Von Pieter Cleppe.
Kurz gesagt, die erste Abwendung Großbritanniens vom europäischen Projekt war auf die deutsche Konzession an Frankreich zurückzuführen, seine D-Mark aufzugeben, verbunden mit dem Anreiz für die europäischen Regierungen, eine gemeinsame Währung zu schaffen, die zur Finanzierung ihrer Wohlfahrtsstaaten beitragen sollte, mit einer größeren Kapazität für unhaltbare Schuldenbildung.
Ein letzter Versuch, Großbritannien in den Euro einzubringen, wurde verhindert, auch dank der Bemühungen von „Business for Sterling“, einer einflussreichen Gruppe britischer Geschäftsleute unter der Leitung von Rodney Leach, dem verstorbenen Vorsitzenden von Open Europe. Als Geschäftsmann war er eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der City of London. Mit seiner außergewöhnlichen Erfahrung im Finanzbereich verstand er die tiefgreifenden Auswirkungen der Aufgabe der eigenen Währung durch Großbritannien. Es gelang der Gruppe, die Confederation of British Industry (CBI) davon zu überzeugen, ihre Unterstützung für den Euro aufzugeben und stattdessen eine neutrale Haltung einzunehmen. Es war ein großer Sieg bei der Verhinderung des britischen Beitritts zum Euro.
Ein solcher Beitritt hätte den Brexit viel komplizierter, aber auch enorm viel schmerzhafter gemacht, da es dann heute um die Auflösung einer Währungsunion gehen würde, was in geordneter Weise schwer zu erreichen ist.
Die britische Unzufriedenheit mit der EU-Mitgliedschaft wäre viel schwieriger zu kanalisieren gewesen. Nur wenige in der EU erkennen den großen Dienst, den Großbritannien an der EU geleistet hat, indem es sich weigerte, dem Euro beizutreten.
Nichtsdestotrotz gab es keinen Stopp des EU-Projekts.
Die folgenden EU-Verträge, die in Amsterdam, Nizza und Lissabon unterzeichnet wurden, sahen immer größere Macht- und Geldtransfers auf die EU-Ebene vor, entweder in Form der Abschaffung von Vetos oder der Entwicklung neuer supranationaler Bürokratien wie beispielsweise eines „EU-Außenministeriums“ oder einer „EU-Ratspräsidentschaft“.
Es fanden Volksabstimmungen statt über den Vertrag von Nizza, 2001 von den Iren abgelehnt, die „Europäische Verfassung“, 2005 von den Franzosen und Niederländern abgelehnt, und ihre überarbeitete Fassung, den Vertrag von Lissabon, 2008 von den Iren, die aufgefordert wurden, ein zweites Mal abzustimmen, erneut abgelehnt.
Es muss gesagt werden, dass alle diese Verträge auch von aufeinanderfolgenden britischen (Labour-)Regierungen vereinbart wurden. Tony Blair hatte zunächst ein Referendum über die „Europäische Verfassung“ versprochen, aber als dieses Projekt an den französischen und niederländischen Wählern zerschellt war, stellte sein Nachfolger Gordon Brown den Vertrag von Lissabon lieber nicht zur Volksabstimmung, auch wenn er sich einen Vorwand ausdachte, um die Unterzeichnungszeremonie im Dezember 2007 zu verpassen.
Als konservativer Oppositionsführer bat David Cameron den tschechischen Präsidenten Klaus, den letzten Führer, der den Lissabon-Vertrag 2009 noch unterzeichnen musste, lieber abzuwarten und nicht zu unterschreiben. Aber als Cameron im Mai 2010 als britischer Premierminister sein Amt antrat, hatte Klaus dem Druck bereits nachgegeben.
