Rainer Bonhorst / 27.03.2019 / 12:00 / 18 / Seite ausdrucken

Brexit: That’s Entertainment

Für mich gehört die Politik schon seit langem zur Unterhaltungsindustrie. Die deutsche Politik schwankt zwar zwischen einschläfernden Monologen und herrlicher Gender-Komik. Aber immerhin: Auch Berlin hat seine Show-Biz-Momente. Und doch, und doch: Es sind die Briten, die uns zeigen, was wirklich mitreißendes Entertainment ist. Das Unterhaus und 10 Downing Street bieten seit Monaten the greatest show on earth. Großes Drama; Slapstick, dass Laurel und Hardy vor Neid platzen würden, wenn sie das noch hätten miterleben dürfen; dazu atemberaubende cliffhanger an kalendarischen Abgründen. Und dann noch etwas, was man die unendliche Geschichte nennen kann.

Wie schaffen die Briten das? Weil sie spinnen? Nicht nur: Es ist die insulare Mischung aus gelebter Demokratie, einer über Jahrhunderte genetisch entstandenen insularen Exzentrik und einem Menschen-Typus, der auf der Insel den Namen John Bull trägt. Die deutsche Vorstellung von britischer Lebensart war – bis zum Brexit-Drama – der feingliedrige Gentleman mit näselnder Stimme. Den gibt es auch, zur Zeit besonders erfolgreich dargestellt von Jacob Rees-Mogg, den eloquentesten Brexit-Ritter im Unterhaus. Aber John Bull, der die Zähne fletscht und nicht mehr locker lässt, wenn er einmal zugebissen hat, ist der bei uns oft übersehene englische Charakter. Den Kampf gegen Hitler hat John Bull geführt, während so mancher Gentleman den Weg des geringeren Widerstands suchte.

Was für ein aufregend lebendiges Wesen eine Demokratie sein kann, führt das britische Unterhaus zur Zeit fast täglich vor. Heiße Debatten, in der Form vornehm, in der Sache knallhart und respektlos: eine Arena voller wortgewandter Gladiatoren. (Ja, ja, und Gladiatorinnen.) Ach, wie war das doch vordem in Bonn so schön, als es auch im deutschen Parlament noch solche Schlachten gab. Vorbei, der Schlafwagen ist das Symbol unserer Großkoalition-Demokratie, die ja tief in die Reihen der Opposition hineinreicht. Wer saftiges parlamentarisches Leben beobachten will, muss nach London gehen oder sich per Youtube live ins Unterhaus schleichen.

Weiter diese Störenfriede in Brüssel?

Andererseits: Wie man eine uralte Demokratie in eine schier ausweglose Sackgasse manövrieren kann, zeigen die selbstverliebten Exzentriker und die starrköpfigen John Bulls des halbhohen Hauses. Im Oberhaus, das allerdings weniger zu sagen hat, geht es deutlich gesitteter, ja geradezu vernünftig zu. Kein Wunder: Dort sitzen die mit Titeln verzierten Gentlemen und Ladies. Ihr Unterhaltungswert ist zwar nicht ganz so schwach wie der unserer Berliner Parlamentarier, aber deutlich geringer als der im robusteren Unterhaus.

Inzwischen ist das Brexit-Chaos zur Herausforderung für die nervenstärksten Kontinentaleuropäer geworden. Nicht zuletzt, weil jetzt sogar wieder das Gespenst eines britischen Verbleibs in der Europäischen Union am Horizont aufgetaucht ist. Das wäre – trotz gegenteiliger Äußerungen – für manche EU-Politiker und EU-Bürokraten der Supergau. Weiter diese Störenfriede in Brüssel, mit ihren lästigen liberalen Wirtschaftsideen und ihren noch lästigeren demokratischeren Vorstellungen? Bitte nicht! 

Der Brexit ist doch irgendwie ein Segen. Seit der britischen Abschiedsvorstellung hat sich in Brüssel eine stramme Wagenburg-Mentalität gebildet. Wer spricht noch von Reformen? Die mangelnde Reformbereitschaft und das aufdringliche Verordnungswesen der EU hat wesentlich zum Abschied der Briten beigetragen. Und jetzt, wo sie gehen, steht europäische Solidarität an erster Stelle. Wenn das keine Win-Win-Situation ist! Reform-Forderungen haben den Ruch des Verrats an der guten Sache. Damit man in Treue fest zusammenbleibt, erträgt man sogar die Attacken des politischen Preisboxers Viktor Orban, der in seinem Ungarn eine „illiberale Demokratie“ errichtet.

