Seit knapp fünf Jahren, seit sich die Briten am 23. Juni 2016 für den Austritt aus der EU entschieden haben, prophezeiten die meisten deutschen Politiker und Publizisten den Briten eine Brexit-Krise. Sie würden es noch bereuen, die EU verlassen zu haben, hieß es noch bis vor Kurzem allenthalben. Wie es mit Prophezeiungen manchmal ist – die Wirklichkeit kommt dann doch ganz anders. Die britische Industrie hat im April das kräftigste Wachstum seit mehr als einem Vierteljahrhundert hingelegt, meldet n-tv.de. Der Einkaufsmanagerindex sei um 2,0 auf 60,9 Punkte gestiegen, habe das Institut IHS Markit zu seiner monatlichen Unternehmensumfrage mitgeteilt. Das sei der höchste Wert seit Juli 1994. "Die weitere Lockerung der Corona-Restriktionen im In- und Ausland führte zu einem erneut deutlichen Wachstumsschub in den britischen Fabriken", habe Markit-Ökonom Rob Dobson gesagt.
Die Aufträge hätten dabei so kräftig zugelegt wie seit rund siebeneinhalb Jahren nicht mehr, was auf einen anhaltenden Aufwärtstrend hindeute. Zwei Drittel der Unternehmen würden erwarten, dass die Produktion in einem Jahr höher sein werde als aktuell. Und das, obwohl es nicht nur Jubelmeldungen gibt: "Das Exportwachstum bleibt relativ gedämpft, da kleine Hersteller Schwierigkeiten haben, zu exportieren", habe Dobson gesagt. Probleme in der Lieferkette und steigender Inflationsdruck würden den Briten ebenfalls Sorgen bereiten.
Die Brexit- und Corona-bedingten Störungen, vor allem in den Häfen, hätten zudem zu einer rekordverdächtigen Verlängerung der Lieferzeiten geführt. Die britische Wirtschaft war 2020 wegen des Corona-Ausnahmezustands um fast zehn Prozent abgestürzt. Für dieses Jahr werde eine kräftige Erholung erwartet. Allerdings könne es bis 2022 dauern, bis die Wirtschaftsleistung ihr Vorkrisenniveau wieder erreicht habe.
Insgesamt sei die britische Wirtschaft auf Wachstumskurs. So sei zuletzt für den Februar ein BIP-Wachstum von 0,4 Prozent gemeldet worden. "Damit hält sich die britische Wirtschaft besser als vielfach erwartet, zumal der März ein weiteres Plus bringen dürfte", hätten die Commerzbank-Ökonomen Bernd Weidensteiner und Christoph Balz in einer Analyse erklärt. Dazu habe die Industrie beigetragen, die ihre Produktion im Februar um 1,3 Prozent steigern konnte.
"Bemerkenswert ist auch, dass sich die britische Industrie – trotz der zusätzlichen Belastung durch den Brexit – keineswegs schlechter geschlagen hat als die kontinentaleuropäische", hätten die beiden Volkswirte betont. "So sind die britischen und deutschen Produktionstrends praktisch deckungsgleich."