Hannes Stein / 31.05.2007 / 02:01 / 0 / Seite ausdrucken

Brief aus Washington, Fortsetzung

Die Vereinigten Staaten von Amerika haben es sich bekanntlich (Einmarsch in den Irak, einseitige Parteinahme fuer Israel usw.) auf ewige Zeiten mit den Muslimen bzw. Arabern verschissen. Nur die Araber, die sich um mich herum beim Desk 2 fuer Einwanderungs- und Visa-Angelegenheiten am Flughafen in Washington, DC, tummeln—die scheinen das nicht so richtig mitgekriegt zu haben. Sie stellen naemlich unter all den Menschen, die ein Langzeitvisum bzw. ueberhaupt einwandern wollen, die groesste Gruppe. Wo ich auch hinschaue: verschleierte Frauen (bei der einen mir gegenueber sehe ich aber trotzdem, dass sie richtig huebsch ist!), Maenner mit Baerten, und ich hoere nur Achlan und Sachlan und Schwaje, Schwaje.
Gut, dieser Eindruck ist jetzt statistisch nicht ganz relevant, schliesslich ist gerade eine Maschine aus Amman und noch eine aus Ryadh gelandet. Und es sind nicht NUR Araber in der Schlange und auf den Wartebaenken, ich sehe und hoere auch viele Hispanics und Afrikaner.
Jedenfalls komme ich mir richtig exotisch vor. Beinahe so exotisch wie ich ist nur der wuerdige aeltere Herr mit dem Sikh-Turban; ob der auch, wie ich, eine Green Card in der Lotterie gewonnen hat? Ich werfe ihm, weil ich mich ein bisschen verloren fuehle, ein aufmunterndes Laecheln zu, in der Hoffnung, dass er es auffaengt und zurueckwirft—aber dafuer ist der Herr mit dem Turban dann doch zu wuerdevoll.
Die USA sind, wie jeder weiss, kein sozialistisches Land, aber die Buerokratie, von der das Land umguertet wird, ist geradezu hinreissend byzantinisch (sobald man dann mal drin ist, merkt man den Staat dann so gut wie gar nicht mehr). Formulare, noch mehr Formulare, unverstaendliche Anweisungen, duerfen wir noch mal Ihren Pass haben?
Ich moechte aber anmerken: Die vollschlanke schwarze Dame, die sich meines Falles annimmt, hat ein Zwinkern im Auge. Und fuer die arabischen Immigranten gibt es eine Beamtin, die Arabisch spricht. Und einer der Beamten—ebenfalls arabischstaemmig—begruesst die Verwandten des Scheichs mit dem Tuch auf dem Kopf richtig herzlich (gehoert er zur selben Chamullah?). Und es dauert insgesamt nur zweieinhalb Stunden, dann bin ich fertig, frei, durch, ziehe meinen roten Koffer zum Taxi, durch die feuchte Hitze der amerikanischen Hauptstadt, die mich fatal an Tel Aviv erinnert.
You can call me a legal immigrant now. Aber fangt nicht gleich vor Freude an zu huepfen, liebe Feinde! Erstmal bin ich nur auf Urlaub hier in der Freien Welt. Und spaeter sehen wir weiter. 

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