Es scheint fast unvermeidlich, dass Boris Johnson der nächste britische Premierminister wird, der mit dem Brexit beauftragt ist. Boris wird in Brüssel vielleicht nicht überall geliebt, wenn man seine führende Rolle bei der „Leave“-Kampagne bedenkt, aber es wäre falsch, anzunehmen, dass der Abschluss eines Brexit-Deals dadurch weniger wahrscheinlich geworden ist.
In vielen Verhandlungen braucht es einen Hardliner, um den Deal abzuschließen. Theresa May, eine Remainerin, hätte es immer viel schwerer gehabt, Konzessionen an die britische Öffentlichkeit zu verkaufen als ein Brexiteer. Für Boris gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder er macht es Trump-artig oder er wählt einen diplomatischeren Weg.
Es ist nicht klar, was mit der EU am besten funktionieren wird. Jacob Rees-Mogg, ein zentraler Verbündeter von Boris, fasste die Grundidee einer "Trump"-Strategie beim Tweeten gut zusammen: "Um Vegetius falsch zu zitieren: 'Wenn du einen Deal suchst, bereite dich darauf vor, keinen Deal zu bekommen.'"
Im Gegensatz zum gerade populären Narrativ scheint die EU kompromissbereit zu sein – zumindest ein wenig. Boris ist bestrebt, das "Brady-Amendment" einzubringen, das einzige, worauf sich die britischen Abgeordneten einigen konnten, abgesehen von der Ablehnung eines No-Deal. Dazu gehört die Neuverhandlung des Rücknahmeabkommens für den nordirischen Backstop, eine Regelung, bei der das Vereinigte Königreich bis auf weiteres im Zollsystem der EU verbleibt und seine Ersetzung durch "alternative Regelungen".
Es kommt auf die Iren an
Aus Gesprächen mit diplomatischen Quellen hat der Europa-Redakteur des Telegraphs, Peter Foster, herausgefunden, dass eine zeitliche Begrenzung des Backstopps "nicht unmöglich ist, wenn wir von fünf bis sieben Jahren sprechen und wenn es eine klare parlamentarische Mehrheit gibt, die es als Preis für den Deal gibt". Foster glaubt jedoch, dass der "Trump“-Ansatz scheitern würde, da "eine Forderung, den Backstop zu beseitigen, sofort abgelehnt würde und sehr schnell jede Chance auf einen Neustart zunichte machen würde".
In gewisser Weise ist es nicht einmal so sehr die Frage, welcher Ansatz die EU ansprechen wird. Die eigentliche Frage ist, was Irland ansprechen wird. Ein hoher französischer Beamter erklärte kürzlich, dass "nur Irland sagen kann, dass der Backstop nicht mehr notwendig ist, aber das ist nicht der Fall". Wenn es also darauf ankommt, wird die EU die Iren fragen, was sie davon halten.
Nach der zunehmenden Diskussion über einen No-Deal Brexit während des Kampfes um die Führung der Konservativen sagte der irische Regierungschef Leo Varadkar: "Für mich ist kein Backstop praktisch dasselbe wie kein Deal". Werden Varadkar und die irische politische Klasse positiv auf einen "Trump"-Ansatz reagieren, oder werden sie sich stattdessen tiefer eingraben? Nun, wir können es nicht mit Sicherheit wissen, und selbst wenn Irland einem zeitlich begrenzten Backstop zustimmte, würden die Diskussionen einfach in einigen Jahren wieder hochkochen. Deshalb ist es so wichtig, einen Plan B zu haben, um einen traumatischen Brexit ohne Deal zu verhindern.
Es ist zwar wahr, dass die Auswirkungen eines "No Deal" gemildert werden können und werden, da beide Seiten ein klares Interesse daran haben. Dennoch würde dies ein schreckliches Spiel gegenseitiger Schuldzuweisungen auslösen. Der französische Präsident Emmanuel Macron würde zweifellos das Vereinigte Königreich beschuldigen, wenn er mit französischen Fischern konfrontiert wird, die über den Verlust des Zugangs zu britischen Gewässern wütend sind. Das Vereinigte Königreich hingegen würde Irland die Schuld geben – und Irland würde dem Vereinigten Königreich die Schuld geben. Jeder hätte zwar recht mit den gegenseitigen Beschuldigungen, aber im Ergebnis würde das politische Kapital aufgezehrt, das notwendig ist, um die Deals zu vereinbaren, um den „No Deal“ abzumildern.
„Unsichtbare Grenze“ auf der Insel Irland
Ein Plan B könnte daher darin bestehen, unverzügliche Verhandlungen für "alternative Vereinbarungen" zum Backstop vorzuschlagen. Beide Seiten sind sich einig, dass der Backstop irgendwann durch etwas anderes ersetzt werden sollte, also warum nicht jetzt eine Einigung versuchen, damit das Vereinigte Königreich die EU verlassen kann, mit dem Wissen, dass es nicht in den Backstop eintreten muss?
Bisher war die irische Regierung sehr skeptisch gegenüber der Möglichkeit alternativer Regelungen, die eine harte Grenze zu Nordirland verhindern. Dann hat Christian Bock, der Leiter der Zollabteilung der Schweiz, die sich außerhalb des EU-Binnenmarktes und der Zollunion befindet, den britischen Abgeordneten bei einer Anhörung gesagt, dass er eine "unsichtbare Grenze" auf der Insel Irland für "möglich" hält.
Die EU wird natürlich mit wackeligen juristischen Argumenten aufwarten, dass sie vor dem Exit-Datum nicht in der Lage sei, über den Handel zu sprechen, obwohl Jean-Claude Juncker selbst im Dezember genau das vorgeschlagen hat. Wenn die EU dann zustimmt, über den zukünftigen Handel zu sprechen, könnte Boris beanspruchen, dass eine Verlängerung der britischen Mitgliedschaft zugesichert wird.
Die tatsächlichen "alternativen Regelungen" dürften von allen Seiten mit vielen Zugeständnissen verbunden sein. Das Vereinigte Königreich muss möglicherweise eine gewisse regulatorische Angleichung zugestehen, vielleicht allein durch Nordirland, was zu einigen zusätzlichen behördlichen Kontrollen in der Irischen See führen würde. Irland muss möglicherweise akzeptieren, dass Nordirland einfach auch die Zollunion der EU verlassen wird, und die anderen EU-Mitgliedstaaten müssen tolerieren, dass Irland und das Vereinigte Königreich sich nicht die Mühe machen werden, lästige Grenzkontrollen durchzuführen. Wenn die aus Nordirland in die Irische Republik eingeführten Waren den Binnenmarktstandards entsprechen, gibt es für die EU nicht viel zu befürchten, abgesehen vom Verlust eines winzigen Teils des Zolleinkommens, den Irland und das Vereinigte Königreich kompensieren könnten.
Wenn wir den umfangreichen Handel zwischen der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt und dem größten Handelsblock der Welt schützen wollen, gibt es grundsätzlich keine Alternative zu ständigen Verhandlungen und Flexibilität. Selbst wenn die Scheidung zwischen der EU und Großbritannien und die künftigen Beziehungen geklärt sind, werden Verhandlungen weiterhin notwendig bleiben. Würde der Marktzugang auf der Grundlage der regulatorischer Angleichungungen gewährt, dann würden alle regulatorischen Änderungen erneut zu Verhandlungen führen. Das ist ganz sicher jetzt schon der Fall im stürmischen Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Die Beziehungen der EU zu Großbritannien nach dem Brexit werden nicht anders sein.
Der Artikel erschien zuerst im Telegraph.