Pieter Cleppe, Gastautor / 25.03.2019 / 06:26 / Foto: Ohropax / 32 / Seite ausdrucken

Brexitkrise: Europa hat 20 Jahre nicht zugehört (1)

Von Pieter Cleppe.

1988 besuchte die britische Premierministerin Margaret Thatcher die westflämische Stadt Brügge, Heimstatt der weltweit ersten Börse, die einst entstand, um den Handel zwischen England und dem europäischen Festland zu erleichtern. Thatcher war dort, um eine Rede im College of Europe zu halten, einem Hochschulinstitut, das viele der führenden Beamten der Europäischen Union ausbildet. In ihrer Rede warnte sie: 

„Wir haben nicht in Großbritannien dem Staat seine Grenzen gesetzt, nur um ihn auf europäischer Ebene mit einem europäischen Superstaat, der eine neue Dominanz von Brüssel her ausübt, wieder ausufern zu lassen.“

Sie lobte den „Vertrag von Rom“, der „als eine Charta für wirtschaftliche Freiheit“ gemeint gewesen sei, fügte jedoch hinzu: „aber so wurde er nicht gelesen und noch weniger angewendet“, und erklärte weiter, „die Lehre aus der Wirtschaftsgeschichte Europas in den 70er und 80er Jahren besteht darin, dass zentrale Planung und detaillierte Kontrolle nicht funktionieren, wohl aber persönliches Unternehmertum und Entschlusskraft“. Diese britische Warnung wurde ignoriert.

EU-Kommissionspräsident Jacques Delors fuhr damals einfach fort mit seinen Bemühungen um eine gemeinsame europäische Währung. Deren Einführung wird später der Anlass für den ersten großen Schritt des Vereinigten Königreichs hin zur Abwendung vom EU-Projekt sein und verdient deshalb eine genauere Betrachtung.

Die Einführung des Euro war in erster Linie einer langjährigen französischen Frustration über die Vorherrschaft der Deutschen Zentralbank, der Bundesbank, geschuldet, die eine Geldpolitik nach Zentralbankstandards betrieben hatte, die als ziemlich falkenhaft angesehen werden kann, und die ihren Ursprung in dem deutschen Hyperinflationstrauma Anfang des 20. Jahrhunderts hatte.

In den 1980er Jahren waren Frankreich, Belgien und andere europäische Länder gezwungen, dem zu folgen, was die Bundesbank zur Lockerung oder Straffung der monetären Bedingungen beschlossen hatte. Das französische Establishment, zu dem auch der zukünftige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet gehörte, war einfach entsetzt, dass das Vorhandensein einer Hartwährung in Europa den Spielraum für die künstliche Ankurbelung der französischen Wirtschaft durch Abwertung der nationalen Währung einschränkte. Dank der D-Mark hatten Sparer und Anleger eine stabile Alternative zum französischen Franc, falls das französische Establishment zu weit gehen sollte.

Der Euro – ein strategischer Gedanke der Franzosen

Angesichts dessen entwickelten die Franzosen den strategischen Gedanken, eine gemeinsame europäische Währung zu schaffen, um die deutsche Währungssouveränität zu beseitigen. Dies sollte man sich immer vor Augen halten, wenn man die heutigen Beschwerden in Südeuropa hört, wie der Euro angeblich Deutschland besonders zugute gekommen sei. Meiner Meinung nach stimmt das nicht. Vielmehr hat der Euro zur Verarmung der deutschen Sparer geführt, zum Nutzen von Exporteuren, denen es an Innovationsanreizen mangelte, wie zum Beispiel der deutschen Automobilindustrie. 

Insofern ist es richtig, dass der Euro Deutschland politisch gestärkt hat, insofern die deutsche Wirtschaft das Fundament ist, auf dem die Glaubwürdigkeit der gemeinsamen Währung beruht. Wenn es um Rettungsaktionen geht, um die Probleme weiter vor sich herzuschieben, ist die Stimme der Deutschen Bundesbank entscheidend. Wenn eine expansive Geldpolitik für den gleichen Zweck benötigt wird, ist die stillschweigende Unterstützung der Bundeskanzlerin bei der Entwertung deutscher Ersparnisse erforderlich. Das französische Establishment hatte Recht mit seiner Annahme, dass die Einführung des Euro eine lockere Geldpolitik ermöglichen und dabei helfen würde, Reformen des Sozialstaates zu vermeiden, aber es war falsch anzunehmen, dass es Deutschland politisch schwächen würde. 

In seinem Bestreben nach der Einheitswährung bot sich Frankreich mit der deutschen Einigung eine Chance. Vor einigen Jahren grub der Spiegel geheime Papiere aus, die zeigten, dass Deutschland von Frankreich stark unter Druck gesetzt wurde, als Preis der Wiedervereinigung seine D-Mark gegen den Euro einzutauschen. Der französische Präsident Mitterrand wollte keine Wiedervereinigung ohne Fortschritte bei der europäischen Integration und der Akzeptanz des Euro als Gegenleistung, bestätigte der ehemalige Mitterand-Berater und spätere Außenminister Hubert Védrine. Auch Karl Otto Pöhl, der damals Bundesbankpräsident war, bestätigte diese Geschichte.

Ironischerweise war Margaret Thatcher selbst eine Gegnerin der deutschen Vereinigung, was als strategischer Fehler angesehen werden sollte, da es den Franzosen mehr Einfluss gab, um Deutschland zur Annahme des Euro zu zwingen. Eine stärkere deutsch-britische Verbindung hätte eine Kraft für das Gute sein können.