Die Finanzkrise, die Eurokrise und das Chaos der Migrationskrise stärkten die euroskeptische Stimmung nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern in ganz Europa weiter, mit Referenden, deren Ausgang sich gegen das von der EU bevorzugte Ergebnis richtete in Dänemark, Griechenland, den Niederlanden und Ungarn. Die britischen Euroskeptiker forderten ebenfalls heftig Referenden ein zu allem, was mit der EU zu tun hatte, so dass Cameron im Januar 2013 ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft anbot, um den Aufstieg der UKIP aufzuhalten. Der Rest ist Geschichte.
Wer Cameron kritisiert, weil er eine so wichtige Entscheidung einem Referendum unterzog, sollte folgendes verstehen: Es ist völlig in Ordnung, gegen die direkte Demokratie zu sein – Thatcher war auch dagegen –, aber auch ohne Referendum wäre der Brexit möglicherweise irgendwann als offizielle konservative Politik im Wahlprogramm aufgetaucht. Viele in der britischen Gesellschaft hatten einfach genug von der immer stärkeren Konzentration von Macht und Geld in Brüssel. Und Cameron hörte den Wählern einfach zu, wie es jeder Demokrat tun sollte. In ähnlicher Weise war es ihm ja bereits gelungen, Führer der Konservativen zu werden, indem er nämlich versprach, die Konservativen aus der Europäischen Volkspartei herauszuholen, wo Angela Merkel sich allzu begeistert vom EU-Föderalismus zeigte.
Cameron hätte jedoch bei seinen Versuchen, die EU zu reformieren, ehrgeiziger sein sollen. Der ehemalige Direktor von Open Europe, Mats Persson, schrieb über seine Erfahrung als Berater von Cameron bei der gescheiterten Neuverhandlung der EU-Mitgliedschaft im Vorfeld des Referendums 2016: „Wir haben unterboten. (…) Camerons brillante Bloomberg-Rede von 2013 – die eine umfassende EU-Reform vorsah (…) – wurde schrittweise auf ein weniger ehrgeiziges Eröffnungsangebot bei den Neuverhandlungen reduziert.“ Selbst einige andere europäische Führer hatten da mehr Ambition vorgeschlagen. Ein Diplomat formulierte es so: „In Europa bitten wir um 10 Dinge, um 6 zu bekommen, und Sie fragen nach 4, um 4 zu bekommen. Warum?“
Dann sind auch die anderen europäischen Führer anzuklagen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jede Vertragsänderung schon frühzeitig ausgeschlossen, nachdem Cameron seine Absicht angekündigt hatte, die britischen Beziehungen neu zu verhandeln. Dies machte große Reformen unmöglich. Sie überließ die Initiative auch weitgehend der Europäischen Kommission. Auch andere Länder, die ein großes Interesse am Handel mit Großbritannien haben, wie Belgien und die Niederlande, haben sich nicht bemüht, Cameron zu helfen. Die vielleicht größten Anstrengungen haben die mittel- und osteuropäischen Länder unternommen, indem sie bescheidenen Zugangsbeschränkungen zum Wohlfahrtsstaat bei EU-Migranten zustimmten.
Wir dürfen auch nicht vergessen, wie Großbritannien im Juni 2014 zusammen mit Ungarn bei der Entscheidung, Jean-Claude Juncker zum Präsidenten der EU-Kommission zu ernennen, überstimmt wurde. Juncker, ein begeisterter Föderalist, versprach dann, dass seine Kommission „politisch“ sein würde, was direkt gegen die Wünsche des Vereinigten Königreichs gerichtet war, das die Kommission mehr als Verwaltungsbehörde zur Öffnung des Handels sehen wollte. Juncker startete eine Initiative zur „besseren Rechtsetzung“, aber das brachte nicht viel. Krokodilstränen wurden vergossen, nachdem die britische Öffentlichkeit für den Brexit gestimmt hatte, aber viele in Brüssel sollten sich eingestehen, dass sie selbst auch für die Scheidung mitverantwortlich sind.
Den ersten Teil dieses Beitrags finden Sie hier.
Pieter Cleppe leitet das Brüsseler Büro des Think Tanks Open Europe.