Brexit war die Vorspeise, Trump ist der Hauptgang. Wie wird die Nachspeise in Europa aussehen? Schnauze voll scheint das Motto der Saison zu sein.
Ablehnung der etablierten Politik ist das Gebot der Stunde. Das Volk entfernt sich von den Regierenden, wo sich die Regierenden vom Volk entfernt haben. In Europa beflügelt das Parteien, die man populistisch nennt, und Parteien, die sich rechtsnational geben. Etablierte Politiker kämpfen gegen die Unbotmäßigen, indem sie ihre Wähler beschimpfen. Eine selbstmörderische Strategie. Publikumsbeschimpfung mag im Theater Erfolg haben, im wirklichen Leben bewirkt sie nur, dass das Publikum die Stätte der Beschimpfung verlässt.
Auch Hillary Clinton hat geschimpft. Sie hat Trump-Anhänger als abstoßend bezeichnet. Das haben ihr die Unterstützer Donald Trumps und viele Unentschiedene sehr übel genommen. Aber das ist nur einer der Gründe für eine der unwahrscheinlichsten Wahlniederlagen in der Geschichte Amerikas. Hillary Clinton, die bei allen Beobachtern, auch diesem hier, als die fast sichere Siegerin galt, hat das Kunststück fertig gebracht, gegen einen Kandidaten zu verlieren, der als Politiker von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, der sich als Busen- und „Pussy“-Grabscher einen Namen gemacht hat, und der einen Mauer gegen Mexiko bauen will, über die er massenhaft Mexikaner rausschmeißen will.
Ein Drittel der Amerikaner hielten den Business-Milliardär für nicht geeignet, als Präsident zu dienen, um ihn dann doch mit Macht ins Weiße Haus zu wählen. Der Ungeeignete war ihnen offenbar lieber als die ungeliebte, politisch erfahrene und zum Kunstprodukt geronnene Personifizierung des Washingtoner Establishments.
Trumps sicht- und hörbare politische Ahnungslosigkeit hat sich als Stärke erwiesen
Donald Trumps Schwäche, seine ständig sicht- und hörbare politische Ahnungslosigkeit hat sich als seine Stärke entpuppt. Noch nie hat ein Anti-Establishment-Kandidat tatsächlich so wenig mit dem politischen Establishment zu tun gehabt wie „the Donald“. Er ist so weit weg von der politischen Klasse, dass er auch das Rechts-Links-Schema auf geradezu naive, aber gerade deswegen auf glaubwürdige Weise sprengt. Er ist rechts und links in einem Atemzug und liegt damit goldrichtig, weil den Leuten das etablierte Links-Rechts-Schema schnuppe ist.
Trump ist rassistisch, also rechts, wenn er Mexikaner als Vergewaltiger verunglimpft und sie in Massen rausschmeißen will. Er ist antifeministisch, also rechts, wenn er verbal und faktisch den Frauen als arroganter Lustmolch begegnet. Aber er ist links, wenn er gegen die Globalisierung antritt und Freihandelsabkommen als unfair ablehnt. Er ist links, wenn er Straßen, Brücken und Schulen sanieren und so Jobs schaffen und dafür Schulden machen will. Er ist links, wenn er die Arbeiter Amerikas davor schützen will, weiter Opfer der Industrie-Abwanderung in Billiglohnländer zu werden. Er ist links, wenn er die Geldsäcke der Wall Street schärfer rannehmen will. Er ist rechts, wenn er die ohnehin niedrigen Steuern auch für Reiche senken will. Er ist rechts, wenn er Obamas allgemeine Krankenversicherung abschaffen will.
Wie das alles gehen soll? Keine Ahnung. Aber Trump hat eines geschafft: Er hat den „vergessenen“ Amerikanern, den Arbeitern und der absackenden Mittelschicht offenbar glaubhaft versprochen, die verlorene Industrie, die verlorenen Arbeitsplätze, die verlorene Sicherheit zurückzuholen. Damit Amerika wieder „great“ wird. Die Botschaft ist angekommen. Auch bei vielen Mexikanern, die er beleidigt hat, und die ihn trotzdem gewählt haben. Auch bei vielen Frauen, die er verunglimpft hat, und die sich lieber einen Arbeitsplatzbeschaffer als einen Frauenversteher wünschen.
Mexikaner hat er beleidigt, sie haben ihn trotzdem gewählt
„It's the economy, stupid!“ - mit dieser Botschaft hat seinerzeit Bill Clinton seinen Wahlkampf gewonnen. Und jetzt hat Donald Trump einen Clinton gemacht, aber eben den Bill, und hat die andere Clinton quasi mit den Mitteln ihres Mannes geschlagen. Die Wirtschafts-Botschaft des Wirtschaftsbosses hatte einen bärenstarken Verbündeten: den grenzenlosen Hass der „vergessenen“ Amerikaner auf das Washingtoner Establishment. Zusammen haben sie das Unerwartete, eigentlich Unmögliche bewirkt.
Ein absoluter Amateur wird am 20. Januar ins Weiße Haus einziehen. Seine Anhänger hoffen, dass er es genau deshalb besser machen wird als die verhassten Profis. In Europa reibt man sich die Augen und stellt sich viele bange Fragen. Eine der bangsten Fragen sollte sein: In welcher Form wird die Trump-Revolution der gefühlten Entrechteten und Missachteten nach Europa überschwappen? Die Brexit-Abstimmung hat gezeigt, dass auch diesseits des Atlantiks alte Sicherheiten ins Schwanken geraten.
Ja, Europas politische Systeme sind so anders, dass bei uns ein Trump-Schock unmöglich scheint. Aber Absetzbewegungen von den etablierten Parteien gibt es fast überall. Unser so genanntes Establishment muss höllisch aufpassen, dass ihm das Volk nicht genauso wegläuft wie der armen Hillary Clinton.