorbene“

Germano Almeida ist der bekannteste Autor der Kapverdischen Inseln. In seinem im Oktober 2020 erschienenen Roman „Der treue Verstorbene“ wirft er einen satirischen Blick auf seine Heimat, auf eine postkoloniale Gesellschaft, eine der wenigen Demokratien in ganz Afrika. Die atlantische Inselgruppe, 450 Kilometer westlich vor der Küste Senegals gelegen, erlangte im Jahr 1975 ihre Unabhängigkeit. Damit fanden über 500 Jahre portugiesischer Herrschaft ein Ende. Auf neun Inseln wohnen rund 450.000 Menschen, doppelt so viele Kapverdier leben im Ausland.

Germano Almeida schreibt humorvoll, plastisch, mit Melancholie und feinsinniger Ironie über Konventionen und Gewohnheiten auf den Kapverdischen Inseln. Der Autor verfügt über eine bildkräftige Sprache. Das Buch ist ein großer Lese-Spaß und der Leser erfährt viel mehr über die Kapverden als aus Fachbüchern und Sachberichten.

Ausgangspunkt des Romans ist die Ermordung des berühmtesten Schriftstellers der Inseln. Der Verstorbene hatte in seinem Testament verfügt, dass er „nicht von Amtsträgern, die auf diese Weise ihre Verehrung für den Verstorbenen heucheln“ umgeben sein möchte. Dennoch wird der Tote im Palast des Volkes öffentlich aufgebahrt bis zum Staatsbegräbnis mit den „Großen des Landes“: mit Präsident, Premier, Bischof und anderer Prominenz.

Es soll eine „feierliche Totenmesse [bekommen] zelebriert vom Bischof von Mindelo persönlich, assistiert von zehn Priestern, eine Zeremonie, die es an Größe nicht fehlen lassen würde und auch durch das Fernsehen ins ganze Land und über die internationalen Kanäle auch in die Diaspora übertragen würde, um zu zeigen, dass man hier einen der größten Söhne des Landes zu ehren weiß und wie herrlich es sein kann, als Kapverdier geboren zu sein und am Ende das Recht auf ein solches Begräbnis zu haben, das dem berühmtesten Toten zur Ehre gereicht, alle Leute aufgereiht mit einer brennenden Kerze in der rechten Hand und einer roten Blume hinter dem linken Ohr, von der Tür des Palasts in der Innenstadt bis zum Friedhof am Grab des Verstorbenen“.

(...)

„Die anderen Priester gibt es gratis dazu“

„Ich würde nur zu gern noch erfahren, wer die Idee mit der Messe hatte für einen Mann, der alles war, nur nicht religiös, sogar stolz auf seinen Atheismus war ... Brito lächelte hilflos: Das gehört wohl zum Gesamtpaket eines Staatsbegräbnisses, sagte er. Du weißt ja, wir sind ein säkulärer Staat, aber die Religion funkt überall hinein, je nachdem, wer gerade an der Regierung ist. Eigentlich will es sich keine Partei mit der Kirche verscherzen, und nicht nur das: Viele Regierende waren selbst auf der Priesterschule ...“.

(...)

„Er wird rotieren in seinem Sarg, zischte Mariza verächtlich, wenn er das Zeug hört, das er zu Lebzeiten für entsetzlich hielt. Es würde mich nicht wundern, wenn gleich der Deckel der Kiste da aufbrechen würde und er aufrecht stehend und feierlich laut gegen den Missbrauch seiner sterbenden Hülle protestieren würde.“

(...)

„Er war doch überhaupt nicht religiös, er hat die Kirche gehasst, sagte sie schließlich, warum habt ihr das zugelassen, dass sie hier diesen Zirkus veranstalten. Es gehört zum Paket, sagte Brito mit einem feinen Lächeln, zu einem Staatsbegräbnis gehört eine Messe mit Bischof. Die anderen Priester gibt es gratis dazu, weil der Verstorbene so wichtig war. Aber er war doch nicht einmal katholisch, fragte Mathilde zurück. Wieder lächelte Brito. Glaubst du, die Politiker, die sonntags und feiertags in die Kirche rennen, sind katholisch? Es geht um das Protokoll, musst du wissen, die meisten Leute sind eben katholisch.“

(...)

„Tausend Menschen, sagte er froh, nicht einmal bei Cesária Évora waren es so viele Leute. So stirbt man doch gern.“


Wer sich für afrikanische Literatur interessiert (siehe auch das Afrika-ABC von Volker Seitz, Anm. d. Red.), dem empfehle ich, diesen Autor zu entdecken und sich auf die elegante Sprache zu freuen. Er gehört zu den bekanntesten Schriftstellern des portugiesisch-sprachigen Raumes. Almeida (75) hat mehr als ein Dutzend Bücher veröffentlicht. Leider wurden bislang erst zwei davon ins Deutsche übersetzt.

Vielleicht war es seine Absicht, mit dieser Satire ein so extravagantes Staatsbegräbnis für sich selbst zu verhindern.


Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Neuauflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: Leandro Müller via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Stanley Milgram / 18.04.2021

Darf ich an dieser Stelle “Andorra” von Max Frisch empfehlen? Aktueller denn je. Danke.

Wolfgang Kolb / 18.04.2021

Lieber Herr Seitz! Vielen Dank für die vielen Buchtips und Autoren, die uns Afrika aus ihrer Sicht näherbringen!

Hans-Peter Dollhopf / 18.04.2021

“. . . eine der wenigen Demokratien in ganz Afrika”, sagen Sie? “Etwas besseres als den Tod findest du überall.” Danke für den Tipp, Herr Seitz.

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