Dirk Maxeiner / 28.06.2016 / 11:27 / Foto: Jorge Royan / 2 / Seite ausdrucken

Brexit und Medien: Die Flucht in die Kulissen

Gestern haben die Engländer auch noch im Fussball gegen Island verloren. Schadenfreude ist ein deutsches Wort und es macht seinem Namen gerade alle Ehre. Klar doch, dass die Sport-Niederlage als politische Metapher („Brexit II“ BILD) willkommen ist. Wobei das mit den Metaphern so eine Sache ist, sie können nämlich arg daneben liegen. Denn die Briten, also Bewohner kleiner, isolierter Inseln, haben gegen die Isländer verloren. Und das sind Bewohner noch kleinerer und isolierterer Inseln.  Und die Isländer haben letztes Jahr ihren Antrag auf Mitgliedschaft in der EU zurückgezogen, nachdem sie offenbar zu der Einsicht gekommen sind, dass sie alleine besser zurecht kommen. Sie wollten dem Verein also gar nicht erst beitreten, aus dem seit letzter Woche eine Mehrheit der Engländer austreten will.

Aber weil nicht sein darf, was nicht sein soll, wird der gemeine Nachrichten Konsument, der nicht auf dumme Ideen kommen soll, hierzulande mit allerlei Tartaren-Meldungen konfrontiert. Wenn die Auflagen und Einschaltquoten deutscher Medien so steigen würden, wie die Mythen-Produktion, dann ginge es der Branche blendend (das Verhältnis  scheint mir aber eher umgekehrt proportional zu sein). Hier nur ein paar eklatante Gerüchte, die geringfügig der Korrektur bedürfen:

  • Eine über sämtliche Kanäle gestreute Online-Petition nach der mehrere Millionen Briten ein neues Brexit-Referendum fordern, hat sich inzwischen als äußerst zweifelhaft herausgestellt. Nachdem die Faktenlage anfangs noch etwas unsicher war, steht inzwischen fest: Hacker und Internet-Maschinen haben offenbar massiv mitgestimmt. Nach übereinstimmenden Berichten aus mehreren Quellen ist es offenbar auch leicht  möglich die Überprüfung der IP-Adresse zu umgehen und so zu tun, als sei man britischer Staatsbürger.
  • Der Brexit ist kein Votum der älteren gegen die jüngeren, wie vielfach kolportiert. Nur etwa ein Drittel der 18 bis 24 Jährigen hat an dem Referendum überhaupt teilgenommen. Und davon haben zwei Drittel für einen Verbleib in der EU gestimmt. Grob gesagt: Jeder fünfte junge Brite zwischen 18 und 24, also 20 Prozent haben sich zur EU bekannt. 80 Prozent haben dies nicht getan (wenn man Brexit Befürworter und Wahlverweigerer zusammenzählt). Wie man daraus einen Klassenkampf alt gegen jung stilisieren kann, ist mir schleierhaft.
  • Ebenfalls gerne ausgebreitet wird das Gerücht, die EU-Gegner seien etwas deppert und hätten sich erst nach der Wahl richtig informiert. Das soll eine Grafik beweisen, die zeigt, wieviele Menschen nach dem Referendum entsprechende Fragen auf Google gestellt haben. Die FAZ zitiert heute dazu den britischen Politikwissenschaftler Remy Smith. Der sagt, die Anfragen hätten sich zwar vervielfacht, aber es hätten beispielsweise nur 1000 Menschen die Frage „Was ist die EU?“ gegoogelt: "Das ist kaum ein Zeichen dafür, dass die Wähler uninformiert waren“.
  • Aus jeder Ritze zwischen den Zeilen dringt derzeit die Botschaft, dass die Briten ihren Schritt bereits bedauern. Dagegen spricht eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Comres (Siehe ebenfalls FAZ): Nur 1 Prozent, derjenigen, die gegen die EU gestimmt haben, sind mit dem Ergebnis des Referendums unzufrieden. Stay tuned.

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Daniel Walkenbach / 28.06.2016

Der größte kursierende Mythos über den Brexit ist, dass die Mehrheit der Briten dafür gestimmt hätte. Allenfalls eine knappe Mehrheit der zur Wahl gegangenen, wahlberechtigten Briten: Stolze 17,4 Mio. Das sind gerade mal 37,4% der Wahlberechtigten und nur knappe 27% der Gesamtbevölkerung im Vereinigten Königreich. Bisschen wenig, für eine mutmaßlich so weit reichende Zukunftsentscheidung. Nun kann man sagen: Selbst Schuld, wenn man nicht wählen geht und Pech, wenn man nicht darf, so ist das eben in der Demokratie. Eine “Mehrheit der Briten” wird daraus trotzdem noch nicht. So Long

Markus Hofmann / 28.06.2016

Rauf und runter ist in den Medien zu hören, die Generation der älteren Briten hätten mit ihrer Entscheidung die Zukunft der Jugend “vermeintlich” verbaut. Was ist denn mit den älteren Portugiesen, Griechen, Italienern, Spaniern, die durch das Anketten an die europäische Union Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50% zu verantworten hat. Da kommt kein Mitgefühl auf.

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