Es heißt, schon in den 1960er Jahren war der Wunsch, Deutschland weitere Zugeständnisse in der Landwirtschaft abzuringen, ein wichtiger Grund für Frankreich, den Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu verzögern. Die Franzosen hatten offenbar Angst, dass Deutschland sich mit den Freihandel-verliebten Briten verbinden könnte, um etwas aufzuhalten, was sich seither als ein episches Desaster gescheiterter zentraler Wirtschaftsplanung entwickelt hat: die moralisch und finanziell korrupte „Gemeinsame Agrarpolitik“ der EU.  

„Nicht ohne die Italiener, bitte“ 

Trotz der Tatsache, dass Großbritannien und andere Länder gezwungen waren, den Vorgänger des Euro, den „European Exchange Rate Mechanism (ERM)“, im Herbst 1992 zu verlassen, wurde die gemeinsame Währung geschaffen. Der im Februar 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht bildete die Rechtsgrundlage dafür. Während der Verhandlungen hatte sich das Vereinigte Königreich ein „Opt-out“ gesichert, das als erste große britische Abweichung vom EU-Projekt angesehen werden kann. 

Im selben Jahr lehnte die dänische Bevölkerung den Maastrichter Vertrag in einem Referendum ab, was zu einem dänischen Euro-Opt-out führte, und in Frankreich stimmten nur 51,1 Prozent der Bevölkerung dafür. Viele prominente Ökonomen hatten vor der Einführung der gemeinsamen Währung gewarnt, was von der EU-Kommission selbst noch kurz vor Beginn der Eurokrise Ende 2009 dokumentiert wurde, um diese Ökonomen zu verspotten. In den frühen 90er Jahren hörten Delors und seine Begleiter ihnen nicht zu. Das Projekt sollte um jeden Preis realisiert werden.

Die Entscheidung zur Einführung des Euro wurde schließlich auf dem Gipfel von Madrid am 16. Dezember 1995 getroffen, als es dem spanischen Premierminister Felipe Gonzalez gelang, die Forderung des französischen Präsidenten Jacques Chirac nach nationalen Referenden über den Euro abzuweisen. Nicht einmal die Zweifel, die vom französischen Präsidenten selbst kamen, konnten das Projekt noch verhindern. Kohl wurde davon überzeugt. Deutsche Beamte warnten ihn 1997, 1998 und 1999, dass Italien wegen seiner Weigerung, seine hohen Schulden abzubauen, und seiner buchhalterischen Tricks ein „besonderes Risiko“ für den Euro darstelle. 

Joachim Bitterlich, der ehemalige außenpolitische Berater von Kohl, schrieb im Januar 1998 in einem Memo, dass der Defizitabbau in Italien hauptsächlich auf einer zweifelhaften „Steuer für Europa“ und auf ungewöhnlich niedrigen Marktzinsen basiere. Im Jahr 2012 verriet Bitterlich, dass damals sowieso jeder wusste, dass Italien von Anfang an mit dabei sein würde, und zwar aus politischen Gründen, wie er die damalige Stimmung beschrieb: „Nicht ohne die Italiener, bitte.“ Das war das politische Motto.

Aber allein der Wunsch von Helmut Kohl, mit dem Projekt weiterzumachen, reichte nicht aus. Vielmehr sank nach der schicksalhaften Entscheidung im Dezember 1995, den Euro tatsächlich einzuführen, der Leitzins für 10-jährige Kredite in Italien wieder unter 12 Prozent. Die Märkte waren rational zu dem Schluss gekommen, dass das Land trotz seiner massiven Schuldenlast als Mitglied der Eurozone tragfähiger sein würde, und zwar trotz der so genannten „no bailout“-Zusicherung.

Dies war wahrlich das erste europäische Rettungspaket für Italien, das von 1996 an wegen der Entscheidung, die gemeinsame Währung zu schaffen, direkt wieder auf Standardwerte zurückging. BelgienPortugal und Spanien verzeichneten einen ähnlichen rapiden Rückgang ihrer Kreditkosten zwischen 1996 und 1999, als der Euro schließlich offiziell eingeführt wurde.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil: Wie Finanzkrise, Eurokrise und Migrationskrise die Absetzbewegungen stärkten

Pieter Cleppe leitet das Brüsseler Büro des Think Tanks Open Europe.

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Leserpost

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Jörg Plath / 25.03.2019

Wer immer Merkel als westliche Demokratin bezeichnet leidet unter verzerrter Realitätswahrnehmung. Es sind Politiker, wie sie, die die westlichen Demokratien sturmreif geschossen haben und den neuen Zentralismus/Sozialismus vorbereitet haben. Die Briten haben die Chance für sich den Irrsinn zu beenden. Bei uns werden Leute, wie Tichy, der der Ludwig-Erhardt-Stiftung vorsteht, als Populisten geschmäht, die Bundeshauptstadt macht schon mal auf Kommunismus. Wer beendet den deutschen Irrsinn?

Joachim Lucas / 25.03.2019

Der Euro als Preis der Wiedervereinigung Deutschlands war ja nur der Anfang. Inzwischen träumt man von einem föderalen Staat Europa, was immer das heißen soll. Ein Europa mit zig Sprachen, Kulturen, verschiedener Geschichte, unterschiedlichen Auffassungen von Wirtschafts und Geldpolitik. Ein Europa, in dem die einen noch mit Eselskarren kutschieren und Gurken produzieren, die anderen Hightech-Technologien entwickeln. Wie werden die Geldströme in einem solchen Europa aussehen? Wie werden die kulturellen Eigenheiten von einer nicht gewählten Zentralbürokratie eingeebnet? Dieses Europa lässt sich nur mit dauerndem Zwang und Unfreiheit zusammenhalten und wird letztlich scheitern. Und der Hass wird wieder Deutschland als Zahlmeister und Hegemon treffen.

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