Tja, solche Typen dürfen wir behalten. Da ist mir die politische Tradition Englands tausendmal lieber. Und nicht nur wegen ihres einmaligen Unterhaltungswerts. Mein Wunsch wäre: The show must go on. Mit John Bull und den näselnden Exzentrikern. Und einer in Jahrhunderten gewachsenen Demokratie.   

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herbert binder / 27.03.2019

“Gladiatoren”, lieber Herr Bonhorst, hätte völlig gereicht, d.h. eines Zusatzes nicht bedurft - auch wenn der (Klammerausdruck) natürlich ironisch augenzwinkernd angelegt ist, klar. Jeder hätte dieses “gladiole” Einzelstück sofort und auch richtig einzuordnen gewußt, nämlich “geschlechtsblind” (wie sich der Bundesgerichtshof in einem Urteil vor einiger Zeit einmal ausdrückte). Nicht eine Lady wäre Ihnen, sich diskriminiert fühlend, an den Hals gesprungen (was man im Einzelfall durchaus bedauern mag),  jedenfalls nicht die Emanzipierten und Selbstbewußten. Deshalb träume ich davon, daß das Gendern in den sogen. Alternativmedien äußerstenfalls nur noch als Zitat vorkommt. Träume selig, träume süß.

Hein Tiede / 27.03.2019

Rede und Widerrede in schnellem Wechsel, das gibt es nicht im Deutschen Bundestag. Nach der einzig-wirklichen Opposition darf man sich durch zumeist langweilig-zustimmende Beiträge von CDU/CSU/SPD/FDP/LINKE/GRÜNE-Abgeordnete hören, bevor es wieder interessant wird. Wer auf Listenplätzen kandidiert ist so erpicht auf Wiederwahl, dass er sich nahezu bedingungslos anpasst oder zumindest den Mund hält.

C Sporer / 27.03.2019

Bei den Debatten im britischen Unterhaus hört man das Wort “my constituents (Wähler) will not accept/ will reject/ will favour… etc” regelmäßig von den Abgeordneten. Das Wort “meine Wähler wollen…” habe ich noch von keinem Abgeordneten im deutschen Bundestag gehört. Da muss es einen fundamentalen Unterschied in der Einstellung was ihre Aufgabe ist, zwischen britischen und deutschen Abgeordneten geben.

K.Anton / 27.03.2019

Sie hätten die billige “Pointe” mit Herrn Orbán ruhig weglassen können. Ihre Boschaft wäre sogar besser durchgekommen. So haben Sie nur gezeigt, dass Sie ihre Meinung über ihm vor allem auf Grund von billigen ( deutschen?) MSM Medienberichten gebildet haben. Ein Ruhmesblatt ist das nicht.Vielleicht sollten Sie seine Rede auf dem Konferenz über Migration in Budapest lesen. In Cicero auf Deutsch zugänglich.

Claus Bockenheimer / 27.03.2019

Nun ja, wenn ich ehrlich bin: I c h kann auf eine weitere Mitgliedschaft der Briten nach ihrer 40jährigen Mitgliedschaft im Verein EU verzichten. Sonderregelungen, cherrypicking bis zum St. Nimmerleinstag ? Und vielleicht sind ja in einigen Jahren auch die Schotten in der EU und nur noch draußen sind dann d i e Endländer und Waliser und Nordiren. Und England ist dann ein großer Flugzeugträger für die USA mit einem eigenen kleinen Flugzeugträger; politisch und wirtschaftlich aber unter ferner liefen. Oder ? Aber es ist natürlich deren Entscheidung, mir tun nur die vielen leid, die in der EU bleiben wollten.

Marc Hofmann / 27.03.2019

England und Orban sind aus den gleichen Holz! Genauso wie Salvini mit Italien oder der Kurz mit Österreich…auch die Polen und Slowaken wie die Tschechen…auch Dänemark ist nicht mehr EU sondern immer mehr England! Spanien und Griechenland…selbst die Niederlande und Belgien richten sich gegen diese EU…eine EU der nur noch Macron (Frankreich) und Merkel (Deutschland) angehören…eine EU der globalen NGO Finanzmafia unter der Leitung von George Soros. Wenn man also einen Blick auf den Brexit und Orban wirft, dann sollte man schon richtig hinschauen….was beide vereinigt und nicht trennt!  

Max Anders / 27.03.2019

Eine schöne Hommage an die Briten, die ich so vollauf unterschreiben könnte, wäre da nicht der unsägliche abwertende Nachsatz zum Ungarischen Premier. Das reißt den ansonsten guten Artikel leider runter. Schade Herr Bonhorst, das hatten sie doch garnicht nötig.

Wilfried Cremer / 27.03.2019

Die eigentlichen Fragen sind doch: Wie verkraftet das die Queen? Und was macht der Schotte? Dicht mit einer neuen Römermauer oder wie gehabt mit geistigen Getränken?

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